Einstein von Torben Kuhlmann

Einstein von Torben Kuhlmann - AstroLibrium

Einstein von Torben Kuhlmann – AstroLibrium

Das ist schon so eine Sache mit der Zeit. Mal rast sie davon, mal scheint sie kaum vergehen zu wollen und schleicht sich so dahin. Dann wieder hat man das Gefühl, sie hätte uns weit zurückgeworfen, nur um uns im nächsten Moment wieder in die Zukunft zu katapultieren. Es ist das subjektive Empfinden der Zeit, das uns immer wieder daran zweifeln lässt, ob unsere wertvollen Zeitmesser richtig funktionieren. Eigentlich messen Uhren ja keine Zeit. Sie zeigen sie nur an. Und so leben wir in einem ständigen Kampf zwischen gefühlter und angezeigter Zeit. Ein Kampf gegen Wecker, Normaluhren und Armbanduhren. Ein Kampf, den wir oft verlieren und zu spät zu einem Termin kommen, den wir gefühlt fast pünktlich erreicht hatten. Bei Büchern ist das vergleichbar.

Nehmen wir nur die Werke von Torben Kuhlmann. Seit vielen Jahren begeistert uns der Schriftsteller und Illustrator mit Bilderbüchern, die ihre ganz eigenen Wahrheiten zu erzählen scheinen. Und kaum hat man eines gelesen, wünscht man sich, die Zeit möge im Flug vergehen, bis ein neuer „Kuhlmann“ das Licht der Bilderbuchwelt erblickt. Und dann? Kaum ist es dann angekündigt, zieht sich die Zeit bis zum Erscheinen wie zäher Kaugummi und mag überhaupt nicht mehr vergehen. Während wir eines seiner Bücher lesen, steht sie dann wieder still und wir tauchen ab, während wir das Leben vergessen und  die Zeit verdrängen. Ein paar Tage danach haben wir schon wieder das Gefühl, es seien Jahre vergangen und Torben Kuhlmann habe schon ewig nichts mehr gezeichnet und geschrieben. Ich denke, die Fans des Multitalents kennen dieses Phänomen.

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Einstein von Torben Kuhlmann

Dabei hat sich das Warten immer gelohnt. Von „Lindbergh“ über „Armstrong“ bis zu „Edison“ und der „Maulwurfstadt„. Jedes seiner Bilderbücher stellt ein Highlight in meiner Bibliothek dar. Jedes seiner Werke relativiert populärwissenschaftliche Irrtümer und zeigt auf nachhaltige Art und Weise, warum es nicht immer Menschen waren, die als Pioniere in die Geschichte eingehen sollten. Kuhlmanns Mäuse haben die Welt in Wirklichkeit revolutioniert. Sie waren zuerst auf dem Mond, sie haben den Atlantik vor dem Menschen überflogen, sie haben das elektrische Licht erfunden und wer immer noch daran zweifelt, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Es war an der Zeit, dass sich der Mäuse-Visionär endlich mit einem Thema beschäftigt, das uns täglich beschäftigt. Es war an der Zeit, endlich wieder einen echten Kuhlmann in Händen halten zu dürfen. Es ist an der Zeit, „Einstein“ zu feiern..

Zum ersten Mal traut sich Torben Kuhlmann an einen Nobelpreisträger heran. Es ist mehr als gewagt, die Wissenschafts-Geschichte neu zu schreiben. Es ist gewagt, in Bilderbüchern zum Bildersturm aufzurufen, Legenden vom Sockel zu stoßen und diese dann durch Mäuse zu ersetzen. Es ist gewagt, neue Legenden zu erfinden und sich in seinen Büchern derart weit aus dem Fenster zu lehnen. Noch gewagter jedoch scheint es, nun den unangefochtenen Meister der Relativitätstheorie und Nobelpreisträger des Jahres 1921 aufs Korn zu nehmen und ihm eine Maus unterzuschieben. Typisch Kuhlmann, könnte man sagen. Er macht auch vor den Größten der Großen nicht Halt.

