Hannah – Ein erster Schultag „Gegen das Vergessen“

Hannah - Ein Projekt gegen das Vergessen der Opfer des Holocaust

Hannah – Ein Projekt gegen das Vergessen der Opfer des Holocaust

Hannah“… inzwischen ist dieser Name bereits zum Synonym für unser gemeinsames Projekt Gegen das Vergessen der Opfer des Holocaust geworden. Die politische Malerin Peggy Steike und AstroLibrium haben sich zu einer Allianz des Erinnerns verbündet und wir versuchen hierbei neue Wege zu gehen, um Jugendliche im Dialog zu erreichen.

„Hannah“ steht hierbei für die Individualisierung des Erinnerns„Namen statt Zahlen“ – diesen Leitspruch haben wir uns auf die Fahnen geschrieben und im Artikel zur Darstellung des Projekts sehr umfangreich beschrieben. Von „Hannahs“ Geburtsstunde bis zu ihrem „Ersten Schultag“ war es wirklich kein weiter Weg. In unseren Herzen und Wünschen ging es sogar sehr schnell, bis wir von der ersten gemeinsamen Idee nun schließlich zusammen mit „Hannah“ erstmals jungen Menschen in ihrem Umfeld begegneten. Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können.

Wir hatten unseren Besuch angekündigt und nach einem wundervollen Nachmittag im Kinderheim St. Alban stand bereits am Folgetag der erste Schulbesuch bei zwei 8. Klassen einer Mittelschule in Fürstenfeldbruck auf dem Programm. Unterschiedlicher konnten die Rahmenbedingungen kaum sein. Vom gemütlichen Wohnzimmerambiente des Kinderheims am Ammersee bis hin zum Klassenzimmer und in die letzten beiden Schulstunden am Freitag vor dem Wochenende. Genau diese beiden Situationen haben wir gesucht, um selbst beurteilen zu können, wie unser Projekt ankommt.

Hannah - Ein Besuch im Kinderheim und der erste Schultag

Hannah – Ein Besuch im Kinderheim und der erste Schultag

Wir versuchen, den Weg in die erinnernden Herzen junger Menschen mit Hilfe von Bildern und Worten zu finden. Wechselweise und im gemeinsamen Dialog möchten wir bewegende Einzelschicksale vorstellen, die es Jugendlichen ermöglichen sollen, vom individuellen Opfer des Holocaust auf die erdrückende Masse zu schließen. Die reine Vermittlung von Zahlen und Fakten findet hierbei indirekt und aus unserer Sicht noch wirkungsvoller statt, als in der reinen Fixierung auf anonymes Gedenken.

Peggy Steike ist bis an die Zähne bewaffnet, wenn sie einen Raum betritt. Sie hat ihre Bilder dabei und je mehr sie von ihnen preisgibt, je eindringlicher erschließen sich die Geschichten hinter den Portraits, Skizzen und Impressionen. Ihre Waffen sind scharf und sie richten sich „Gegen das Vergessen“ – sie richten sich gegen Ignoranz und Intoleranz. Sie richten sich nicht gegen die Zuhörer und Betrachter. Ganz im Gegenteil. Sie gibt jungen Menschen diese Waffen in Form ihrer Bilder in die Hand, lässt sie selbst abwägen und ausbalancieren und erreicht auf sehr bewegende Weise, dass Jugendliche etwas Greifbares in Händen halten, das ihnen ein Erinnern ermöglicht.

