Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr - Astrolibrium

Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

Es sind diese „Stell-Dir-vor-Rezensionen“, die sich als Stilmittel eignen, wenn es darum geht, sich den Texten von Anthony Doerr zu nähern. Es ist das Unvorstellbare, das uns der Pulitzerpreisträger von 2015 ins Leben schreibt. Es sind keine alltäglichen Geschichten, die seinen Weg in unsere Herzen finden. Und genau deshalb hilft es mir, genau mit dem einleitenden Aufruf in eine Rezension seiner Bücher zu starten. Ich bin schon einmal gut damit gefahren. „Alles Licht, das wir nicht sehen“ ebnete Anthony Doerr den Weg zu höchsten literarischen Ehren. Ich schrieb damals:

„Stell Dir vor, Du bist blind. Nicht von Geburt an, sondern langsam erblindet. Stell Dir vor, Du kannst Dich noch sehr gut an Farben und Formen erinnern, aber nun, im Alter von sechzehn Jahren hat Dich Deine Sehkraft völlig verlassen. Und doch bist Du nicht hilflos. Stell Dir vor, Du hast einen Vater, der Dir ein Modell Deiner Stadt baut und Dich mit den Fingern so lange Deine Wege ertasten lässt, bis Du es schaffst, Dich außerhalb dieser Miniaturwelt gänzlich allein zurechtzufinden. Und dann stell Dir vor, es fallen die Bomben auf deine Stadt. Wenn es pro Jahr nur ein Buch gäbe… Dieses würde mir reichen…!“ (weiterlesen oder gerne auch weiterhören)

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Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

Und nun, kaum sieben Jahre später, greife ich erneut zu diesem Stilmittel, um den Roman „Wolkenkuckucksland“ vorzustellen. Auch hier dürft Ihr Euch gerne an meiner Vorstellung reiben, Eure Bilder mit meinen vergleichen und Eurer Vorstellung von einer (für Euch) gut erzählten Geschichte gerne Gehör verleihen. Diese Erzählung hat nichts mit Mainstream zu tun. Hier ist alles im Stile einer Novelle völlig neu erzählt, in seinem Konstrukt mehr als außergewöhnlich und gewagt. Dies hier ist die Welt von Anthony Doerr. Stell Dir vor, es wäre jetzt auch Deine!

Stell Dir vor, Dir begegnet ein Buch, das so aussieht, als wäre es gerade einer großen mittelalterlichen Bibliothek abhanden gekommen. Stell Dir vor, die Vorschusslorbeeren der internationalen Presse machen Dich neugierig und lassen Dir keine Chance, dieser Geschichte zu entkommen. Und dann stell Dir vor, Du findest einfach keinen Zugang zu einem Roman, der Dich schon unmittelbar nach dem Prolog mit drei Erzählebenen konfrontiert, die nichts miteinander verbindet. Stell Dir vor, Du befindest Dich:

  • In der Zukunft – An Bord des Raumschiffs Argos im 65. Missionsjahr
  • In unserer Zeit – In der Stadtbibliothek von Lakeport und
  • In der Vergangenheit – Im Jahr 1439 in Konstantinopel

Und dann stell Dir bitte noch vor, jeder dieser einzelnen Handlungsstränge wäre so fesselnd und interessant, dass er ein eigenes Buch verdient hätte. Nur, es will Dir nicht gelingen, die Geschichten miteinander in Verbindung zu bringen. Wenn Du Dir all dies vorstellen kannst, dann herzlich willkommen im „Wolkenkuckucksland„…

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Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

Was es jetzt braucht, ist eine große Portion Urvertrauen in den Schriftsteller und die Büchermenschen, die dieses Buch schon gelesen haben. Letztere schreiben fast einstimmig vom erforderlichen Durchhaltevermögen, das letztendlich belohnt wird, von den Problemen im anfänglichen Verständnis der komplexen Textkomposition zu Beginn und den Schleiern, die sich langsam lüften und letztlich Zusammenhänge hervortreten lassen. Und der Autor zeigt uns schon vor dem Beginn seiner Geschichte, was er hier eigentlich geschrieben hat. Es ist ein großes Buch über die Liebe zum geschriebenen Wort. Eine Geschichte, die nicht nur unsere, sondern jede Zeit überdauern wird und in jeder Facette eine Liebeserklärung an die immerwährende Macht der Literatur. Hier ist es schon die Widmung des Romans, die erste Spuren legt:

„Für alle Bibliothekare,
damals, heute und in den Jahren, 
die da kommen werden.“

Wenn wir also im Wolkenkuckucksland Jugendlichen in den jeweiligen Coming-of-Age-Phasen begegnen, dann muss uns klar sein, dass Bücher eine wichtige Rolle im Roman spielen. Während sich Konstance an Bord des Raumschiffs Argos befindet, und mit den letzten ihrer und unserer Art einen Weg zu neuen Planeten sucht, bereiten sich Anna und Omeir 1453 auf die Belagerung und Eroberung Konstantinopels vor. Im heutigen Idaho werden wir in einer Bibliothek zu Zeugen eines Bücherabends, auf den sich die Kinder schon tagelang gefreut haben. Es könnte so schön sein, wäre da nicht Seymour, der mit einem Rucksack die Bibliothek betritt. Sowohl der Inhalt, als auch er selbst sind nichts anderes als tickende Zeitbomben. In der Zukunft endet die Existenz unserer Erde, in Konstantinopel steht das Ende der friedlichen Welt bevor und in Idaho enden so viele unerzählte Geschichten. Wenn nicht... Ja, wenn nicht der Autor selbst größere Pläne für seine Protagonisten hätte. Anthony Doerr plant etwas Großes…

