Hallo Bücherwelt. Achtung festhalten, es geht diesmal um ein Buch, das genau in die aktuelle Phase einer kritischen Auseinandersetzung mit Literatur passt. Da schreibt ein vom Erfolg verwöhnter Autor aus der Schweiz über einen Fußballer, ohne jemals selbst auf dem Platz gestanden oder Champions League gespielt zu haben. Martin Suter. Da erzählt er von einer lebenden Legende ihres Sports, einem modernen Helden und einer Kultfigur der Fußballszene: Bastian Schweinsteiger. Weltmeister, mehrfacher Meister in nationalen und internationalen Ligen, Pokalsieger und Identifikationsfigur. Allerdings wirklich und weitgehend nur am runden Leder. Hört man Basti Schweinsteiger in seinen Interviews oder als TV-Experten zu, dann fällt einem das Prädikat „eloquent“ für seine Ausdrucksweise, gewählte Satzkonstruktionen oder für die Verwendung von passenden Synonymen eher nicht ein. Wer Basti Fantasti durch seine Karriere beim FC Bayern München gefolgt ist (ICH!), würde ihn angesichts seiner Interviews zu Life & Style eher nicht als belesenen Menschen beschreiben. In der Kategorie Lieblingsbuch klaffen hier deutliche Lücken.
Was haben wir also zu erwarten, wenn ein Nicht-Fußballer einen Kaum-Leser in den Mittelpunkt eines biografischen Romans stellt? Nun, völlig unabhängig von der Qualität der literarischen Begegnung, ganz sicher den kollektiven Aufschrei des Feuilletons. Zu banal, zu flach, zu irrelevant für die heutige Zeit. Zu wenig überprüfbar, nicht an Fakten orientiert und spekulativ und letztlich auch kaum von Interesse für die Leserschaft. Gut, die Frage, wer über was schreiben darf zirkuliert gerade wie ein Damoklesschwert über der Literaturszene und ich als Nicht-Fußballprofi aber Vielleser darf zumindest vielleicht noch über einen Teilaspekt des Buches schreiben. Als männlicher Tennislaie dann aber wohl schon nicht mehr über die zweite Hauptfigur des biografischen Romans, die Frau von Bastian Schweinsteiger, die ehemalige Nummer 1 der Weltrangliste Ana Ivanović. Ich breche allerdings mit den auferlegten Tabus und schreibe als Nicht-Schweizer und Kaum-Fußballer mit wenigen Tenniskenntnissen über genau dieses Buch, weil es mich bestens unterhalten hat. Und erst dann äußere ich Kritik zu: „Einer von euch.“
Als bekennender Fan des FC Bayern München habe ich natürlich eine besondere Affinität zu „meiner“ Nummer 31, Bastian Schweinsteiger. Das macht es dem Buch jedoch nicht leichter, da ich kritisch beleuchte, was ich aus eigener Erfahrung weiß, was ich sah, las und hörte. Ich sah unseren „Schweini“ spielen, sah ihn zweifeln, leiden und jubeln. Ich war im Stadion, wenn er gewann, verlor, gefoult und ausgepfiffen wurde. Ich war dabei, wenn die Südkurve in Ekstase erbebte, las die bitterbösen Kolumnen, wenn er mal wieder alle Regeln verletzte, feierte unseren blutenden Weltmeister und war am Ende seiner Zeit in München dankbar für eine strahlende Vergangenheit. Was mich am Roman aus der Feder von Martin Suter reizte, war nicht die Decodierung eines Helden oder gar ein Sachbuch zu dieser allzu bekannten deutschen Biografie. Nein, ich wollte mich auf die Sicht Martin Suters einlassen, ungewohnte Perspektiven erlesen und mich in Form von 370 Seiten an meiner Vergangenheit reiben. Natürlich fand ich es mehr als spannend, auf diesem Wege auch Ana Ivanović ein wenig besser kennen zu lernen.