Ihre Bilder sind schonungslos. Sie beschönigen nichts und lassen nichts aus – und doch erzählen sie auf den zweiten Blick und mit den erklärenden Worten der Künstlerin eine Geschichte von Leid, Entbehrung, Misshandlung, Verlust und Tod. Sie erzählen von nicht gelebten Leben und unerfüllten Träumen. Sie erzählen von der einzigen Hoffnung, die blieb: „Ich möchte dass sich jemand daran erinnert, dass es einen Menschen mit meinem Namen gegeben hat.“

Hannah - Peggy Steike und die Macht der Bilder

Hannah – Peggy Steike und die Macht der Bilder

Peggy Steike geht hierbei einen bildhaften Weg und ich unterstütze die Tragfähigkeit der von ihr gebauten Brücke durch die Vorstellung von Opfern des Holocaust, die ihre Erlebnisse zum Teil selbst niederschreiben konnten. Mutige Jugendbücher, in denen die Leidtragenden selbst zu Wort kommen, in denen sie sich unmittelbar an uns wenden und dabei versuchen, nicht nur ihre eigene Geschichte zu erzählen. Sie beziehen alle mit ein, nennen sie beim Namen und bitten verzweifelt um Erinnern.

Wenn Peggy in ihren Bildern das Tor des Konzentrationslagers Auschwitz zeigt und von Selektion spricht, lassen wir Schoschana Rabinovici zu Wort kommen und ich lese aus ihrem Überlebens-Buch Dank meiner Mutter (Fischer FJB) vor, wie sich aus Sicht einer 10jährigen eine solche Trennung in Leben und Tod, das Auseinanderreißen von Familien und der spürbare Verlust des kindlichen Lebens angefühlt hat.

Wenn Peggy Bilder junger Opfer zeigt und darauf hinweist, dass sie in Auschwitz von Dr. Josef Mengele ermordet wurden, dann zitiere ich aus Eva Mozes Kors bewegendem Lebensbericht Ich habe den Todesengel überlebt (CBJ) und gemeinsam vermitteln wir das unfassbare Gefühl von Zwillingsschwestern, von denen jeweils immer nur eine mit tödlichen Krankheitserregern infiziert wurde, um einen direkten medizinischen Vergleich zu haben.

Hannah - Arndt Stroscher und die Macht der Worte

Hannah – Arndt Stroscher und die Macht der Worte

Bei all diesen Bildern und Worten spüren wir, dass wir im aktuellen Bezug zum heutigen Leben Anknüpfpunkte finden, die das Erinnern greifbar werden lassen. Wenn Peggy Steike das Portraitbild des Fußballnationalspielers Julius Hirsch zeigt und wir gemeinsam den Vergleich wagen, dass man im Dritten Reich gewillt war, einen Weltklasse-Fußballer aufgrund seines jüdischen Glaubens „aus dem Panini-Album der Weltgeschichte“ zu tilgen, dann horchen Jugendliche auf. Wenn man dann auf unseren WM-Kader zu sprechen kommt, auf Mezut Özil und Lukas Podolski, und auf rassistische Ausschreitungen in Stadien, dann erkennt man, warum Erinnern wichtig ist.

Wenn Peggy das Eingangstor des KZ Buchenwald zeigt und die Frage in den Raum stellt, wie die Worte „Jedem das Seine“ auf Jugendliche wirken, dann wird es still. Dann merkt man, wie eingeschlossen man sich fühlen kann, wie ausgeschlossen und wie verachtet, da dieser Schriftzug nur zu lesen war, wenn man nach draußen schaute. Perfide Menschenverachtung wird greifbar – besonders, wenn das Bild durchs Klassenzimmer wandert und ganz nah vor Augen ist.

Und wenn man Jugendliche mit ihrem eigenen Trauerverhalten konfrontiert, wenn Freunde bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen, dann wird der Wunsch spürbar, etwas zu tun. Vergessen werden, das wird schnell klar… das ist das Schlimmste, was passieren kann. Da sprechen auch junge Menschen aus Erfahrung. Man muss sie nur zu Wort kommen lassen und das Thema zur Sprache bringen.