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Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

Es gilt ihm zu vertrauen. Es gilt, sich tief in die einzelnen Geschichten fallen zu lassen und an der Seite der Heranwachsenden zu bleiben. Es gilt, dem einzigen Bindeglied in diesen einzelnen Geschichten Beachtung zu schenken. Es gilt, einem Romanfragment auf der Spur zu bleiben, das die Zeit überdauert hat und von einem utopischen Land in den Wolken erzählt. Hier liegt die Magie dieses Buches verborgen. Es ist die Kraft einer antiken Erzählung, die uns in allen Zeitebenen wiederbegegnet. Es ist eine Geschichte, die im Stile der griechischen Mythologie dem „Wolkenkuckucksland“ den Hauch einer Legende vermittelt. Es ist eine Geschichte, die nicht endet, weil sie von Konstantinopel über Idaho bis ins Weltall führt… Ihr gilt es zu folgen. Wie einst Odysseus, so erkennen auch wir die wahren Ziele erst an den Ufern, an denen wir in diesem Roman anlanden dürfen. „Wolkenkuckuckslandist im besten Sinne ein literarisches Biotop, in dem die alten Geschichten mit den neuen in symbiotische Beziehungen treten.

„Ein Requitorium“, sagt er schließlich. „Kennst du das Wort?
Das ist ein Ort zum Ausruhen. Ein Text, ein Buch ist ein Ruheort für die Erinnerungen von Menschen, die früher einmal gelebt haben.
Es bietet Erinnerungen die Möglichkeit zu bleiben, nachdem die Seele weitergereist ist.“

Wir werden mehr als reich belohnt für unsere Standfestigkeit. Anthony Doerr lässt keine Frage offen. Das entspricht nicht seinem Stil. Überraschende Wendungen haben allerdings immer Hochkonjunktur in seinen Büchern. Nichts ist hier zufällig. Im Moment des Erkennens fallen uns nicht wenige Schuppen von den Augen. Das Lesen wird hier zum Aha-Effekt mit emotionalem und literarischem Tiefgang. Viele Romane knüpfen ihr Schicksal an die Odyssee von Homer, einige erleiden dabei heftigen Schiffbruch und gehen unter, andere wiederum erobern uns im Sturm. Mein Troja erobert der Autor, weil auch er ein Trojanisches Pferd vor meine Mauern geschoben hat, das es in sich hat.

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Wolkenkuckucksland von Anthony Doerr

Ein bibliophiles Kleinod, in dessen Innerem sich die kaleidoskopische Wirkung eines großen Erzählers tausendfach bricht, aber nicht verliert. Jeder Leser, jede Leserin sieht am Ende der Geschichte eigene und unverwechselbare Muster. Jeder verliebt sich und verliert sich in einer eigenen Geschichte. An Bord der Argos, in der Bibliothek in Idaho oder vor den Toren von Konstantinopel. Unvergessen wird der rote Faden, der alles mit allem verbindet. Ebenso unvergessen die kleinen Zufälle am Rande. Wer kommt schon auf die Idee, einen Protagonisten der Argos Omicron zu nennen und ihn erst aus dem Hut zu zaubern, als eine Quarantäne an Bord erforderlich wird. Chapeau…

Ein Wort zum Hörbuch in der ungekürzten Fassung, gelesen von Frank Arnold. In der letzten Zeit verfalle ich immer mehr dem eigenständigen Medium eines Hörbuches. Von der literarischen Zweitverwertung eines Buches spreche ich hier schon lange nicht mehr. Auch diese mehr als sechzehn stündige Fassung ist perfekt eingelesen und mehr als großartig interpretiert und inszeniert. Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass ich durch die verschachtelte Komposition dieses Romans im Buch oftmals zurückgeblättert habe, um Hinweise aufzuspüren, die mir zuvor entgangen waren. Hier ist das Hörbuch alleine ein zu flüchtiges Erlebnis. Die Spurensuche rückwärts fällt schwer und es wäre ein katastrophaler Fehler, diese Geschichte en passant zu hören. Sie eignet sich nicht für zwischendurch. Als Erweiterung des Erlebnisses „Wolkenkuckucksland“ kann ich auch das Hörbuch empfehlen… Wie schreibt Anthony Doerr so schön:

„Ich weiß, warum die beiden Bibliothekarinnen dir die alten Geschichten vorgelesen haben. Weil du, wenn sie gut genug vorgelesen werden,
allem entkommst, solange die Geschichte anhält.“

Zum guten Schluss. Literatur Radio Hörbahn ist mehr als unsere GlockenbachWelle. Unter der Leitung von Dr. Uwe Kullnick entstand eine lebendige Podcast-Plattform, die inzwischen auch Gastgeber für die ganz Großen der Literatur ist. Folgen Sie gerne der Lesung aus München. Anthony Doerr und Anuschka Tochtermann, seine deutsche Stimme, in der Aufzeichnung des Livestreams aus dem Amerikahaus.