Wenn also Martin Suter das Leben Bastian Schweinsteigers vor uns aufblättert und in der Tiefe des Raums nach wegweisenden Begegnungen und Entscheidungen sucht, in Zufall und Bestimmung stochert und Bastian selbst in Dialogen zu Wort kommen lässt, dann war ich darauf gefasst, diesem Menschen so zu begegnen, wie ich ihn selbst im Verlauf seiner Karriere erlebt habe. Ein recht typischer Bayer, der nicht dazu neigt, im Stile eines elitären Debattierers Akzente zu setzen. Er spricht und sprach Klartext. Wir können uns von seiner doch eher einfach gestrickten Redegewandtheit als TV-Experte überzeugen und sicher wird im Buch niemand erwarten, dass Martin Suter jetzt und an dieser Stelle einen Sprachhelden aus der Fußballikone machen wird. Der limitierende Faktor „Schweinsteiger“ ist da omnipräsent. Und doch gelingt es dem Erfolgsautor mit seinem Projekt in der Spur zu bleiben. Es ist Lokalkolorit und Münchner Ambiente, das die Seiten durchströmt, es ist ein spürbarer Coming-of-Age-Ansatz, dem er treu bleibt und es sind die Rahmenbedingungen, die nachvollziehbar beschrieben sind. Wem es hier allerdings an philosophischem Tiefgang mangelt, dem sei gerne wiederholt, dass es einen limitierenden Faktor im Projekt gibt. Den Jetzt-Menschen Schweinsteiger, der in seinen Entscheidungen und in seiner Selbstbetrachtung genau so beschrieben wird, wie man dies erwarten durfte und musste.
Martin Suter ist kein Menschen-Tuning-Unternehmen. Er kann nicht mehr aus einer Situation herausholen, als derjenige, den sie betraf, investiert hatte. Entscheidungen im Hause Schweinsteiger wurden mit dem Bauch getroffen. Diskutiert wurde nicht so lange und wenn, dann waren die Entscheidungsparameter zu Beginn der Karriere doch recht überschaubar. Mir gefällt diese Annäherung an den Menschen Schweinsteiger, weil sie eben so authentisch gelingt. Ungekünstelt und nachvollziehbar. Nur so lassen sich jene Schritte, Fluchten und Entscheidungen erklären, die der Sportler später treffen musste, als es schwieriger wurde. Als die Akzeptanz schwand, die Zuneigung in kleinerer Dosis akzeptiert werden musste und die Ikone hinter ihre Kulissen blicken musste. Gelungen ist dieser Spagat. Gelungen sind auch die Aufschläge, die plötzlich einen Tennisball auf dem heiligen Rasen der Fußballgötter einschlagen lassen. Die Perspektive Ivanović ist eine wahre Bereicherung für diesen biografischen Roman. Die wahren Geheimnisse in der Beziehung zweier Weltstars seien ihnen vergönnt. Was Martin Suter sich erdachte oder in welche Bilder er Spurenelemente der Wahrheit integrierte, das mag sein großes Geheimnis bleiben. Oder eben das von Bastian und Ana.