Hannah - Wort und Bild - Hand in Hand - Eine Allianz

Hannah – Wort und Bild – Hand in Hand – Eine Allianz

Und genau an diesem Punkt suchen junge Menschen nach ihrer Rolle. Wie können sie gedenken, wie erinnern und was können sie tun? Eine Antwort bietet das Jugendbuch Hanas Koffer von Karen Levine (Ravensburger), in dem eine japanische Schulklasse die Lebensgeschichte der erst 10jährigen Hana Brady durch eigene Nachforschungen rekonstruiert und sogar den überlebenden Bruder in Kanada wiederfindet. Und dies alles nur, weil es einer Lehrerin gelang, das letzte Andenken an dieses Leben… einen leeren Koffer mit der Aufschrift Hana Brady nach Tokio zu bringen.

Wir bauen diese Brücke am Ende des Seminars mit unserer „Hannah“. Es ist das einzige Bild im Holocaust Zyklus von Peggy Steike, in dem ein junges Mädchen unserer Zeit, modern gekleidet mit seinen roten Schuhen das KZ Auschwitz verlässt. Ein Bild, das die jungen Menschen heute direkt ansprechen und an die Hand nehmen soll. Seine Botschaft wird durch meinen Text zum Bild unterstrichen. Wir laden dazu ein, das Bild aus der Nähe zu erkunden und der Geschichte zu lauschen. So lernt man unsere Hannah kennen. Sehend und Hörend. Beide Ebenen führen Hand in Hand zur Erkenntnis: Suche dir EIN Erinnern, EIN Opfer, EIN Schicksal, EIN nicht gelebtes Leben und halte es fest.

Nicht nur in den Zahlen und Fakten liegt der Schlüssel für schuldfreies und doch verantwortungsvolles Erinnern. Vom einzelnen Opfer auf dessen Familie, Freunde und Leben zu schließen, das öffnet den Blick nach und nach auch auf die unvorstellbare Zahl der Opfer. „Hannah“ erzeugt Nähe, man kann sich in ihr wiederfinden und wir waren erfreut, dass es gelang, die Schüler und die Kids von St. Alban aus der Distanz an die Bilder zu bringen.

Hannah baut eine Brücke und lässt Nähe möglich werden

Hannah baut eine Brücke und lässt Nähe möglich werden

Sie haben fotografiert, gefragt, diskutiert und dieser Dialog endete nicht nach dem Seminar, wie uns die Rückkopplungen aus sozialen Netzwerken zeigten. Bilder des kleinen Charles Apteker waren auf den Facebook-Profilen unserer jungen Zuhörer zu finden. Fragen wurden formuliert und der Satz „Ich denke heute an…“ machte die Runde.

Die Abstimmung mit dem Lehrplan der Mittelschule entspricht unserem Königsweg des Erinnerns. Wir trafen die Schüler vier Tage vor ihrem Besuch in der KZ-Gedenkstätte in Dachau und wir denken, durch den vielfältigen und offenen Ansatz mit „Hannah“ eine Rolle angeboten zu haben, in die sich ein Jugendlicher begeben kann. EIN Gedenken, EIN Name, EIN Erinnern… der Rest erschließt sich mit der Zeit.

Die Tatsache dass wir für jede der von uns besuchten Gruppen jeweils eine Begleitmappe zum Projekt mit meinen Artikeln zu den vorgestellten Büchern, einem Verzeichnis und Erläuterungen zu den Bildern von Peggy Steike und die Bücher selbst, den jeweiligen Lehrern oder der Leiterin der Gruppe Don Bosco in St. Alban zur Verfügung stellen konnten, rundet das Seminar in jeder Hinsicht ab. Greifbares bleibt. Gedanken bleiben und die Bilder bleiben in Erinnerung.

„Hannahs erster Schultag“… ein erster Schritt ins Leben des Erinnerns… wir berichten von vielen weiteren Schritten, die es geben wird… wir sind erst am Anfang!

Ich denke an... - Nach Hannah...