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Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur

Khomeini - Der Revolutionär des Islam - Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur

Khomeini – Der Revolutionär des Islams. Eine Biographie von Katajun Amirpur, erschienen im C.H. Beck Verlag, ist in der Kategorie Sachbuch für den Bayerischen Buchpreis 2021 nominiert. Die Rezension ist Teil meiner Auseinandersetzung mit allen zur Wahl stehenden Büchern, da ich die Preisverleihung auch in diesem Jahr als einer der drei Literaturblogger offiziell begleiten darf. Auf meiner Projektseite findet man die Hintergründe zum #baybuch, die nominierten Bücher in den Kategorien Belletristik und Sachbuch, den Bayern 2-Publikumspreis und unsere Rezensionen. Voller Spannung fiebern wir dem Ergebnis der öffentlichen Jury-Debatte entgegen, die am 11. November über die Preisträger:innen entscheiden wird.

Khomeini – Der Revolutionär des Islam von Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams von Katajun Amirpur

Es war keine Überraschung für mich, dass unter den diesjährigen nominierten Titeln für den Bayerischen Buchpreis auch ein Buch zu finden sein würde, das ich mir selbst niemals gekauft hätte. Meine Interessen sind weit gefächert, aber bei einigen Themen bin ich doch eher zurückhaltend, weil ich mich zu intensiv einlesen müsste, um meiner Meinung zum Buch mit Nachdruck Gehör zu verschaffen. Insofern ist „Khomeini“ aus der Feder von Katajun Amirpur ein echtes literarisches Brett, das als letztes Buch der Kategorie Sachbuch noch von mir gelesen werden wollte. Der Revolutionär des Islams ist mir natürlich aus den Nachrichten des Jahres 1979 bekannt. Ich war Schüler in der Oberstufe eines Gymnasiums in der Eifel und stand drei Jahre vor dem Abitur. Und ja, der schwarz gekleidete Führer der islamischen Revolution hatte Eindruck hinterlassen, war nur in Verbindung mit seinem Titel Ajatollah im Westen bekannt und errichtete im Iran die Islamische Republik. Für einen siebzehnjährigen Eifelaner war das weit weg. Und zumindest die Persönlichkeit und die Geschichte Khomeinis sollten dies für mich noch lange bleiben. Fern…

Und nun liegt eine Biographie vor mir, die sich in aller Ausschließlichkeit mit diesem charismatischen Religionsführer beschäftigt, der mir immer noch so fremd ist. Da mein Weg allerdings zu allen nominierten Werken für den Bayerischen Buchpreis führt, führt auch kein Weg an Katajun Amirpur vorbei. Ich hätte nicht gedacht, dass mir der Auftritt unseres GlockenbachWelle-Teams auf der Frankfurter Buchmesse 2021 den Weg zu diesem religionswissenschaftlichen Buch ebnen würde. Neben unserem Stand, zu dem wir vom Börsenverein des Buchhandels und der Bayerischen Staatskanzlei eingeladen wurden, war natürlich bei XPLR-Media in Bavaria auch der Bayerische Buchpreis ein  sehr relevantes Thema. Und wir erhielten als Buchpreisblogger für den Buchpreis vom Börsenverein Prokura, auch diesen Themenbereich am Stand zu vertreten, Interviews zu führen und die Bücher vorzustellen. Und so entdeckte ich am Messe-Freitag einen Leser, der in der BayBuch-Ecke Platz nahm und in „Khomeini“ versank. Und wer sich während einer Buchmesse mehr als eine Stunde nicht mehr von einem Buch trennen kann, der ist DER perfekte Ansprechpartner für einen Rat suchenden Blogger.

Khomeini - Der Revolutionär des Islam - Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur

„Sie sind Islam-Spezialist, kennen sich bestimmt mit Khomeini aus und ich darf Sie etwas fragen.“ So begann der hoffnungsvolle Versuch, mit dem Leser in Kontakt zu kommen. Was dann geschah, hat mich nachhaltig beeindruckt. Nein, er sei sicher alles andere als ein Spezialist. Er habe das Buch nur in die Hand genommen, weil er Khomeini als Schüler in den Nachrichten gesehen habe und die düstere Gestalt nicht mehr so richtig vergessen konnte. Und dann. Ja, dann habe er angefangen zu lesen und nicht mehr gemerkt, wie die Zeit vergangen sei. Das Buch habe einen zu großen Sog entwickelt, um es beiseite zu legen. Jetzt müsse er aber wirklich mal weiter. Man könne ja nicht den ganzen Tag an einem einzigen Messestand verbringen. Das Buch werde er sich allerdings kaufen. Sprach es und verschwand. Was für eine Erlösung in seinen Worten zu finden war, kann man sich kaum vorstellen. Ich verlor jede Scheu, in diese Khomeini-Biographie einzusteigen und wurde unmittelbar nach der Buchmesse belohnt. Sollte der mir unbekannte Leser diese Zeilen finden, ich danke herzlichst für diesen Schlüssel zu einem besonderen Buch.

