David Foster Wallace – Der Planet Trillaphon und die Üble Sache

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache - David Foster Wallace

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache – David Foster Wallace

Auch heute noch ist vieles Neuland für mich, wenn ich mich einem Buch nähere. Auch heute noch gibt es Gratwanderungen, die ich gangbar mache, um herauszufinden, wie weit ich mit mir selbst gehen kann. Über David Foster Wallace zu schreiben ist für mich eine Sache der puren Emotion und meine langjährigen Leser wissen, dass ich noch nie sonderlich sachlich über seine Bücher berichten konnte.

Ich wage mich einen Schritt weiter und habe für Literatur RADIO Bayern erstmals über eines seiner Bücher gesprochen. Ich lade euch dazu ein, die folgende Rezension zu lesen oder mir einfach zuzuhören und die Artikelbilder auf euch wirken zu lassen. Vielleicht könnt ihr dann hören was ich schreibend dann und wann verbergen kann. Ich kann mich nicht verstecken, wenn es um ihn geht…

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„Ich nehme jetzt seit, mal überlegen, rund einem Jahr Antidepressiva, und ich würde mal sagen, da kann ich ganz gut einschätzen, wie die so sind. Sie sind eigentlich ganz okay.“

Eigentlich ganz okay, so die Worte eines Schriftstellers, der genau wusste worüber er schrieb als er diese Zeilen verfasste. Worte eines Mannes, die verharmlosend wirken, besonders vor dem tragischen Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte. Worte eines Autors, der sich 1984 in der absoluten Frühphase seines Schaffens befand. 22 Jahre seines Lebens hatte er mehr oder weniger unfallfrei hinter sich gebracht und 24 weitere, weniger unfallfreie Jahre, lagen noch vor ihm.

David Foster Wallace blieben nur 46 Jahre, seine literarische Kraft zu entfalten, einer der meistdiskutierten, -geliebten und auch -ignorierten Schriftsteller der USA zu werden, bevor er 2008 seinem Leben ein Ende setzte. Unvergessene Werke wie Unendlicher Spaß, „Der Besen im System“ und unzählige Kurzgeschichten und Reflexionen, wie Das hier ist Wasser – Eine Anstiftung zum Denken kennzeichnen seinen Weg als Autor, und sein posthum erschienenes Buch Der bleiche König hat die Buchwelt erneut in Aufruhr versetzt und ganz im Stile seines Verfassers polarisiert.

Und wenn David Foster Wallace schreibt, dass Antidepressiva ganz okay sind, dann wissen die Kenner seines Stils, dass auf eine solche abgeschwächte These sehr schnell die komplette Wendung folgt, die in ihrer Tragweite allein durch diesen Quantensprung an Bedeutung gewinnt. Schon mit seinen 22 Jahren beherrschte er dieses ganz eigene Auf und Ab, das sich in seinem kurzen Schaffen oft wiederholt. Dabei stammen diese Zeilen tatsächlich aus einer der ersten Kurzgeschichten, die er veröffentlichen konnte.

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache - David Foster Wallace

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache – David Foster Wallace

Sie sind ganz okay. Ja. Aus Sicht eines Menschen, der an tiefen Depressionen leidet und in Anbetracht von Alternativen, wie Elektroschock-Therapien, mag das so sein. Aber wie wenig okay diese Medikamente sind beschreibt David Foster Wallace in seiner Kurzgeschichte Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache aus dem Jahr 1984 noch auf der gleichen (allerersten) Seite:

„Sie sind eigentlich ganz okay, aber so, wie es okay wäre, auf einem anderen Planeten zu leben… Es wäre okay, aber es wäre natürlich nicht die gute alte Erde. Ich war jetzt fast ein Jahr nicht mehr auf der Erde, weil es mir auf der Erde nicht besonders gut ging.“

Ganz okay. Natürlich! Wenn man über Depressionen schreibt und selbst unter dieser Krankheit leidet, dann schlüpft man als Autor gerne in die Position eines Beobachters, der versuchen kann völlig neutral einen Blick auf und in einen Menschen zu werfen, der depressiv ist, als depressiv gilt und nach der Veröffentlichung einer solchen Geschichte auch noch autobiografisch an seiner Depression gemessen wird.

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache - David Foster Wallace

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache – David Foster Wallace

Dieses Schlüpfen hat David Foster Wallace gar nicht erst versucht. Wenn wir hier seinem namenlosen Protagonisten zuhören, dann hören wir zwangsläufig David selbst zu und verstehen diese Geschichte als Erklärungsversuch dessen, was man sich als depressiver Mensch besser nicht selbst erklären sollte.Wir betreten an seiner Seite den Planeten Trillaphon, der nur deshalb so heißt, weil der Name so ähnlich klingt, wie das Medikament Tofranil, das er regelmäßig nehmen muss, aber wesentlich besser zu den elektrischen Geräuschen passt, die ihn plagen.