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In „Einstein. Die fantastische Reise einer Maus durch Raum und Zeit“ erleben wir eine Kuhlmann-Maus im Zustand riesiger Vorfreude. Das große Käsefest steht auf dem Plan. Ungeduldig macht sich die Maus im Jahr 1984 zum ersten Mal auf den Weg ins Mäuse- und Käseparadies Bern. Das Warten hatte sich elendig lange hingezogen. Die Zeit vor der riesigen Taschenuhr wollte kaum vergehen und als die Maus endlich in Bern angekommen war, erlebte sie den Schock ihres Lebens. Zu spät. Ein ganzer Tag zu spät. Statt Käse fand sie nur leere Kisten und Hallen vor. Was für ein Schlag in den kleinen Mäusemagen. Wer jedoch Torben Kuhlmanns Mäuse kennt, weiß, dass wir hier nicht am Ende einer Geschichte stehen, sondern gerade an ihrem Anfang. Hier gibt es kein Scheitern, hier gibt es kein „zu spät – Pech gehabt“. Hier gibt es nur den Moment, in dem sich die Maus die Frage stellt, ob sie die Zeit nicht um einen Tag zurückdrehen kann… Ein großes Abenteuer beginnt…

Torben Kuhlmann fabuliert und illustriert erneut auf höchstem Niveau. Er erreicht mit seiner Fantasie eine Zielgruppe, die heterogener und doch geschlossener gar nicht sein könnte. Kinder lassen sich von den warmen Bildern fesseln, Jugendliche sind vom ersten Augenblick durch den wissenschaftlichen Ansatz jenes Bilderbuchs gebannt und Erwachsene erleben ein Wechselbad der Gefühle, wenn sie mit der Mutter aller Fragen konfrontiert werden. „Warum?“ Die Maus erkundet das Geheimnis der Zeit, sie nähert sich experimentell, verstellt Uhren und beobachtet die Konsequenzen. Sie begegnet in Bern einem genialen Mäuse-Uhrmacher, der sie in die Geschichte der Uhren einweiht. Und doch weiß sie, dass es ihr niemals gelingen wird, das Käsefest zu erleben, indem sie die Uhrzeit verändert. Bleibt nur der gewagteste aller Gedanken. Eine Reise durch die Zeit.

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Torben Kuhlmann spielt mit allen Elementen einer fantastischen und doch auch wissenschaftlich angelegten Geschichte. Seine Ausflüge in die Theorie werden von der neugierigen Maus sofort in die Tat umgesetzt. Hier wird nicht nur gelötet, gebastelt und geschraubt, hier bedient sich die Maus der damals modernsten Technik, um ihren Sprung durch Raum und Zeit wagen zu können. H.G Wells und Die Zeitmaschine hat hier ein neues Mäuse-Level erreicht. Allerdings geht es nicht in die Zukunft. Es geht in die Vergangenheit. Zurück in der Geschichte. Ein Tag nur. Dann. Käsefest. So lautete jedenfalls der Plan. Am Ende der gewagten Reise ist jedoch nichts mehr, wie es zuvor einmal war. Wir schreiben das Jahr 1905 und die Maus ist ratlos, wie es ihr jetzt ohne elektronisches Superhirn gelingen könnte, wieder nach Hause zu kommen. Ganz ohne Computer scheint es unmöglich zu sein.

Jetzt hat uns Torben Kuhlmann genau da, wo er uns die ganze Zeit schon haben wollte. In einer Zeit, in der Wissenschaftler noch selbst denken mussten. In einer Zeit, die die Welt und die Technologie veränderte. In einer Zeit, über die wir heute nur noch staunen können. So öffnet er uns die Pforte zu einem Mitarbeiter des Patentamtes in Bern und verändert den Lauf der Zeit und dieser Geschichte. Die Maus trifft auf einen gewissen Albert Einstein. Torben Kuhlmann hat sich das gut ausgedacht. Er hat seine Geschichte brillant umgesetzt. Sein Mix aus wissenschaftlicher Geschichte und absolut an den Haaren herbeigezogener Mäuse-Legende ist faszinierend und brillant zugleich.

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Einstein von Torben Kuhlmann

Wir gehen ihm erneut auf den Leim und landen in seiner literarischen Mäusefalle. So kann es doch gewesen sein. Warum eigentlich nicht?. Das klingt so logisch und wir kennen ja schon Mäuse, die auf dem Mond waren. Herrlich, wie es ihm erneut gelingt, uns eine Maus auf den Rücken zu binden. Seine Bilderbücher regen dazu an, sich in der Folge des Lesens und Staunens mit der Materie auseinanderzusetzen. Im Anhang findet sich ein atmosphärisch gestalteter Sachbuchteil zu Albert Einstein und zur Zeit. Lehrreich und interessant. Dieses Bilderbuch hat es erneut in sich. Zeitreisen werden intensiv auf den Prüfstand gestellt. Der Wert von Uhren und ihre Geschichte steht im Fokus der Betrachtung und nicht zuletzt öffnen sich Türen zu einer Wissenschaft, die uns immer noch rätselhaft erscheint. Ein Quantensprung für ein Bilderbuch.