Katajun Amirpur hat wohl geahnt, dass ich dieses Buch eines Tages lesen würde. In der Struktur und in der inhaltlichen Vorgehensweise erkennt man sofort, dass sie nicht voraussetzt, dass man sich vorher intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, In ihrer Herangehensweise liegt das sympathische Wissen, dass der Lesende nicht alles wissen kann und letztlich nur deshalb zu diesem Buch greift. Ihre Ausflüge in die Tiefe der islamischen Religionswissenschaft gelingen so leichtfüßig, dass man jederzeit gut folgen kann. Dass Katajun Amirpur weit ausholen muss, um die Bedeutung Khomeinis für den Islam und die restliche Welt hervorzuheben wird schnell klar. Der Revolutionär hatte nicht nur das Land, in dem er die Macht übernahm revolutioniert, er hatte es mit seiner eigenen Religion nicht anders gehandhabt. Hier liegen extrem spannende und erhellende Momente des Lesens vor der interessierten Leserschaft. Die Unterschiede zwischen schiitischer und sunnitischer Perspektive auf die Nachfolgefrage religiöser Führer, die dabei zur Anwendung kommenden Rechtsgrundlagen und Interpretationen sind so greifbar beschrieben, dass man sich als Zuhörender in einer Koranschule fühlt, der unbefangen und frei lauschen darf.

Khomeini - Der Revolutionär des Islam - Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur

Untermauert werden diese religionstheoretischen Betrachtungen mit der Vita des Gelehrten und späteren Revolutionsführers. Katajun Amirpur kommt dem in schwarz gekleideten Mann und dem, bezogen auf seine Persönlichkeit unbeschriebenen, Blatt in vielerlei Hinsicht nah. Sie beschreibt nicht nur die familiären Wurzeln, jene Ausrichtung der Lehre die ihn prägte und die Geschichte seiner Exile im Ausland. Nein, es sind die tragischen Jahre der Herrschaft eines Schahs, die verdeutlichen, warum Khomeini sich seiner Heimat zuwenden musste, um die Islamische Republik ins Leben zu rufen. Hier muss man der Autorin aufmerksam in ihre intensiven Beschreibungen folgen, wenn sie der Armut des Landes die Verschwendungssucht des Herrschers gegenüberstellt. Was Khomeini allerdings selbst verursachte, nachdem der Despot vertrieben war, gehört in vollem Umfang zur Geschichte dieses Buches. Dass ausgerechnet eine Frau sich dem Mann so intensiv nähert, der jegliche Beteiligung von Frauen am islamischen öffentlich sichtbaren Leben unterdrückte, verdient Bewunderung. Sie beschreibt Automatismen und Auswüchse patriarchalischer Systeme im Gegenwind moderner Zeiten und im Unterschied zur Entwicklung westlich geprägter Frauenbilder. Das ist kraftvoll und hat Wucht.

Katajun Amirpur gelingt mit ihrem Buch, den Schleier des Islams zu lüften, den viele Frauen innerhalb dieser Religion niemals lüften dürfen. Sie nähert sich diesem heiklen Thema deutlich an und schließt Kreise des Verständnisses zu ihrer Sichtweise. Es ist auch die verborgene Welt der schönen Künste, die sie für uns eröffnet. Khomeini als Dichter und Poet, als modebewusster Träger eines schwarzen Kaftans. Grotesk mag das klingen, als grotesk beschreibt die Autorin dies jedoch nicht. Man mag den Islam besser verstehen, nachdem man dieses Buch gelesen hat. Man mag besser mitreden und diskutieren können, wenn es hier um religiöse und patriarchalische Stereotype geht, die Katajun Amirpur klar aufbricht und erläutert. Das bessere Verständnis führt auf jeden Fall dazu, dass der Dämonisierung des Anderen Grenzen gesetzt werden. Für mich bleibt jedoch der Eindruck jener Islamischen Republik, den ich im Roman von Amir Hassan Cheheltan gewonnen habe. „Der Zirkel der Literaturliebhaber“ gehört zu den lesenswertesten Büchern im Niemandsland zwischen Schah und Khomeini. Es beschreibt das Ende des freien Lesens im Islam. Unvorstellbar für mich. Diese beiden Bücher gehen sicherlich in gewisser Weise Hand in Hand. Mutige Bücher. Beide. 

Khomeini - Der Revolutionär des Islam - Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur

Hier geht´s weiter mit den nominierten Autoren und Autorinnen
und ihren Werken in den Kategorien Belletristik und Sachbuch.

Ein Nachtrag: Bleibt zuletzt die Verwirrung, wie das Buch eigentlich richtig heißt. Hier findet man auf der Verlagsseite unterschiedliche Angaben auf dem Cover und im Textteil. „Islam“ oder „Islams“. Ich habe mich damit auf Instagram beschäftigt.