Natürlich ist das ein Fußball-Buch. Ebenso, wie es ein Tennis-Buch ist. Natürlich darf man nicht erwarten, zwei Sportikonen losgelöst von ihren eigentlichen Welten zu erleben. Natürlich ist das eine Lovestory im klassischen Sinn. Es ist schlicht romantisch weil es einfach so romantisch schlicht ist, wie sich diese Wege kreuzen und nicht mehr trennen. Und doch ist es keine Boulevard-, keine Klatschgeschichte, weil es genau dies zuletzt ist, was wir von Martin Suter erwarten dürfen. Vielleicht spielt er dann und wann mit der Wahrheit. Mit den Gefühlen der beiden Menschen, die er hier beschreibt, spielt er nicht. Ein mehr als sympathischer Aspekt am Roman ist, dass wir dieser Geschichte weiterhin folgen dürfen und können. Der Fußballer, der am Ende seiner Karriere sagte „Ich bin einer von euch“ hat sich an sein Mantra gehalten. Er ist verbindlich und stets aufrichtig. Er sagt seine Meinung und zeigt klare Kante. Wenn er mit Frau und Kindern unterwegs ist, erleben wir ihn anders. Fast ungeschminkt, weich, nicht heldenhaft. Wer also nicht gerade die literarische Erleuchtung vor dem Herren erwartet, wird hier sehr gut unterhalten. Was will man mehr? „Einer von euch“ besticht das Publikum und ist Tabellenführer der Bestsellerlisten. (PS. Schweinsteiger war nie Vizemeister…)
Ein kritisches Wort zum Schluss. Was erwartet der Fußballfan von diesem Buch? Das ist eine Frage, die man sich stellen muss und darf. Authentisch soll es schon sein, wenn es den Kern der Biografie betrifft. Der Sport ist messbar, faktischer Rahmen und nicht zu diskutieren. Angesichts der Karriere von Bastian Schweinsteiger ist es daher vorhersehbar und kalkuliert, dass dieses Buch eben genau von den Menschen gelesen wird, denen sein Name etwas sagt. Und unter denen befinden sich Fußballfans, die in und zwischen den Zeilen die schärferen Kritiker sind, als es das Feuilleton je sein kann. Es hat mich sehr gewundert, genau hier auf die zentralen Schwächen des Romans zu stoßen. Wenn ich die Hauptfigur an anderer Stelle als limitierenden Faktor bezeichnet habe, dann ist er in Sachen Fußballsachverstand der wahre Trumpf dieser Biografie. Und doch stockte mein Lesen bei einer Vielzahl von Fehlern im Fußballjargon, die ich mir auch nicht mit der neutralen Herkunft des Schweizer Autors erklären konnte, Wenn ein Basti Schweinsteiger das gelesen hätte, er hätte einigen Begriffen die rote Karte gezeigt.
Ich möchte das belegen, weil es den positiven Gesamteindruck des Buches für mich ein wenig geschmälert hat. Aus dem Suter-Schweini-Dreamteam der Pressekonferenz wird beim Lesen dann doch das Buch Suter, das wie so viele andere Werke im Hause Schweinsteiger nur Zierrat ist.
Zum Fußball-Sachverstand:
Schuhsenkel sind bei mir Schnürsenkel,
Der Spielrand ist mein Spielfeldrand,
Der Schuss ins weite Eck ist eigentlich der Schuss ins lange Eck,
Man wird nicht gegen, sondern für einen Mitspieler eingewechselt,
Der Satz:
„Doch dann, endlich, in der achtundsechzigsten Minute
wechselte Völler Schneider durch Schweinsteiger ein.
Zwei Minuten später schoss Basti aufs Tor.„
ergibt einwechslungstechnisch einfach keinen Sinn.
Und zu unguter Letzt. Den Lebenshöhepunkt einer Fußballerkarriere mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft so krachend in den Sand zu setzen, indem man die Mannschaft zur „PREISVERLEIHUNG“ antreten lässt, verursachte bei mir Gänsehaut. Hier drängt sich mit der Verdacht auf, dass der eigentliche Trumpf dieses Buches nicht als Trumpf herangezogen wurde. Die Siegerehrung hätte ich mir gewünscht.
Mein Fazit: Ein gelungener Sturmlauf, tolle Tore und ein Trainer, der dem Spiel seinen Stempel aufgedrückt hat. Erst in der Zeitlupe kann man ein paar technische Probleme erkennen, die für ein paar Abseitsentscheidungen verantwortlich waren. Das Publikum auf der Tribüne hat viele dieser Feinheiten übersehen und jubelt immer noch. Schweini Schweini Fußballgott… dröhnt es durchs weite Rund. Abpfiff. Suter raus-Rufe waren vereinzelt zu hören, werden jedoch vom Verein wegmoderiert. Vertrag verlängert…