Hier ist nichts relativ. Hier ist alles absolut. Absolut Kuhlmann. Jetzt sitze ich vor diesem Buch und wünsche mich in der Zeit zurück, um es erneut lesen zu können. In ein paar Tagen wird es mir wieder so vorkommen, als hätte Torben Kuhlmann schon ewig nichts neues mehr geschrieben. Hach, die Relativitätstheorie der Literatur ist und bleibt ein Buch mit sieben Siegeln Habt einfach Spaß mit „Einstein“…

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Einstein von Torben Kuhlmann

Mehr zu Zeitreisen und Albert Einstein findet ihr jederzeit auf AstroLibrium. Ich halte die Zeit für euch an, damit ihr die Buchvorstellungen ganz in Ruhe lesen könnt.

Neues vom Meister-Illustrator zum 60. Geburtstag vom NordSüd Verlag

Der Clown sagte Nein - Mischa Damjan und Torben Kuhlmann - Astrolibrium

Der Clown sagte Nein – Mischa Damjan und Torben Kuhlmann

Der Stein und das Meer

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Der Stein und das Meer

Stell Dir vor, Du musst in Quarantäne und hast keine Bilderbücher zur Hand. Gar nicht schlimm, sollte man meinen! Besonders, wenn die eigenen Kids schon erwachsen sind und Du gar nicht mehr in die Verlegenheit kommst, Dich zum gemeinsamen Lesen mit ihnen zu verabreden. Weit gefehlt. Eine Feststellung, die ich in den letzten Wochen als Literaturblogger gemacht habe. Denn ich habe sie zur Hand. Die illustrierten Bücher für Lesende jeder Altersstufe. Bilderbücher haben einen großen Stellenwert in meinem Leben. Sie sind die Türöffner für ein belesenes Leben, Schlüssel für Schlüsselmomente des gemeinsamen Erlebens und formbare Container für einen Wertevorrat, den man an seinen Nachwuchs weitergeben möchte. Moral-Kapital-Anlagen im allerbesten Sinn.

Gerade jetzt, gerage hier und gerade in schwierigen Zeiten gehören Bilderbücher in jede gut geführte private Bibliothek. Corona-Krise, Viren, Ausgangsbeschränkung, Lockdown, COVID19, geschlossene KiTas und Buchhandlungen. Das sind Schlagworte dieser Tage. Ein Horrorszenario für Eltern, die nun jede Rolle spielen müssen. Nicht nur Freunde und Freundinnen ihrer Kinder sind zu ersetzen, nicht nur Erzieher müssen im privaten Betreuungsprogramm kompensiert werden. Nein, nun ist man plötzlich sogar noch der uneingeschränkt zuständige Unterhaltungsdirektor der eigenen Familie. Wenn man nicht nur auf das Fernsehgerät oder das Internet bauen will und den gemeinsamen Spielen weitere inhaltsvolle Reize beisteuern möchte, ist man gut beraten, Bilderbücher in unmittelbarer Reichweite zu haben.

Der Stein und das Meer - AstroLibrium

Der Stein und das Meer

Tja, und als LiteraturBlogger und Vater erwachsener „Kinder“ kann man aus dem Vollen schöpfen und in kleinen verschworenen Gruppen (WhatsApp) in kleinen Videos Bilderbücher für die Kinder der Mitarbeiter und Kollegen vorlesen. Einerseits kann das eine ganz kleine Entlastung für die Eltern sein, und andererseits ist es eine Möglichkeit, die Rezensions-Exemplare meiner Bilderbuch-Verlage einem Stresstest zu unterziehen. Halten sie, was sie versprechen? Wie kommen sie bei der Zielgruppe an und schaffen sie es, nicht nur für einen kurzen oberflächlichen Moment zu unterhalten, sondern sind sie in der Lage, Impulse zu geben, die vielleicht sogar prägend sein können. So sah sie aus, meine Ausgangslage, als ich mich vom Rezensieren entfernte und plötzlich vor der Kamera saß und Bilderbücher zum Besten gab.