Khomeini - Der Revolutionär des Islam - Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur

Bayerischer Buchpreis 2021 – Meine Partnerbuchhandlung

Bayerischer Buchpreis 2021 – Meine Partnerbuchhandlung

Am Götterbaum von Hans Pleschinski [GlockenbachWelle]

GlockenbachWelle - Am Götterbaum von Hans Pleschinski - Astrolibrium

GlockenbachWelle – Am Götterbaum von Hans Pleschinski

Herzlich willkommen zu einem besonderen literarischen Stapellauf. Nach langer und intensiver Vorbereitung laden wir euch ein, unserem neuen Interview-Format zu folgen. Wir? Das sind die Glockenbachbuchhandlung in München, Literatur Radio Hörbahn und meine Wenigkeit. Wir wollen gemeinsam neue Akzente setzen, einen Impuls geben und in einer Symbiose aus Buchhandel, Radio und Literaturblog auf interessante Bücher und ihre Schöpfer*Innen aufmerksam machen. Jetzt geht´s los…

Die GlockenbachWelle

Die Premiere – Eine Buchhändlerin, ein Blogger und ein Autor im Gespräch…

Der Ort: Die Glockenbachbuchhandlung München
Die Runde: Petra Schulz (Buchhändlerin), Arndt Stroscher (Blogger) und Hans Pleschinski (Autor)

Unterstützt von Buchhändlern Pamela Scholz und Bloggerin Steffi Sack

Der Roman: Am Götterbaum von Hans Pleschinski – C.H. Beck Verlag

GlockenbachWelle - Am Götterbaum von Hans Pleschinski - AstroLibrium

GlockenbachWelle – Am Götterbaum von Hans Pleschinski

Es geht um einen Spaziergang durch München und den Versuch, den vergessenen deutschen Literaturnobelpreisträger Paul Heyse in besonderer Weise zu ehren. Ein Kulturzentrum, statt der wenig schmeichelhaften Paul-Heyse-Unterführung soll nun als Stätte der Erinnerung und der Begegnung entstehen. Eine Kontroverse, die nicht ohne Spuren bleibt, begleitet die Protagonistinnen bis zum Ziel des Ortstermins. Es sind die gegensätzlichen Positionen, die diesen flanierenden Literatursalon so spannend und unterhaltsam zugleich machen. Hier treffen die fachfremde Stadträtin, die eifersüchtige Schriftstellerin und eine charismatische Bibliothekarin auf einen Experten, eine Villa am Königsplatz und auf Menschen, die München zum pulsierenden Herzstück des Romans machen.

GlockenbachWelle - Am Götterbaum von Hans Pleschinski - Astrolibrium

GlockenbachWelle – Am Götterbaum von Hans Pleschinski

Worauf Ihr Euch freuen dürft:

  • Einen Autor, der zugleich ein echter Ritter ist… (ungelogen)
  • Drei Bücher, die uns Hans Pleschinski ans Herz legt…
  • Einen unverhofften Ausflug nach Dresden…
  • Shortcuts – kurze Fragen – kurze Antworten…
  • Paul Heyse und warum man jetzt wieder über ihn spricht…
  • Beobachtungen am Rande des Weges…
  • Die Münchner Heimsuchungen…
  • Die Antwort auf eine nie zuvor gestellte Frage und
  • Die von Petra Schulz empfohlene Bücherkette zum Götterbaum

Hier geht´s zum ersten GlockenbachWelle-PodCast bei Literatur Radio Hörbahn.

GlockenbachWelle - Am Götterbaum von Hans Pleschinski - Astrolibrium

GlockenbachWelle – Am Götterbaum von Hans Pleschinski

Zusatzinformationen:

Der Autor empfiehlt aus dem Sortiment der Glockenbachbuchhandlung:

GlockenbachWelle - Am Götterbaum von Hans Pleschinski - Astrolibrium

GlockenbachWelle – Am Götterbaum von Hans Pleschinski

Petra Schulz empfiehlt für das Lesen nach dem Götterbaum:

Wir wünschen Euch: Gutes Hören. Reitet mit uns auf der GlockenbachWelle, und lasst Euch die nächste Welle im April nicht entgehen. Es geht um Anstand, Benehmen, Umgangsformen und mehr, was Im Dschungel des menschlichen Miteinanders so undurchfdringlich scheint. Brauchen wir einen neuen Knigge? Weitere Informationen findet Ihr auf unseren Social-Media-Kanälen unter dem Hashtag #GlockenbachWelle und auf den Projektseiten der Beteiligten… Guten Wellenritt im April: Henriette Kurth

Hier geht`s zu unseren Projektseiten:
Glockenbachbuchhandlung und AstroLibrium
sowie Literatur Radio Hörbahn

Spätestens jetzt solltet ihr den Ritt wagen: Der erste PodCast ist on Air

GlockenbachWelle - auch bei Literatur Radio Hörbahn - AstroLibrium

GlockenbachWelle – auch bei Literatur Radio Hörbahn

Die GlockenbachWelle – Eine Premiere

GlockenbachWelle - Astrolibrium - Glockenbachbuchhandlung

GlockenbachWelle

Herzlich willkommen zu einem besonderen literarischen Stapellauf. Nach langer und intensiver Vorbereitung laden wir euch ein, unserem neuen Interview-Format zu folgen. Wir, das sind die Glockenbachbuchhandlung in München, Literatur Radio Hörbahn und meine Wenigkeit. Wir wollen gemeinsam neue Akzente setzen, einen Impuls geben und in einer Symbiose aus Buchhandel, Radio und Literaturblog auf interessante Bücher und ihre Schöpfer*Innen aufmerksam machen. Dabei kommt es uns darauf an, nicht mehr das reine Interview in den Mittelpunkt zu stellen. Es ist mehr als wichtig für dieses Projekt, die Location und ihr Umfeld nicht nur zur Kulisse dieses Formats zu machen. Nein, hier tanzt der literarische Bär, hier spielt sich das Leben im Kontext der Bücher ab, die in einer inhabergeführten Buchhandlung liebevoll unter die Leute gebracht werden.

