Amos Oz und Mirjam Pressler Hand in Hand für „Judas“

Judas von Amos Oz - Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung von Mirjam Pressler

Judas von Amos Oz – Nominiert – Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Die deutsche Autorin und Übersetzerin Mirjam Pressler ist für ihre Übersetzung des Romans Judas“ von Amos Oz aus dem Hebräischen für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Es ist mir eine ganz besondere Ehre, sie als einer der Bloggerpaten der Leipziger Buchmesse mit diesem Artikel bis zur Entscheidung der Jury begleiten zu dürfen. Dieser Artikel ist ihr und dem großen israelischen Schriftsteller in besonderer Weise zugeeignet.

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Die folgende Buchvorstellung können Sie sich auch gerne anhören. Rezensionen fürs Ohr auf Literatur Radio Bayern. Folgen Sie meinen Zeilen oder meiner Stimme in dieses einzigartige Buch und lassen sich dabei von den Bildern begleiten.

Judas von Amos Oz - Mit einem Klick zur Audio-Fassung der Rezension

Judas von Amos Oz – Mit einem Klick zur Audio-Fassung der Rezension

Es hat schon etwas von „Ziemlich beste Freunde“ auf israelisch, wenn man heute versucht, dem gerade bei Suhrkamp erschienenen Roman „Judas“ von Amos Oz auf die literarische Spur zu kommen. Ein Unterstützungsloser und beziehungsgescheiterter Israeli findet nach dem unfreiwilligen Abbruch seines Studiums  Kost und Logis bei einem schrulligen alten Mann, der physisch und psychisch gebrochen zu sein scheint. Ein kleines Taschengeld soll Schmuel dafür entschädigen, wenn er seiner einzigen und wichtigen Aufgabe in der Betreuung des Greises nachkommt: Reden. Diskutieren über Gott und die Welt. Mehr verlangt die geheimnisvolle Frau nicht, die ihn engagiert.

Die Regeln sind eindeutig und klar umrissen. Ein Gesprächspartner wird gesucht für jenen Gerschom Wald, kein Pfleger. Streit und Disput sind erwünscht, das hält ihn wach und aktiv. Über nächtliche Schreie und lautes Jammern sollte er sich nicht wundern. Es ist verboten, selbst besucht zu werden und über Details der Tätigkeit im Hause Wald sei kein Sterbenswörtchen zu erwähnen. Nirgendwo. Darüber hinaus sei es ihm strikt untersagt, im Haus nach ihr zu suchen. Jener Frau, die zwar vom Alter her fast schon seine Mutter sein könnte, in ihrer zurückweisenden und doch herausfordernden Art wie ein romantisch erotischer Angelhaken in Schmuels Fleisch zu schmerzen beginnt.

Was der 25jährige Student mitbringt? Jesus. Seine unvollendete Abhandlung über den Sohn Gottes aus der Sicht des Judentums. Und warum nicht mit Gerschom Wald genau da einsteigen, wo ihn die brutale Welt einfach herausgerissen hat? Über Gott und die Welt soll er sich mit ihm unterhalten. Nichts leichter als das, denkt sich Schmuel und erhofft sich dabei mehr über den alten Mann und die Frau herauszufinden, die hier zusammen leben, ohne liiert oder miteinander verwandt zu sein. Zwei nicht sonderlich religiöse Juden gehen den großen Geheimnissen von Glauben und Politik in Jerusalem auf die Spur.

Judas von Amos Oz - Nominiert fürd en Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung

Judas von Amos Oz – Nominiert – Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Jesus also. Der Messias des Christentums aus der Perspektive des Judentums. So beginnen die Gespräche mit dem alten Mann und was mit Gott beginnt, ufert schnell aus und endet in der Welt. Gerschom und Schmuel beginnen zaghaft und steigern sich in eine tiefe theosophische Diskussion, die so nachvollziehbar, brillant und greifbar ist, dass man als außenstehender Betrachter in die Quellen der Religionen und ihrer Gemeinsamkeiten und Differenzen blicken kann.

Bis dann schließlich Gerschom Wald einen Mann ins Spiel bringt, ohne den es das Christentum mit Sicherheit nicht gäbe. Jenen Apostel Jesu`, der allein schon durch seinen Verrat zum Synonym für diesen Begriff wurde und zum „Tschernobyl“ für die Juden schlechthin mutierte. JUDAS. Ohne seinen Bruderkuss keine Kreuzigung, ohne seinen Verrat keine Auferstehung und ohne dreißig Silberlinge keine Stigmatisierung. Das gesamte Judentum wurde durch Judas Ischariot zum Gottesmörder. Ohne ihn kein Hass, keine Verfolgung, ohne ihn kein Holocaust und ohne ihn kein Staat Israel. Ein Staat, der bis an die Zähne bewaffnet gegen eine antijüdische Welt kämpft.