Die Reaktionen auf die Bilder und Geschichten kamen sofort. Sie kamen spontan, ungefiltert und von Grund auf ehrlich. Und so sitze ich nun hier und stelle euch eins dieser „getesteten“ Bilderbücher in der kleinen literarischen Sternwarte vor. Der Stein und das Meer“ aus den kunstvollen Federn von Alexandra Helmig (Text) und Stefanie Harjes (Illustration) ist eine der aktuellen Neuerscheinungen aus dem Hause Mixtvision Verlag, den ich noch im März in München besucht hatte. Hier sprang mir das Buch ins Auge, hier konnte ich nicht widerstehen und nun sollte sich zeigen, ob sich mein Gefühl bestätigen würde, oder nicht. Ja, zugegeben, die Ausgangslage war nicht einfach, aber der Verlag selbst zeigte auf seinem Instagram-Profil, wie kreativ man mit der besonders schwierigen Situation umgehen kann. Das war und ist großes Bilderbuch-Kino…

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Der Stein und das Meer

Der Stein und das Meer ist eine Bilderbuchgeschichte über Sehnsucht, Zeit und Vergänglichkeit. Wir lernen „Sören„, einen kleinen grünen Stein, kennen. Seit ewigen Zeiten ist er auf einem Felsen im Meer gefangen. Er sehnt sich danach, endlich frei zu sein. Er möchte sehen, woher die Dinge kommen, die er täglich auf dem Wasser sieht. Neugier treibt ihn an und doch ist er einfach nur ein Stein. Passiv. Bis ihn ein Sturm in die Fluten wirft und er endlich ganz nah am Strand zur Ruhe kommt. Die Zeit geht nicht spurlos an ihm vorüber. Die Brandung lässt ihn kleiner werden. Die Flut scheint ihn im Lauf der Zeit immer weiter aufzureiben. Viele Menschen ziehen wie Silhouetten an ihm vorüber. Bis er von einem kleinen Mädchen gefunden wird, das „Sören“ gerne mit nach Hause nehmen würde. Ihre Mutter erklärt ihr, was ein wahrer Glücksstein ist und bringt das Mädchen zum Grübeln. Sollte man „Sören“ mitnehmen oder ihn am Strand lassen? Keine leichte Entscheidung und doch eine, die prägend für ein ganzes Leben ist.

Diese Geschichte regt die Fantasie an. Haben Dinge eine Seele? Was ist Zeit? Darf man einfach alles mitnehmen was man findet und darüber bestimmen? Bringt es Glück, seine Heimat zu verlassen und warum wird der Stein in der Brandung immer kleiner? In vielen Facetten bieten sich Anknüpfpunkte für ein gemeinsames Lesen und Leben. Wir erkennen schnell, dass manche Reise genau dort endet, wo sie mal begonnen hat. Und doch war es das Abenteuer wert. Sind wir selbst wie Steine im Strom der Zeit? Und was würden wir gerne sehen und entdecken, wenn wir frei wären. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dies verdeutlichen auch die Bilder, die den sehnsuchtvoll poetischen Ton des Textes umfließen und die Geschichte zu einem lebendigen Wimmelbild werden lassen.

Der Stein und das Meer - AstroLibrium

Der Stein und das Meer

Ich habe versucht, beim Vorlesen einen zusätzlichen Impuls zu setzen. Die Eltern hatten im Vorfeld kleine grüne Steine vorbereitet, die am Ende der Geschichte zufällig vor den Kindern lagen. Nun sollten sie entscheiden, ob man sie behält oder ihnen ihre Freiheit zurückgibt. Die Reaktionen zeigten, dass „Der Stein und das Meer“ nicht nur ein einfaches Bilderbuch ohne Botschaft ist. Einige Kinder wollten sich nicht von ihrem „Sören“ trennen, da der Stein plötzlich eine eigene Persönlichkeit und eine Geschichte hatte. Andere nahmen ihn mit zu einem Spaziergang und suchten sichere Plätze, weil ein Glücksstein ja nur dort Glück bringt, wo er gefunden werden möchte. Manchmal ist es einfach interessant, den Dingen seinen freien Lauf zu lassen. Kinder können Dinge nicht nur gut verlieren. Sie können Dinge finden und ihnen eine eigene Geschichte im Leben geben. Wie auch immer. „Der Stein und das Meer“ ist ein Bilderbuch mit einer Seele und einem intensiven Innenleben. Wir alle sind „Sören“ und sollten Erfahrungen machen dürfen, die uns auch mal aufreiben und erstmal kleiner werden lassen.

