Der Bayerische Buchpreis 2020
Eins, zwei, drei, im Sauseschritt. Eilt die Zeit, wir eilen mit. In einem Jahr, das von einem Virus flächendeckend lahmgelegt wurde, in dem die beiden große Buchmessen nur noch virtuell stattfinden und die renommierten Buchpreise nicht mehr vor Publikum verliehen werden, geht nun auch der Bayerische Buchpreis 2020 neue Wege. Es ist das bewährte Format, das uns erhalten bleibt. Es ist der streitbare Dialog einer Jury, in dessen Folge die Gewinner*innen in zwei Kategorien gekürt werden und es sind ganz besondere Romane und Sachbücher, die in diesem Jahr zur Wahl stehen. Was einst mit der „Corine„ begann, hat sich zur festen Größe im Literaturbetrieb gemausert. Es sind die Alleinstellungsmerkmale dieses Literaturpreises, die ihn auszeichnen:
Dabei hebt er sich deutlich von vergleichbaren Formaten ab. Nein, man kann sich nicht für diesen Literaturpreis bewerben. Verlage können keine Bücher einreichen und die endgültige Entscheidung über die Gewinner wird nicht im Verborgenen getroffen. In einer abschließenden öffentlichen Diskussion vor der eigentlichen Preisverleihung am 19. November 2020 werden die nominierten Werke aus den Bereichen Belletristik und Sachbuch von der Jury besprochen. Ein echtes Finale. Live übertragen und gestreamt. Ein Preis mit Spannungsbogen.
Die Jury
Sonja Zekri, Feuilletonchefin der Süddeutschen Zeitung
Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg und
Knut Cordsen, Kulturredakteur des Bayerischen Rundfunks
Diese erlesene Fachjury bringt nicht nur eigenständig und unabhängig die Vorschläge für den Bayerischen Buchpreis ein, sie debattiert live und Open Stage darüber, welcher der jeweils drei Nominierten in den beiden Kategorien ausgezeichnet wird. Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert, was den Bayerischen Buchpreis auch in monetärer Hinsicht so wertvoll macht.
Weitere Details zum Bayerischen Buchpreis findet ihr auf der Homepage, auf der Facebookseite des Bayerischen Buchpreises und natürlich in der kleinen literarischen Sternwarte AstroLibrium Ich habe erneut die große Ehre dieses Bücherfestival auch in diesem Jahr als offizieller Buchpreisblogger begleiten zu dürfen. Wir sind zu dritt, wenn es darum geht, den Weg bis zur Preisverleihung aus der Sicht von Literaturbloggern zu begleiten… Here we are:
Die Buchpreisblogger des Bayerischen Buchpreises sind:
Thomas Hummitzsch von Intellectures
Sophie Weigand von Literaturen und last but not least
Arndt Stroscher mit der kleinen literarischen Sternwarte AstroLibrium
Hier findet ihr die Rezensionen zu allen nominierten Titeln und weitere Artikel rund um die Welt des Weißen Löwen.
Die Nominierten für den Bayerischen Buchpreis 2020:
Belletristik
Ulrike Draesner: Schwitters (Penguin Verlag)
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik (Hanser Literaturverlage)
Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt (Klett-Cotta Verlag)
Sachbuch
Max Czollek: Gegenwartsbewältigung (Hanser Literaturverlage)
Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher (Zsolnay Verlag)
Hedwig Richter: Demokratie. Eine deutsche Affäre (C.H.Beck Literatur)
Der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten geht an:
Professor Harald Lesch
Der vielfach ausgezeichnete Astrophysiker, Buchautor, Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator erhält diesen Ehrenpreis am 19.11. im Rahmen der Preisverleihung des Bayerischen Buchpreises aus der Hand von Ministerpräsident Dr. Markus Söder.
Den erstmals vergebenen Bayern 2 – Publikumspreis erhält Monka Helfer für ihren Roman „Die Bagage“ – Hanser Verlag und Der Höverlag
Hier geht´s zu meiner Rezension:
Es war ein Privileg, diese Erzählung nicht nur lesen, sondern parallel dazu hören zu dürfen. Monika Helfer liest das Hörbuch zu ihrem Buch selbst. Wer auch nur eine Sekunde an der Authentizität dieser Geschichte zweifelt, der möge hören. Ihre brüchige Stimme trägt die Handlung durch die Zeitebenen. Man wagt es kaum noch zu atmen, so zerbrechlich wirkt der Vortrag.