Und genau hier sind wir. Im Münchner Glockenbachviertel, einem der Stadtviertel mit großer Tradition. Hier wurde seit 1476 in einem Gießhaus in Form gegossen, was für das aufstrebende München so wichtig war. Der kleine Bach trägt schon seit 1575 den wohlklingenden Namen Glockenbach. Große und kleine Geschichten machen das Viertel zu einem Herzstück Münchens. Eine Tuchfabrik, ein alter Pestfriedhof und ein paar Bezeichnungen, die zur Recherche veranlassen, prägen dieses Viertel. Wer weiß heute schon noch, was ein Brechhaus ist oder was man unter dem Wort Pechwinkel versteht. Es dauerte schon seine Zeit, bis die fortschreitende Urbanisierung Münchens aus der Ansiedlung der Pechsieder ein Viertel mit neobarocken Häusern für die besser betuchten Bürger werden ließ. Und doch blieb es tief im Herzen ein Viertel der kleinen Leute, in dem sich München von einer anderen Seite zeigte. Ein bunter Ort für große und kleine Begegnungen, weltoffen und geprägt von Toleranz und Lebensfreude. Hier schlagen Freigeister ihre Zelte auf. Hier finden wir die Glockenbachbuchhandlung, die sich der Tradition des Viertels verschrieben hat.

GlockenbachWelle - Astrolibrium - Glockenbachbuchhandlung

GlockenbachWelle

Wo sonst, wenn nicht hier könnten wir eine bessere literarische Welle erzeugen, auf der es sich gut reiten lässt? Wo sonst ließen sich Autoren und Autorinnen finden, die in der Nachbarschaft der Glockenbuchhandlung leben, hier schreiben und grübeln, in welche Bücherwelt sie uns bald entführen werden? Genau hier setzen wir an und am 19.03. feiert unser Format Premiere. Das erste Interview wird aufgezeichnet und kurze Zeit später auf der Plattform von Literatur Radio Hörbahn als PodCast verfügbar sein. Aber das reicht uns nicht aus. Wir möchten euch gerne in die Situation der Interviews mitnehmen, euch fühlen und sehen lassen, in welcher Atmosphäre sich die Gespräche abspielen. Wir werden auf unseren Facebook- und Instagram-Kanälen Impressionen, Videos und Outtakes veröffentlichen, die euch nicht nur zu Zuhörern unserer PodCasts machen.

Worauf ihr euch freuen könnt sind Interviews, in denen Schriftsteller*Innen nicht nur über ihre Werke Auskunft geben. Wir haben ein paar Eckpunkte im Format, mit denen sich unsere Gesprächspartner auseinandersetzen müssen:

  • Welche Bücher aus dem Bestand der Buchhandlung würden sie empfehlen?
  • Welchen Bezug haben sie zum Glockenbachviertel und zu München?
  • Wie reagieren die Kulturschaffenden auf unvermutete Fragen?
  • Und dann… Ja dann sprechen wir über das aktuelle Buch des Gastes!

Am Ende des Gesprächs kommt das reale Leben einer echten Buchhändlerin ins Spiel. Hier runden wir das Interview ab und lassen die Fachleute zu Wort kommen. In aller Tiefe widmen sich die Inhaberin der Glockenbachbuchhandlung Petra Schulz und ihre Mitarbeiterin Pamela Scholz genau den Fragen, mit denen sie täglich konfrontiert sind. Wenn Kunden das Buch gelesen haben, das wir aktuell vorstellen, welche Bücher sollte man dann lesen, wenn man vom inhaltlichen Fieber gepackt ist? Bücherketten im direkten Austausch mit Büchermenschen zu knüpfen gehört zu den Kernkompetenzen guter Buchhändler*Innen. Hier kommen sie zu Wort. Hier sprechen sie Empfehlungen aus, die sich sehen und lesen lassen können. Und auch das ist noch nicht alles!

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GlockenbachWelle – Die Premiere – Am Götterbaum

In der Glockenbachbuchhandlung wird das jeweils aktuelle „GlockenbachWelle“- Buch natürlich entsprechend präsentiert und signierte Autogrammkarten der Autoren oder Autorinnen liegen für die Kundschaft bereit. So versuchen wir, einige Kreise aus der digitalen Welt in das reale Leben zu schließen. Impulse zu geben, das ist es wovon wir träumen. Und, wenn wir schon mal träumen, dann darf es auch erlaubt sein, davon zu träumen, wie sich unser Format nach einer Pandemie entwickeln kann. Auch, wenn wir sicherlich gerade in dieser Zeit adäquate Antworten auf Social Distancing suchen, wollen wir in der Zukunft diese Interviews auch gerne vor Zuhörern führen. Wir hoffen, dass dies keine reine Zukunftsmusik bleibt.