Wort und Bild gehen im Bilderbuch „Der Stein und das Meer“ Hand in Hand. Auch wenn sich die Illustrationen deutlich vom Stil vergleichbarer Geschichten unterscheiden, sind die Collagen und Suchbilder wesentlich für den Erfolg dieser Geschichte. Zeit wird sichtbar und ein Hauch von Surrealität lässt dem Denken in und zwischen den Zeilen der Geschichte viel Freiraum. Und wenn Kinder heute etwas ganz besonders brauchen, dann das: Freiraum und Freestyle im Denken. Versucht es mit eurem Sören

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Der Stein und das Meer

Der Mixtvision Verlag ist immer einen Besuch wert und schon bald geht es hier mit „Vront – Was ist die Wahrheit“ weiter. Es wird dystopisch und brandaktuell…

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Der Stein und das Meer

Rapunzel, lass dein Haar herunter – Francesca Dell´Orto

Rapunzel von Francesca Dell´Orto - AstroLibrium

Rapunzel von Francesca Dell´Orto

Es war einmal. So begannen sie fast alle. Die guten Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. Und so, wie wir diesen Beginn noch in den Ohren haben, so ist auch das Ende der magischen Geschichten präsent. „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“. Zur Unterhaltung dienten diese Märchen nur in seltenen Fällen. Sie sollten lehrreich sein, mahnend und mit zumeist erhobenem Zeigefinger die jüngsten Leser und Zuhörer auf den richtigen Weg führen. Dazu fragte man gerne nach der letzten Seite nach der Moral von der Geschicht´. Erziehungshelfer in Märchenform. Das hat sich eigentlich wenig verändert, weil auch heutige Märchen Botschaften in sich tragen, die sich spielerisch einprägen und verfestigen sollen. Damals jedoch ging es da ein wenig heftiger und direkter zu.

Von Hänsel bis Gretel, vom Rotkäppchen zum Froschkönig, über Hans im Glück zum Rumpelstilzchen und bis zur Bienenkönigin. Die Liste der Märchen ist lang und wohlklingend. Viele sind uns in guter Erinnerung geblieben, vor einigen fürchten wir uns noch heute. Und, ganz ehrlich: Haben wir sie nicht schon unseren eigenen Kindern mit der Absicht vorgelesen, sie mögen sich schon ein wenig schaudern, wie wir selbst? Im Wald allein mit der eigenen Schwester? Ein Knusperhäuschen und eine Hexe? War da nicht ein uraltes Gruselgefühl in uns verborgen, das wir so gerne weitergeben? Ich bin ganz ehrlich. Ich habe diese Märchen vorgelesen. Aber auch die mit einem Happy End. Jene Märchen, bei denen sich der Held heillos verstrickte und dann doch das Herz der Angebeteten eroberte. Denke ich an solche Märchen, dann denke ich an Haare.

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Rapunzel von Francesca Dell´Orto

RAPUNZEL

Wer kennt diese Worte nicht? Rapunzel, lass dein Haar herunter. Wer sieht dabei nicht die wallende blonde Mähne aus dem Turmfenster herabfallen und wer sieht nicht den jungen Prinzen an der Löwenmähne des Mädchens bis in die höchste Turmspitze klettern? Oh ja. Das sind Bilder, die ein Märchen tief in uns eingebrannt hat. Und es ist eine Geschichte, die zwar eigentlich recht schmal daherkommt, es aber faustdick hinter den Märchenohren hat. Der Bohem Verlag scheint sich diesen Märchen verpflichtet zu haben. Hier hat man es nicht aufgegeben, den Klassikern neues Leben einzuhauchen und sie in neuem Licht erstrahlen zu lassen. Das beste Beispiel in diesen Tagen bringt nicht nur alte Erinnerungen zurück, es pflanzt auch neue, weil Francesca Dell´Orto in ihrem aktuellen Bilderbuch die Geschichte auf einzigartige Weise illustriert.

Textlich bleibt man nah am Original. Gertrud Posch und Annabel Lammers gelingt der Spagat zwischen verständlicher Textgestaltung und authentischem Ursprungswerk. Die Geschichte kommt im traditionellen Klang der Gebrüder Grimm daher. Sie ist nicht simplifiziert auf die jüngsten Leser heruntergebrochen. Sie lebt im Sinn der mündlichen Überlieferung und macht Vorleser oder Lesebegleiter zu Vermittlern zwischen der Welt der Gebrüder Grimm und unserer modernen, medial geprägten, Lebenslandschaft. Sie gibt Spielraum für Erklärungen und fordert dazu auf, aktiv gelesen, kommentiert und in den Kontext unserer Zeit eingeordnet zu werden.