REZENSIONEN KATEGORIE BELLETRISTIK
UPDATE 19.11.2020 – Gewinnerin des Bayerischen Buchpreises – Belletristik
Ulrike Draesner erzählt eine Geschichte vom Verlust in den Wirren des Krieges. Sie erzählt von Untreue, Treue und Obsession. Ihr merkt man an, dass sie niemals im Sinn hatte, eine einfache Romanbiografie zu schreiben. Dafür ist „Schwitters“ zu komplex angelegt, zu facettenreich konstruiert und zu farbgewaltig in Szene gesetzt. (weiter…)
Thomas Hummitzsch schreibt auf Intellectures:
„Das Verdienst dieses begeisternden Textes besteht darin, dass er weder den biografischen Eckdaten hinterherläuft noch sich sonderlich für die Kunst seiner Figur interessiert. Vielmehr dekonstruiert der Roman die Figur in dadaistischer Weise selbst, indem er sie zur Echokammer werden lässt, in der sich nicht nur die Stimmen anderer brechen.“
Aus der Zuckerfabrik – Meine Rezension:
Dorothee Elmiger zerlegt die Literatur in ihre molekularen Bestandteile. Das wirkt experimentell und avantgardistisch, erschließt sich nicht jedem Leser und führt sicher auch dazu, dass Fehlinterpretationen und polarisierende Sichtweisen zu ihrem Roman entstehen. Eindeutig ist, dass es kaum zwei Leser geben wird, die dieses Dickicht auf die gleiche Art und Weise durchsuchen. (weiterlesen)
Thomas Hummitzsch schreibt auf Intellectures:
„Die Stärke des Textes liegt darin, dass Elminger eben nicht Antworten liefert, sondern Fragen aufwirft – gerade auch mit ihren Assoziationsketten, die dieses Journal einer Suche ebenso verwirrend wie lesenswert machen.“
Sophie Weigand schreibt auf Literaturen:
„Wenn man so will, ist diese Haltlosigkeit in Fragmenten und Informationsschnipseln literaturgewordene Welterfahrung, so ergeht es ja am Ende doch jedem, der versucht, die Welt zu verstehen…. Ich beende den Text, “das Gestrüpp”, und bin ratlos. Er hat mich nicht erreichen können.“
Die Unschärfe der Welt – Meine Rezension:
Es ist eine Familiengeschichte über vier Generationen, die sich hier auf schlichten 213 Seiten vor unseren Augen entfaltet. Wo andere Autoren vielleicht epische Breite in mehreren Bänden einer Reihe benötigt hätten, vertraut Iris Wolff darauf, dass wir auch das Nicht-Erzählte verstehen und empfinden können. Sie bringt uns ihren Charakteren so nah, dass wir sie fühlen und weiterdenken können, wo die Sprache endet. Wir sind in Rumänien, in Siebenbürgen, im Banat. (weiterlesen)
Im Rahmen der Buchmessespitzen München durfte ich Iris Wolff interviewen.
Ein Gespräch über literarische Zauberer, heimatlose Suppen, Windwanderer, ein satirisches Staatsbegräbnis, Heimat, Sehnsucht, Siebenbürgen und natürlich die Nominierung zum Bayerischen Buchpreis. Ganz nebenbei erfahren Sie, welchen eigentlichen Titel der Roman lange Zeit trug. Hier geht´s zum PodCast.
Thomas Hummitzsch schreibt auf Intellectures:
Iris Wolff erzählt in ihrem bewegenden Roman »Die Unschärfe der Welt«
die Geschichte einer Familie aus dem Banat und davon, wie eine
Landschaft Menschen ein Gefühl tief ins Herz pflanzen kann.