Ja, und womit fangen wir an? Die GlockenbachWelle erreicht „Am Götterbaum von Hans Pleschinski, erschienen im C.h. Beck Verlag. Ein Roman, der sich durch eine große Affinität zu München auszeichnet. Ein Stadtspaziergang durch die Weltstadt mit Herz, der nur einem Ziel dient: Einem längst vergessenen Literaturnobelpreisträger ein bleibendes Denkmal zu setzen. Denn genau das ist in München nicht gelungen. Es ist die Paul-Heyse-Unterführung am Hauptbahnhof, die an den großen Schriftsteller erinnert. Hat er das verdient? Gibt es keine andere Alternative? Könnte man aus seiner ehemaligen Münchner Villa nicht ein großes Kulturzentrum entstehen lassen? Fragen, mit denen sich drei engagierte Frauen beschäftigen, die vom Rathaus zum Königsplatz spazieren, um sich vor Ort vom Zustand dieser Villa zu überzeugen. Lokalkolorit trifft auf Literaturgeschichte. Unter dieser Überschrift wird sich Hans Pleschinski unseren Fragen stellen. Der Autor wohnt nahe bei der Glockenbachbuchhandlung und ist somit wahrlich der beste Premierengast, den man sich wünschen kann.

Werdet „GlockenbachWellen-Reiter“ – Schaut euch am Freitag auf den Kanälen der Glockenbachbuchhandlung oder von AstroLibrium die ersten Impressionen an. Danke fürs Lesen und Hören.

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sowie Literatur Radio Hörbahn

Und hier geht´s ohne Umwege zum ersten PodCast. „Am Götterbaum“
Den aktuellen Hintergrundartikel zum PodCast findet ihr hier

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Die Harpyie von Megan Hunter

Die Harpyie von Megan Hunter - Astrolibrium

Die Harpyie von Megan Hunter

Seit jeher habe ich einen riesigen Respekt von den weiblichen Mischwesen der griechischen Mythologie. Harpyien. Sie begegneten mir in der Odyssee von Homer, in der Aeneis von Vergil und sogar in modernen Märchenadaptionen wie dem Fantasy Animationsfilm „Das letzte Einhorn„. Immer treten diese Halbwesen als Verkörperung des Bösen auf, werden ihrem Ruf als Sturmwinde gerecht, hausen in der Unterwelt und sind die Begleiter der Verstorbenen ins Totenreich. Sie rächen, morden, strafen und in der Troja-Saga von Vergil werden sie eindringlich beschrieben:

„Es waren Vögel mit den Gesichtern von Mädchen,
äußerst scheußlich war der Unrat ihres Magens,
hakenförmig waren ihre Hände und immer
bleich vor Hunger ihre Gesichter.“

Man sollte sich vor ihnen hüten. Besonders als Mann, eilt doch den Harpyien der Ruf voraus, Männer für das zu bestrafen, was sie zu Lebzeiten anrichten. Ich war trotzdem mehr als begeistert und neugierig, als mir das Buch „Die Harpyie“ von Megan Hunter vorgestellt wurde. Zwei Faktoren gaben den Ausschlag, warum ich es unbedingt lesen musste. Das vielleicht Aufsehen erregendste Cover des Frühjahrs und ein Plot, in den man einfach eintauchen muss, wenn man Romane über verzweifelte Liebe, Betrug und Rache mag. Hier finden wir wahrlich alles, was unser Leserherz begehrt.

Die Harpyie von Megan Hunter - Astrolibrium

Die Harpyie von Megan Hunter

Da ist sie, die treu sorgende Ehefrau und Mutter zweier Kinder, deren Leben sich schlagartig verändert, als sie davon erfährt, dass sie von ihrem Mann betrogen wird. In nur einem winzigen Moment wird die heile Welt von Lucy Stevenson zur Illusion und durch die SMS eines ebenfalls Betrogenen in tausend Stücke gerissen.

„Ihr Ehemann – Jake Stevenson – schläft mit meiner Frau…
Ich meine, dass sie das wissen sollten.“

Und da ist er, der Betrügende, der Fremdgänger, der sich mit den üblichen Phrasen zu rechtfertigen versucht. Es sei ja nichts von Bedeutung, nur etwas Sexuelles, und er werde die Affäre sofort beenden, versichert ihr der ertappte Ehemann. Was er seiner Frau jedoch tatsächlich angetan hatte, entzieht sich seinem oberflächlichen Blick. Aus ihrer Perspektive erzählt Megan Hunter diese Geschichte von Betrug und Scham. Es ist die Sichtweise von Lucy, die uns verdeutlicht, was in einer Frau vorgeht, die genau das nicht erwartet hatte. Nicht in dieser Dimension, nicht in dieser Tragweite und ganz bestimmt nicht, dass es ihr jemals passieren würde. Ihr Leben verändert sich. Es sind ihre Wahrnehmungen, die im Auge des Orkans verletzter Gefühle zum Tornado dieser verletzten Frau anschwellen. Es ist die Harpyie, die in ihr erwacht. Ein Wesen, das auf Rache sinnt und dem Vergebung fremd ist.