Rapunzel von Francesca Dell´Orto - AstroLibrium

Rapunzel von Francesca Dell´Orto

Keine leichte Geschichte für Kinder. Sie warf schon immer Fragen auf. Ein Mädchen, das vom eigenen Vater einer bösen Zauberin versprochen wird, weil ihre eigene Mutter den Heißhunger auf Rapunzeln nicht zügeln kann. Eine Zauberin, die dieses Mädchen wegsperrt und vor den Augen der Welt verbirgt. In der Spitze eines Turms ohne Treppe oder Tür. Nur ein Fenster lässt den Blick nach draußen zu. Und wenn die Zauberin zum unglücklichen Rapunzel wollte, dann sprach sie die magischen Worte „lass dein Haar herunter“ und kletterte am aufgelösten Zopf in die Spitze des Turms. Ein Prinz, der sie dabei beobachtete, die Worte wiederholte und sich in das schönste Mädchen der Welt verliebte. Viele Besuche. Eine ungewollte Schwangerschaft und eine Zauberin, die sich betrogen fühlt.

Ein verstoßenes Mädchen, dem man die Haare abgeschnitten hatte, ein Prinz, der von der Zauberin in eine böse Falle gelockt wird. Sein Sturz aus dem Turm. Die Rache der Zauberin. Mit Blindheit geschlagen irrt der Prinz jetzt durch die Welt. Weinend und jammernd, weil er Rapunzel und das inzwischen geborene gemeinsame Kind verloren hatte. Ja, das wirft Fragen auf. Das kann Ängste erzeugen. Kein leichter Stoff für junge Seelen. Wird man für die Laster der Mutter bestraft? Endet es in einem Gefängnis hoch über dem Boden? Wird man selbst verstoßen und gezeichnet, wenn man Fehler macht und ist der Prinz wirklich verliebt oder nutzt er die Lage des Mädchens aus. Man muss Antworten geben, sonst hängt die Geschichte in der Luft. Aktive Begleitung ist nötig.

Rapunzel von Francesca Dell´Orto - AstroLibrium

Rapunzel von Francesca Dell´Orto

Francesca Dell´Orto bietet ihre visuelle Begleitung an. Sie kleidet das Märchen in ein farbenfrohes und leuchtend helles Gewand. Sie weiß, wie die Geschichte endet und ist in der Lage in ihren Illustrationen den Hauch von Hoffnung zu versprühen, den der Text nicht verspricht. Die Detailverliebtheit der großformatigen Gemälde (sie nur als einfache Illustrationen zu bezeichnen würde ihnen nicht gerecht werden) lenkt unseren Blick auf Pflanzen und Tiere, den Nachthimmel und die Farbenvielfalt des wahren Lebens. Trost und Zuversicht sind Grundlagen dieser Illustrationen. Sie sind Wegweiser eines Happy Ends, das in dieser Form für Märchen absolut außergewöhnlich ist. Hier überschreitet Francesca Dell´Orto die Grenzen, die ihr von einem Bilderbuch gesetzt werden. Was man auf zwei Seiten nicht erzählen kann, lässt sich erweitern. Viele der Bilder können aufgeklappt werden und werden so zu einem vierseitigen Kosmos einer Bilderbuchwelt, die ihresgleichen sucht.

Mit Fug und Recht glauben wir am Ende der Zeile: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Vielschichtig ist diese Geschichte zu interpretieren. Das Essverhalten der Mutter, die unstillbare Gier nach Rapunzeln und die Bereitschaft, ein ungeborenes Leben als Entlohnung anzubieten, ähnelt dem egoistischen Bild, dass man das Greifbare dem noch Anonymen stets vorzieht. Der Turm wird für Rapunzel zur Isolationshaft und die Beziehung zum Prinzen ist der einzige Ausweg, der ihr bleibt. Es ist Abhängigkeit in Reinformat, die hier beschrieben wird. Die Verhältnisse kehren sich um, als sie ihm erneut begegnet. Rapunzel, selbst Mutter, frei und selbständig. Er, blind und auf der Suche. Aspekte, die dieser Geschichte Tiefe verleihen. Es ist ein einfaches Märchen. Und doch ist es genau das nicht.