REZENSIONEN KATEGORIE SACHBUCH
Max Czollek: Gegenwartsbewältigung – meine Rezension:
Hallo Deutschland, jemand in der Leitung? Das wird sich zeigen. Es wird sich auch zeigen, welche Schlagkraft die Streitschrift von Max Czollek entwickelt. In ihrer jetzigen Form besteht die Gefahr, dass sie eben nur von Aufnahme-willigen Resonanzkörpern zur Kenntnis genommen wird. Um auch Andersdenkende zu erreichen bedarf es eines Ruckes, der sich durch die Gesellschaft zieht. Max Czollek bietet Visionen und Thesen an, die einen solchen Ruck fördern können. Toleranz, das aufmerksame Zuhören, viel Empathie und eine Neupositionierung der Selbstkritik, können Auswege sein, die einer multikulturellen Gesellschaft die Türen öffnen. Jetzt ist Rückgrat ist gefordert. Jeder von uns kann sich an einem solchen Veränderungsprozess beteiligen. Einer der Wege ist für mich schon der Königsweg für eine solche Veränderung: „Schreibe so, dass die Nazis dich verbieten würden!“ (weiterlesen)
Sophie Weigand schreibt auf Literaturen:
Gegenwartsbewältigung ist ein lebendiges und provokationsfreudiges Buch, das nicht allein die Frage aufwirft, wie wir leben, sondern auch, wie wir künstlerisch arbeiten können angesichts demokratie- und menschenfeindlicher Umtriebe. Einen Rat immerhin gibt Czollek uns: „Schreibe so, dass Nazis dich verbieten würden.“
Thomas Hummitzsch schreibt auf Intellectures:
Im Kern zeigt er in seinem neuen Buch aber auf, was »der Vorstellung, wer wir sind, wo die Grenzen dieses Wirs liegen, und was Menschen tun müssen, um Teil dieses Wirs zu werden« zugrunde liegt.
UPDATE 19.11.2020 – Der Gewinner des Bayerischen Buchpreises – Sachbuch
Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher – meine Rezension:
Das Lebenswerk von Karl Kraus wird überdauern. Seine Bücher Die letzten Tage der Menschheit und Die dritte Walpurgisnacht sprechen weiter für ihn. Jens Malte Fischer hat mit dem Widersprecher nun ein Werk der Sekundärliteratur hinzugefügt, das für Lesende mit Goldgräbernatur einen Claim absteckt, der bisher im Verborgenen lag. Man sollte sich die Schürfrechte sichern. Der Phrasenkiller ist aktueller denn je.
Thomas Hummitzsch schreibt auf Intellectures:
In sage und schreibe 28 Kapiteln setzt sich Fischer mit Kraus Leben und Werk, den Provokationen und Kontroversen sowie den geistigen Turns und Twists dieses leidenschaftlichen Schreibers auseinander. Und davon gab es einige.
Hedwig Richter: Demokratie. Eine deutsche Affäre – meine Rezension:
Insgesamt jedoch legt die Historikerin der Bundeswehr-Universität München eine schlüssige, in einigen Aspekten gar „revolutionäre“ Demokratiegeschichte in die Hände der interessierten Leserschaft. Ein lautes Statement gegen Politikverdrossenheit und die Sichtweise: Ich allein kann nichts ändern. Ein Ende dieser Demokratiegeschichte ist nicht in Sicht. Wie hoffnungsvoll wir in die Zukunft gehen, liegt an uns. Und an einer gehörigen Portion Glück, was die Autorin selbst einräumt. Meine persönliche Affäre mit der Demokratie basiert auf den Werten, die ich in diesem Buch fand. Bemerkenswert.
Thomas Hummitzsch schreibt auf Intellectures:
Wie es sich für eine Affäre gehört, hat das Verhältnis Störungen. Der Gewinn dieses Buches liegt nicht darin, dass Richter diese aufzeigt, sondern versucht herauszuarbeiten, wie sie zum Lernprozess und damit zur weiteren Demokratisierung beigetragen haben.
Ein Rückblick auf die Preisverleihung der letzten beiden Jahre….
Podcast der Peisverleihung 2020 – Die Live-Debatte
Bayerischer Buchpreis 2019 – Die Siegerkür
Jetzt ist er schon Geschichte, der Bayerische Buchpreis 2019 und wir waren dabei, als ein Stück Literaturgeschichte geschrieben wurde. Was hat diesen Abend so besonders gemacht? (hier weiterlesen)
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