Die Harpyie von Megan Hunter - Astrolibrium

Die Harpyie von Megan Hunter

Jake bleibt keine andere Chance, als sich auf das Spiel der Harpyie einzulassen, um seine Beziehung zu retten. Sie – die Verletzte – will Rache, sie will verletzten, sie ist es, die jetzt das Heft des Handelns in ihre Hand nimmt. Es ist ein verhängnisvoller Deal, auf den sich das Ehepaar einigt. Drei Mal darf Lucy Jake bestrafen. Wie sie bestraft und wann sie zuschlägt, das bleibt allein ihr überlassen. Ein Spannungsbogen, der sich wie eine Kaskade aus unvorhersehbarer Gewalt über eine Geschichte spannt, und uns nicht mehr ruhig schlafen oder lesen lässt. Wir werden durch die Seiten getrieben und erhalten einen tiefen Einblick in das Innenleben einer verletzten Frau. Für Männer fühlt sich dieser Ritt durch die Gefühlswelten von Lucy an, wie eine Anklageschrift, in deren Folge nur das Wort „schuldig“ übrig bleibt. Es ist eine schmerzhafte Leseerfahrung, in jeder Konsequenz einer falschen Entscheidung die Auswüchse zu erkennen, die man im Leben eines anderen Menschen verursacht.

Megan Hunter macht es sich in „Die Harpyie“ nicht so leicht, einen unterhaltsamen Racheroman zu schreiben, in dem sich Frauen vergnügt auf ihre Schenkel klopfen und denken „Da hast du, was du verdienst, du Schwein!„. Sie greift psychologisch tiefer und erzählt in Wellen, die sich aus der Vergangenheit ins Jetzt bewegen. Sie erzählt in tiefster Empathie von zwei Menschen, die sich verloren haben. Sie erzählt davon, dass niemand ohne seine Vorgeschichte in ein gemeinsames Leben eintritt und, dass es die unausgesprochenen Geheimnisse eines früheren Lebens sind, die wie Ballast auf dem Leben mit Mann und zwei Kindern lasten. Es ist bewegend zu erkennen, wie sich eine Frau im Lauf der Zeit verändert, was Geburten in ihr auslösen, welchen Bildern sie zu entsprechen hat, wie sehr sich das Bild der Harpyie schon sehr früh in ihr festgesetzt hat und nur darauf wartete, wie ein Schläfer in Diensten eines Geheimdienstes endlich in Erscheinung treten zu dürfen.

Die Harpyie von Megan Hunter - Astrolibrium

Die Harpyie von Megan Hunter

Wer sich diesem Roman aufmerksam nähert, ob Mann oder Frau, wird mit einem Strudel aus Emotionen konfrontiert, der sich wie ein heilsamer Schock auswirken und rettend für eine wackelige Beziehungsbalance sein kann. Megan Hunter nimmt uns mit in den weißen Fleck im Leben der Menschen, die wir aufrichtig lieben. Sie klagt nicht an, sie zeigt uns nur die Konsequenzen und Untiefen auf, in die wir unbewusst steuern und untergehen. Dieser Roman ist ein Aufruf zum Dialog. Ein Impuls, sich den Welten zu öffnen, die wir nicht sehen wollen. Miteinander zu reden, um nicht den Schläfer in uns zu wecken. Vielleicht schlummert in jedem von uns eine Harpyie. Vielleicht ist der Auslöser für eine Katastrophe ganz banal. Vielleicht bedarf es Ignoranz und fehlender Empathie, um das Monster in uns freizusetzen. Und vielleicht dient dieser Roman als Beispiel für das Ausmaß der psychologischen und physischen Verletzungen, die man sich gegenseitig zufügt, ohne erkennen zu wollen, wohin das führt.

Betrogene Frauen scheinen dem Beck Verlag im Frühjahrsprogramm 2021 sehr am Herzen zu liegen. Es sind gleich zwei Romane, in deren Mittelpunkt es um Frauen geht, die sich urplötzlich in einer Situation wiederfinden, die kaum zu bewältigen ist. Es sind Frauen, die nur einen Ausweg sehen: Transformation. „Ich will kein Hund sein“ von Alma Mathijsen und „Die Harpyie“ von Megan Hunter stehen sich diametral wie Nord- und Südpol gegenüber. Während Alma Mathijsen von der unterwürfigen, und in letzter Konsequenz, irreversiblen Hundwerdung einer verlassenen Frau erzählt, steht der Roman von Megan Hunter für die Mutation einer Betrogenen in einen Racheengel. Beide Extreme sind literarisch brillant konstruiert und erzählt. In meiner Buchhandlung des Vertrauens sollten beide Bücher nebeneinander stehen. In meinem Leben jedoch wäre ich froh und dankbar, dass zwischen ihnen Platz genug wäre, um mein eigenes Buch zu platzieren. Es wäre mein Buch des Mittelweges. Nicht der fatalen Auswüchse. Es wäre vielleicht ein gemeinsames Buch über Gefahren, die einer Beziehung drohen und über Wege, sie ohne Unterwerfung oder Rache zu retten.

Die Harpyie von Megan Hunter - Astrolibrium

Die Harpyie von Megan Hunter

Um diesen Weg zu finden, sollte man die Transformationsgeschichten von Frau zu Hund oder Harpyie jedoch kennen. Das hilft ungemein weiter…