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Rapunzel von Francesca Dell´Orto

Rapunzel, lass dein Haar herunter ist eine typische Entwicklungsgeschichte. Sie entwickelt sich sukzessive mit dem Lebensalter und dem Erfahrungsschatz des Lesers. Wenn man dieses Märchen im Abstand von mehreren Jahren liest, erkennt man immer neue Seiten. Die Interpretationen verändern sich, Botschaften werden greifbarer und in den Illustrationen werden Schattierungen sichtbar, die man zuvor nicht wahrgenommen hat. Die wahre Magie dieses Märchens entfaltet sich im gemeinsamen Lesen. Hier sind Vater und Mutter gefordert, Antworten anbieten zu können. Antworten, die der Situation der eigenen Familie entsprechen. Fragen auf- und ernstzunehmen, die ganz sicher von Kindern gestellt werden.

Wie kann man nur sein Kind verschenken? Warum wird Rapunzel weggesperrt? Hat der Prinz sie wirklich lieb? Wo sind Rapunzels Eltern, als sie von der Zauberin aus dem Turm verstoßen wird? Warum sagt sie, dass ihre Kleider zu eng werden? Der Text geht mit ihrer Schwangerschaft nur in dieser Andeutung um. Hier werden wir von einer ganz intensiven Form der kindlichen Neugier herausgefordert. Dem haben wir uns zu stellen. Ein Bilderbuch ist niemals Unterhaltung als Selbstzweck und zum isolierten Zeitvertreib gedacht. Begebt euch nicht in die Turmspitze und lasst Eure Kinder nicht alleine. Lasst Euer Haar herunter und gewährt Euren Kindern ein gemeinsames Erlebnis, auf dem sie lebenslang aufbauen können. Bilderbuchwelten sind gemeinsame Welten.

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Rapunzel von Francesca Dell´Orto

Rapunzel, lass dein Haar herunter“ von Francesca Dell´Orto / Bohem Verlag/ Text der Gebrüder Grimm bearbeitet von Gertrud Posch und Annabel Lammers / 52 Seiten / ab 3 Jahren / 22 x 30cm / vollfarbig / Hardcover mit aufklappbaren Panoramaseiten und Prägung auf dem Cover / 24,95 Euro

Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

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Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

Der Titel dieser Rezension beinhaltet schon alle Verunsicherungen, die mich beim Schreiben dieser Zeilen begleiten. Eigentlich sollte ein anderer Name dort auftauchen. Der Name des Autors, mit dem man dieses Buch in Verbindung bringt, wie man selten zuvor einen anderen Autor mit seinem Werk assoziiert hat. Antoine de Saint-Exupéry ist zum Synonym für den kleinen Prinzen geworden. Erwähnt man einen Namen zieht der andere automatisch mit ins Feld. Sie zu trennen, erscheint mir wie ein literarisches Sakrileg. Das erschwert meine Herangehensweise an ein Buch, das ich schon jetzt als absolutes Buchkunstwerk bezeichnen muss. Was jedoch die Fragen seiner Entstehung und der Philosophie, die dahintersteckt, nicht beantwortet.

Seit dem 1. Januar 2015 ist der kleine Prinz gemeinfrei. Mir gefällt dieser Begriff in keiner Weise. Vogelfrei klingt da vielleicht besser. Genau 70 Jahre nach dem Tod eines Schriftstellers besteht kein urheberrechtlicher Schutz mehr für eine Geschichte, die aus seiner Feder stammt. Im Rahmen des kreativen schöpferischen Wettbewerbs darf das geistige Eigentum nach Ablauf dieser Schutzfrist kostenfrei und ohne jeglichen Verweis auf den eigentlichen Urheber frei verwendet werden. Ja, wir könnten uns jetzt alle ganz gemütlich an die Schreibtische zurückziehen und unsere Varianten des kleinen Prinzen zu Papier bringen und veröffentlichen, ohne dabei auch nur im Geringsten das Original zu erwähnen. Wenn man nun bedenkt, dass „Der kleine Prinz“ mit über 140 Millionen verkauften Exemplaren zu den weltweit erfolgreichsten Büchern gehört, vielleicht sogar ein lohnenswerter Gedanke.

