Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Anne!
Ich denke, dass man an diesem ganz besonderen Tag einen Artikel über Anne Frank genau so beginnen darf. Seit ich denken kann, begleitet sie mich durch mein Leben und meine ganze Schulzeit war geprägt von Gedanken an ein junges jüdisches Mädchen, das niemals erwachsen werden durfte. Gedanken an eine junge Frau, die im KZ Bergen-Belsen auf grausame Weise starb
Anfang März 1945 – also kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges – endete für die erst fünfzehnjährige Jüdin Anne Frank ein langer Leidensweg. Gemeinsam mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Margot erkrankte sie an einer der unzähligen Epidemien, die im Konzentrationslager Bergen-Belsen grassierten und verstarb ohne medizinische Versorgung, geschwächt und ohne dass man das Todesdatum genau aufzeichnete. Ihr Leben war nichts wert – nicht für die im Rassewahn wütenden Nationalsozialisten.
Um der Verfolgung durch die neuen Machthaber zu entgehen flüchtete die Familie Frank in weiser Voraussicht bereits 1934 von Frankfurt nach Amsterdam. Als sich nach der Besetzung Hollands durch die Wehrmacht die Lebensumstände auch dort für die jüdische Bevölkerung täglich verschlimmerten und die drohende Gefahr der Deportation in ein Konzentrationslager immer greifbarer wurde, entschloss man sich 1942 dazu, im Untergrund zu verschwinden – abzutauchen.
Annes Vater, Otto Frank, hatte im Hinterhaus der Prinsengracht 263 ein Versteck für die Familie vorbereitet, in das man sich ab dem 06. Juli 1942 zurückzog. Ohne sich von Freunden oder Menschen aus dem Umfeld verabschieden zu können, verschwand die Familie Frank von der lebensgefährlichen Bildfläche…
Gute Freunde von Anne standen völlig verwundert vor der leeren Wohnung und vermuteten, dass die Franks in einer Nacht- und Nebelaktion geflüchtet sein mussten. Die Lebensumstände in diesem Versteck waren dramatisch. Ständige Angst entdeckt zu werden, der tägliche Kampf um die Versorgung mit den lebenswichtigen Dingen und die völlige Abschottung von der Außenwelt stellten nicht nur für die Erwachsenen eine enorme psychische Belastung dar.
Anne Frank flüchtete sich seit dem 12. Juni 1942 (ihrem 13. Geburtstag) in die Welt ihres Tagebuches, in dem sie das tägliche Leben der ganzen Familie, ihre Ängste und Gedanken, sowie die fehlenden sozialen Kontakte zu verarbeiten versuchte. Sie schrieb in Briefform an teilweise fiktive Freunde oder Verwandte, für die sie Codenamen erfand, damit im Falle einer Entdeckung das Tagebuch nicht zuviel verraten würde. Ein weises Mädchen.
Mit der „Anne Frank – Gesamtausgabe„ aus dem Fischer Verlag liegt seit wenigen Wochen erstmals eine umfassende Veröffentlichung dieses Tagebuchs vor. Nicht nur die eigentlichen Tagebuch-Texte sind hier veröffentlicht, man erkennt auch deutlich, dass Anne Frank sich schreibend darauf vorbereitete, diese privaten Aufzeichnungen nach dem Krieg zu veröffentlichen.
Diese überarbeiteten Passagen zeugen von dem unfassbaren Erzähltalent dieses jungen Mädchens, da sie es schafft, ihre Leser zu Mitbewohnern der Prinsengracht zu machen. Niemand wird diese Zeilen voller Tragik, Angst, Gefühl und Hoffnung jemals vergessen. Niemand kann sich dieser jungen Frau entziehen und ihre Worte bleiben zeitlos gültig, tragfähig und verleihen dem Gedenken an die Opfer des Holocaust ein Gesicht.
„O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen. Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod.“
Tagebucheintrag, 5. April 1944
Diese absolut lesenswerte Anne Frank-Gesamtausgabe wird durch weitere, zum Teil bisher unveröffentlichte Ereignisse aus dem Hinterhaus, Erzählungen, Briefe, Fotos und Dokumente ergänzt und zum unverzichtbaren Bestandteil einer privaten Bibliothek „Gegen das Vergessen„!