Ich denke an… – Unmittelbar nach Hannah…

Eine wichtige Frage blieb am Ende: „Warum findet man die Bilder nicht in einem Museum?“

Unsere gemeinsame Antwort sorgte für erstauntes und wissendes Lachen. „In einem Museum würden sie nicht mit euch sprechen. Ein Museum würden oftmals nur diejenigen besuchen, die dem Erinnern an den Holocaust positiv gegenüber stehen. Was aber, wenn die Bilder mit den Worten zu den Menschen kommen?“ Dies bleibt unser Weg!

Wir danken Lehrern, Schülern, einer tollen Ordensschwester und den Kids von St. Alban für Aufmerksamkeit, offenen Dialog und die warme Gastfreundschaft – und „unseren“ Verlagen für die unschätzbare Unterstützung des Projekts.

Vier Tage später:

4 Tage später - Ein Besuch der 8. Klasse in Dachau - Ein Feedback

Vier Tage später – Ein Besuch der 8. Klassen in Dachau – Ein erstes Feedback

Wir sind bewegt: Ein erstes Feedback, nachdem „unsere“ beiden 8. Schulklassen aus FFB genau vier Tage nach unserem Seminar die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau besucht haben. (hier weiterlesen)

Unter der Überschrift „Tage des Erinnerns“ berichtet ganz aktuell die Homepage der Mittelschule über den Schulbesuch von „Hannah“:

Tage des Erinnerns in den 8.Klassen 

Der Holocaust, die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte, stand am 30.5. und 3.6. im Zentrum des Unterrichts in den 8.Klassen. Hierzu trugen ein Besuch einer Künstlerin und eines Bloggers sowie der Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau bei. 

Am Freitag, den 30.5., bekamen die 8.Klassen Besuch von Peggy Steike, einer politischen Malerin, und Arndt Stroscher, der einen eigenen Literaturblog besitzt. Beide zusammen haben ein Konzept des Erinnerns an die Holocaust-Opfer entwickelt, das den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das Projekt trägt den Namen „Hannah – Gegen das Vergessen“. „Erinnern“, so der Grundgedanke des Gespanns, „muss den Opfern der NS-Verbrechen wieder einen Namen geben.“ Oftmals werden Jugendliche lediglich mit unvorstellbaren Opferzahlen konfrontiert – dass dahinter unzählig viele Einzelschicksale und Lebensgeschichten stehen, wird hierbei jedoch oft vergessen. So sorgten die beiden durch Peggy Steikes Bilder sowie dem Vorlesen aus ausgewählten literarischen Werken, die die Lebensgeschichten von Holocaust-Opfern erzählen, für eine gespannte und andächtige Atmosphäre bei den Schülern unserer 8.Klassen. 

Genauere Informationen zu diesem Projekt, sowie die Gemälde von Frau Steike, finden sich auf 

https://astrolibrium.wordpress.com/2014/06/02/hannah-ein-erster-schultag-gegen-das-vergessen/ 

Wenige Tage darauf, am 3.6., machten sich die beiden Klassen in Begleitung von Frau Schell, Herrn Rößlein und Herrn Kathrein, auf den Weg in die KZ-Gedenkstätte Dachau. Hier wurden die Schüler bei einem gut zweistündigen Rundgang umfassend über die Lebensbedingungen der NS-Häftlinge im KZ Dachau, aber auch in Vernichtungslagern wie Auschwitz, informiert. Sätze wie „So schlimm habe ich mir das gar nicht vorgestellt.“ waren sehr häufig von den Schülern zu hören – und zeigen, dass dieser Besuch, gerade vor dem Hintergrund des „Hannah“-Projekts, den Schülern einen intensiven und nachhaltigen Eindruck vom Schicksal der Häftlinge und den Grausamkeiten des NS-Regimes vermittelt hat. 

Auf das Fotografieren in der Gedenkstätte haben wir bewusst verzichtet, um im Rahmen des Rundgangs die Eindrücke und Erzählungen besser wirken lassen zu können, und um den Gedenkstättencharakter des KZ Dachau nicht in den Hintergrund rücken zu lassen.

Quelle: http://www.ms-ffb-west.de/index.php?id=339