Das ist im Winter 1959 / 1960 nicht anders, als in den Jahren zuvor und nicht anders als in unserer heutigen Zeit. Schmuel Asch und Gerschom Wald entwickeln dabei ihr eigenes religiöses Weltbild und gelangen durch ihre geistigen Höhenflüge zu neuen Sichtweisen und tiefen Einsichten. Der Verrat als Stigma erhält ein völlig neues Antlitz und der Begriff Opfer beginnt die Gespräche zu dominieren. Bis Schmuel schmerzhaft erkennen muss, wie Gerschom und die wundervolle Frau miteinander verbunden sind.

Judas von Amos Oz - Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung

Judas von Amos Oz – Nominiert – Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Während die beiden Männer einander näher kommen, scheint es für Schmuel keinen Weg zu geben, sich der faszinierenden Atalja zu nähern. Seine Träume von ihr werden zur wilden Obsession und ihre Unnahbarkeit zum magischen Anziehungspunkt. Erst als Schmuel einen Unfall erleidet und ans Bett gefesselt ist, kommt der Moment auf den er so lange gewartet hat. Und doch merkt er sofort, dass dieser Moment mehr zerstört, als er zu vereinen in der Lage wäre.

Der israelische Opfergang ist die große Gemeinsamkeit im Leben von Gerschom und Atalja. Es ist ein gemeinsames Opfer, das sie betrauern. Ein großer Verrat, den sie nie verwinden werden. Ein Verrat an sich selbst, verursacht durch ein zerrissenes Land, eine Politik und einen Glauben, der zu all dem führt, was vielleicht niemals so war, wie es überliefert wurde. Judas.

Ein eloquenter Taumel aus Zionismus, religiösem Eifer und sexueller Obsession beginnt die Handlungsfäden in einen unaufhaltsamen Strudel zu ziehen, an dessen Ende der Leser atemlos vor geteilten Leben in einer geteilten Stadt und vor geteilten Herzen steht. Und doch hätte es ganz anders kommen können, wenn man nur die Geschichte von Judas Ischariot richtig erzählt hätte.

Judas von Amos Oz - Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung

Judas von Amos Oz – Nominiert – Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Amos Oz erzählt sie richtig. Das habe ich sofort gefühlt. Er schreibt nicht über die jüdische oder die christliche Religion. Er schreibt über Glaubensfragen, philosophiert über den gemeinsamen Ursprung und den einen Tag, an dem sich die Geschicke der Welt für immer änderten. Amos Oz bringt uns Verräter nah und erklärt ihre große Gemeinsamkeit. Die Liebe zum Verratenen. Für ihn war Judas der erste, einzige und vielleicht letzte Christ. Mit seinem Selbstmord endete alles. Niemand hatte mehr an Jesus geglaubt und niemand hatte weniger Grund ihn zu verraten.

Dass Amos Oz seine Leser am Ende dieses Romans nach Golgatha führt, ist und bleibt eins der größten Leseerlebnisse meines Lebens. Am Ende aller Diskussion und am Scheideweg der Religionen selbst in einer Menschenmenge zu stehen, die sich wegen einer Kreuzigung versammelt hat, und dabei am Rande jemanden zu erkennen, der seit diesem Tag als der größte Verräter der Menschheitsgeschichte gilt, macht diesen Roman über Gott, die Welt und die Liebe zu einem der großen Romane unserer Zeit.

„Judas“ ist ein zutiefst politischer Roman. Er ist dabei religiös, ohne zu eifern. Zeitlos und epochal. Zionistisch und doch weltoffen. Kritisch differenziert und lasziv. Und unter der Oberfläche allen Lesens ist dieser Roman so verliebt, wie ein Roman nur verliebt sein kann. Leidenschaft und obsessives Verlangen sind Triebfedern des Seins. Der Rest ist nur Geschichte, und die ist manchmal einfach nur verfälscht überliefert und macht uns zu Verrätern an der eigenen Sache.

Judas von Amos Oz - Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung

Judas von Amos Oz – Nominiert – Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Ich spreche nun wirklich kein einziges Wort Hebräisch, und trotzdem wage ich einen kleinen Exkurs, der aus meiner Sicht erklären kann, warum Mirjam Pressler zu Recht als Übersetzerin von „Judas“ für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 nominiert ist. Sie begleitet mein Lesen schon seit vielen Jahren und hat dabei unzählige Werke aus dem Zyklus Gegen das Vergessen für mich erlesbar gemacht. Sie hat mich fühlen und denken lassen, was ich niemals ohne ihre Hilfe verstanden hätte.