Interessant ist natürlich auch die Perspektive von außen. Wie reagierten Freunde und Weggefährten Anne Franks auf ihr Verschwinden? Was hatte man bis zu diesem Tag gemeinsam erlebt und wie reagierten sie auf die Nachricht, dass Anne nie ganz weg war? Konnte man eigentlich begreifen, dass der Mensch, der einem nahe stand, nicht vertrauen konnte und heimlich verschwinden musste? Wie ging man mit diesen Gedanken um und wie konnte die Nachricht vom Tod der Freundin in Bergen-Belsen verkraftet werden?
„Deine beste Freundin Anne Frank„ von Jacqueline van Maarsen ist aus meiner Sicht hier das aussagekräftigste Zeitdokument – erschienen bei Fischer KJB. Gute, ja sogar beste Freundinnen waren sie. Die junge Jacqueline und die gleichaltrige Anne. Schule und Freizeit, gemeinsame Hobbys und Leidenschaften teilten sie und ebenso hart war der gemeinsam Weg durch die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung Hollands.
Jacqueline überlebt als Halbjüdin den Zweiten Weltkrieg nur durch Zufall und sucht nach Antworten auf all ihre Fragen rund um das plötzliche Verschwinden ihrer besten Freundin. Erst als Anne Franks Vater ihr das Tagebuch seiner Tochter zeigt, erkennt Jacqueline, dass sie nie voneinander getrennt waren. Die Abschiedsbriefe an die beste Freundin aus der Feder von Anne Frank sind bewegend und stimmen für alle Zeiten nachdenklich!
Die Familie Frank wurde schließlich verraten und am 4. August 1944 verhaftet, verhört und schließlich in Konzentrationslager deportiert. Nur Anne Franks Vater, Otto, überlebte. Der Rest der Familie Frank wurde in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet, oder sie starben an Krankheiten, gegen die man nichts unternahm. Bei seiner Rückkehr nach Amsterdam wurde Otto Frank das Tagebuch seiner Tochter von einem Freund übergeben, der es im Versteck gefunden hatte. Der Rest ist Teil einer Welle, die ein junges Opfer des Holocaust weltweit zum Symbol des Erinnerns machte.
Für die politische Malerin Peggy Steike und mich ist das Erinnern an die Opfer des Holocaust mehr als eine Mission geworden. Namen statt Zahlen steht über dem Projekt und wir versuchen den Opfern durch ihre individuellen Geschichten wieder ein Gesicht zu geben. Die Anonymität in der sinnlosen Auslöschung menschlichen Lebens ist der größte Baustein in der Mauer des Vergessen. Ihn wollen wir zertrümmern.
Wir wollen diesen Artikel zum Geburtstag von Anne Frank mit einem Geschenk von Peggy Steike schließen. Wir sehen Otto Frank nach dem Krieg bei seiner Rückkehr in das Familienversteck und können uns denken, wie verzweifelt er gewesen sein muss. Sein verzweifelter Kampf um die bleibende Erinnerung an seine Familie und die Veröffentlichung des Tagebuchs seiner Tochter haben dem Erinnern zeitlos Farbe und Identität verliehen. Anne Frank lebt in uns weiter.
In aller Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Trauer, die Otto Frank im Versteck von einst beschlichen hat… Seine Tochter hat dort auf ihn gewartet. Leuchtend wie immer.
Peggy Steike hat dieses Gemälde für uns alle, aber auch ganz besonders für die vielen namen- und gesichtslosen Opfer geschaffen. Es wird uns fortan begleiten – es wird unsere „Hannah„ auf ihrem weiteren Weg in die Schulen und Herzen junger Menschen begleiten.
Herzlichen Glückwunsch, Anne. Wir sind bei Dir!
(Unser Anne-Frank-Tag auf Facebook auf einen Blick… hier)
Anne Frank – Ein offener Brief aus bestem Grund…
Zum 90. Geburtstag von Anne Frank wurde ihr Lebenstraum erfüllt. Ihr Roman hat das Licht der Welt erblickt. „Liebe Kitty“ – Hier geht´s zur Buchvorstellung.