Geräusche von einer Intensität, dass es unmöglich scheint, sie zu unterdrücken oder ihnen zu entkommen. Und der Name passt auch besser zu der Lebensweise auf dem Planeten, der zum Zufluchtsort wird und doch keine Flucht vor der wahren Welt erlaubt, die sich parallel entfaltet. Geräusche sind nicht die einzigen Symptome der Erkrankung, die David letztlich selbst besiegte. Sie sind nicht die einzigen Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt.

„Die Üble Sache“ ist komplexer und im Verhältnis zum Leben in der medikamentösen Welt auf einem anderen Planeten jeden Tag, jede Minute und in jeder Sekunde präsent. Die Üble Sache ist unkalkulierbar und gleicht einem Überfallkommando auf das eigene Denken. Das wahre Leben auf der Erde wirkt sich auch auf den Planeten Trillaphon als Brandbeschleuniger dieses psychischen Flächenbrandes aus. Familie, Gefühle, Schule, Akne und Liebe erscheinen völlig anders. Bedrohend. Zerstörend und ausweglos. Egal, wie okay die Medikamente sind.

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache - David Foster Wallace

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache – David Foster Wallace

Wir erkennen auf den schmalen 57 Seiten dieser Kurzgeschichte sehr viel, vor dem wir vielleicht manchmal die Augen verschließen, wenn wir an Menschen denken, die von Depressionen geplagt werden. Wir denken unbewusst an all die Robert Enkes dieser Welt, für deren Selbstmord verzweifelt nach Gründen und nach Anzeichen gesucht wird, wann man diese hätte verhindern können.

David Foster Wallace macht uns im absoluten und unverschnörkelten Klartext deutlich, dass der Selbstmord eines depressiven Menschen der letzte Schritt ist, der nur noch bedeutet, Ordnung zu schaffen. Der eigentliche Suizid liegt oft lange vor diesem finalen Schritt. Er beginnt, als der kleine Steppke zum ersten Mal bemerkt, dass nicht die Üble Sache sein Leben dominiert, sondern dass er selbst die Üble Sache zu sein scheint. Er beginnt dort, wo selbst das Leben auf dem Planeten Trillaphon unerträglich wird.

„Der kleine Steppke hier hat ein Problem.“ Diesen Satz wird man so schnell nicht vergessen, wenn man diese Geschichte gelesen hat. Ebenso wenig wie den Begriff, den David in seiner Originalfassung dafür wählte: „troubled little soldier“. Ein Steppke, der mit seinen Waffen ganz allein versucht einen verlorenen Kampf zu führen und dem fast nicht zu helfen ist, weil jede Hilfe wie eine zusätzliche Bedrohung wirkt. Ich war David Foster Wallace selten näher als in diesen Momenten meines Lesens. Er ist immer dieser kleine „troubled little soldier“ geblieben, der uns mit seinen Büchern beschenkt hat. Und doch…

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache - David Foster Wallace

Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache – David Foster Wallace

Und doch sollte man nie vergessen, dass sie auf dem Planeten Trillaphon verfasst wurden. In einer Situation, die immer näher an den Moment seines „Ordnung-Machens“ heranrückte. Bücher mit denen er sich vielleicht befreien wollte, die aber selbst neue Symptome verursachten, die der Üblen Sache sehr zuträglich waren. Versagensangst, öffentlicher Druck und das lebenslange Gefühl, nicht alles gesagt zu haben. All dies gehört zu David.

Er schrieb nie klarer als in dieser Kurzgeschichte. Es gibt keinerlei Fußnoten, keine Abwege, keine umständlichen Metaphern, keine kryptischen Traumbilder. Es gibt diesen Steppke, der an seiner Akne verzweifelt, dessen erste Verliebtheit von der Üblen Sache gefressen wird und dem auch dann nicht mehr geholfen werden kann, als der „absolut lächerliche Vorfall“ ans Tageslicht kommt.

Eine Badewanne in die er zuvor „ungefähr dreitausend Elektrogeräte gezogen hatte“, sollte sein erster Aufschrei sein. Es war jedoch nicht der Versuch Ordnung zu schaffen. Aber es war die Startrampe zu einem Flug auf den Planeten Trillaphon. „Nun war ich praktisch die einzige Lichtquelle im Haus…“. Für mich hat David diesen Planeten nie verlassen. Für mich strahlt er noch heute lichthell. Für mich ist der Weg an seiner Seite nicht am Ende angelangt. Gebt ihm einfach eine Chance. Dieser zweisprachige kleine Band aus dem Hause Kiepenheuer und Witsch bringt euch ohne Umwege zu ihm.

David Foster Wallace und AstroLibrium

David Foster Wallace und AstroLibrium

PS: Wenn David über Liebe schreibt, dann bedient er sich vor dem Hintergrund dieser Geschichte gewaltiger Worte: „Dass ich dieses Mädchen namens May kennenlernte und Bekanntschaft mit ihm schloss, ist bis heute die lebhafteste Erinnerung an meine letzte gute Erfahrung auf der Erde.“

Ach, David…

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