Und das aus einer Sprache heraus, die wohl in den letzten Jahren die größte aller denkbaren Herausforderungen für Übersetzer darstellt. Selbst Amos Oz bezeichnet seine Muttersprache als einen Vulkanausbruch mit so vielen neuen und tagesaktuellen Wortschöpfungen, wie sie sonst in keiner Sprache zu finden sind. Diese Sprache kämpft darum, nicht zur toten Sprache zu verkommen und dieser Kampf ist geprägt von einer unglaublichen Dynamik, der schrittzuhalten mehr als schwierig ist.

Wenn sich dann ein Roman auch noch mit drei Themenkreisen beschäftigt, die in sich ein solch unfassbar unterschiedliches Vokabular erfordern, um ihnen gerecht zu werden, dann ist die Übersetzung eines hebräischen Werkes mit politischen, religiösen und erotisch obsessiven Handlungsfäden eine Aufgabe für eine Übersetzerin, die sich der Dynamik der Sprache anpasst, und in sich selbst über einen Sprachschatz verfügt, der diesen komplexen Roman in unserer Sprache erzählbar macht.

Judas von Amos Oz - Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung

Judas von Amos Oz – Nominiert – Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Kein Buch wird durch den Prozess des Übersetzens und der Rückübersetzung wieder zu seinem Ausgangswerk. Jede Übersetzung lässt ein eigenständiges Werk mit einem eigenen urheberrechtlichen Anspruch entstehen. Ein Autor bringt  mit seinem Werk eine Fackel zum Leuchten, die in der Übersetzung auch für andere Kulturkreise in ihrer Strahlkraft sichtbar gehalten werden muss. Das ist hier mustergültig gelungen.

Aus einem schlechten Roman wächst in seiner Übersetzung kein Meisterwerk. Doch kann eine schlechte Transkription den besten Roman in einer anderen Sprache unlesbar machen. Bei „Judas“ sieht das anders aus. Hier gehen Amos Oz und Mirjam Pressler Hand in Hand. Einer der für mich aktuell interessantesten Romane unserer Zeit wird in all seinen Facetten aus dem hebräischen Original zu einem Leckerbissen, den ich inhaltlich, rhythmisch und sprachlich in vollen Zügen genießen kann.

Auch Mirjam Pressler hat neue Worte geschöpft. Neue Worte, die zuvor Amos Oz in seiner Sprache geschöpft hat. Dieser doppelte schöpferische Akt versetzt den Leser in ein inhaltlich geschlossenes Leseparadies, aus dem ihn kein Verrat der Welt mehr vertreiben kann. Ein Meisterwerk.

„Das Morgenlicht, das die Jerusalemer Mauern traf, wurde von diesen Mauern zurückgeworfen, weich und süß, Honiglicht, ein Licht, das Jerusalem, zwischen einem Regenfall und dem nächsten, an klaren Wintertagen streichelt.“

Judas von Amos Oz - Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse - Übersetzung

Judas von Amos Oz – Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse – Übersetzung

Unter allen Kommentatoren dieses Artikels verlose ich am Freitag um 19 Uhr ein Exemplar von „Judas“, das mir freundlicherweise von der Bloggerpaten-Jury der Leipziger Buchmesse zur Verfügung gestellt wurde…!

Warum würdest Du „Judas“ gerne lesen? Warum nur…?

UPDATE: Es ist vollbracht… Mein Patenkind hat gewonnen:

Mirjam Pressler - Preisträgerin Preis der Leipziger Buchmesse - hier zum Artikel

Mirjam Pressler – Preisträgerin Preis der Leipziger Buchmesse – hier zum Artikel

Update: 29.06.2015

Amos Oz wird mit dem Internationalen Literaturpreis 2015 des Berliner Hauses der Kulturen der Welt ausgezeichnet. Er erhält den Preis mit seiner Übersetzerin Mirjam Pressler für den Roman „Judas“. Oz gelinge es meisterhaft, in seinem Roman die großen Fragen und Konflikte der Religions- und Zeitgeschichte im Nahen Osten zu erzählen, so die Jury am Montag. Die Auszeichnung für übersetzte Gegenwartsliteratur wird am 8. Juli in Berlin verliehen. Sie ist mit 25.000 Euro für den Autor und 10.000 Euro für den Übersetzer dotiert.

Ich gratuliere Amos Oz und Mirjam Pressler von Herzen und aktualisiere diesen Artikel gerne im Falle der Verleihung des Literatur-Nobelpreises… 😉