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Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

Trennen wir jetzt also Antoine de Saint-Exupéry von seinem kleinen Prinzen. Ein Denkprozess, der mir nicht leichtfällt. Das muss ich voranschicken. Nur welchen Zweck kann es nun haben, sein Werk in neuer Form auf den Markt zu bringen? Lassen wir die rein finanziellen Aspekte mal ganz außer Acht. Haben wir es mit Neuinterpretationen zu tun, gar mit einer Hommage an den legendären Schöpfer oder bietet sich erstmals die Chance, ein in die Jahre gekommenes Werk neuen Lesergruppen zu erschließen? Hat „Der kleine Prinz“ in seinem ursprünglichen textlichen und bildlichen Gewand noch eine Relevanz für junge Leser, oder haben wir Erwachsenen ein Werk mystifiziert und damit eine fast schon sakrale Ebene gestaltet, die es für jede Kritik unerreichbar macht? Sind wir zu weit gegangen und haben das Buch denjenigen entfremdet, für die es eigentlich geschrieben wurde?

Haben wir es zu oft mit erhobenem Zeigefinger verschenkt, darum wissend, dass sein Inhalt nicht so leicht zu verstehen ist, wie wir es so gerne vorgeben? Haben wir es zugelassen, dass „Der kleine Prinz“ zum Jakobsweg der Literatur mutierte, den wir als sogenannte „Gutmenschen“ bis zum letzten Blutstropfen verteidigen? Haben wir Paulo Coelho und Saint-Exupéry zu einem transzendentalen Bündel geschnürt, das sich über so manche Glaubensrichtung erhebt? Und wie würde jener abgestürzte Pilot sein Buch heute schreiben, wenn er in die Herzen junger Menschen vorstoßen wollte. Sind seine Bilder noch zeitgemäß? Haben sie noch Aussagekraft oder könnte man sie im Kontext unserer Zeit aktueller gestalten? Wir leben in einer veränderten Gesellschaft. Könnte in diesem Zusammenhang der Kleine Prinz nicht mal transferiert werden?

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Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo (erschienen im Mixtvision Verlag) aufschlug. Eine sehr ambivalente Gefühlswelt begleitete mein Lesen, mein Betrachten der Illustrationen und mein Staunen über ein erzählendes Bilderbuch aus der Feder dieses kongenialen Duos, das schon mit „Die große Wörterfabrik“ und „Die Schneiderin des Nebels“ für Furore gesorgt hat. Ich bin ein großer Fan ihrer Werke. Ich habe sie oft verschenkt und an den Reaktionen junger Menschen bemerkt, wie tief sie berührt wurden. Und jetzt ein echtes literarisches Wagnis unter veränderten Rahmenbedingungen. Wo setzen diese beiden Buchkünstlerinnen an? Was verändern sie? Wo entsteht etwas Neues und was verbleibt von der Ursprungsfassung? Ist es eine Hommage? Öffnen sie jungen Lesern die Tür zu einer Geschichte, die so langsam anzustauben drohte?

Ich zuckte zurück. Blätterte hin, blätterte her, suchte, fand nicht. Eine Hommage? Nein. Dazu müsste man den Urschöpfer erwähnen. „Nach dem Original von…“ oder „In Anlehnung an…“ oder zumindest „Frei nach…“! Aber nein. Antoine de Saint-Exupéry wird im Bilderbuch mit keiner Silbe erwähnt. Und auch der Untertitel des Buches lässt keine Rückschlüsse zu:

Nacherzählt von Agnès de Lestrade
Illustriert von Valeria Docampo

UPDATES zur Erwähnung von Antoine am Ende des Artikels….

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Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

Allein der Begriff „Nacherzählt“ lässt auch darauf schließen, dass in rein textlicher Hinsicht kein Neuland zu erwarten ist. Auch Neuübersetzungen scheuen davor zurück, die weltbekannten Zitate zu verändern, weil ja gerade sie auf immer und ewig für einen hohen Wiedererkennungswert stehen. Klingt wenig konsequent, wenn ich ein Buch neu interpretiere, oder eine Variante veröffentliche, die nur noch an das Original angelehnt scheint. Und so findet man auch in dieser Nacherzählung, was zu erwarten war:

„Man sieht nur mit dem Herzen gut.
das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

„Du bist für immer verantwortlich für das,
was du dir vertraut gemacht hast.
Du bist für deine Rose verantwortlich.“

„Was bedeutet zähmen?“
„Es bedeutet sich vertraut miteinander machen und anzufreunden.“

Und so finden sich neben diesen uns so sehr ans Herz gewachsenen Zitaten auch die Wegbegleiter wieder, die dem kleinen Prinzen auf seiner Reise begegnen. Hier wird auf die traditionellen Begriffe gebaut. Der Geograf, der Laternenanzünder, der Eitle und der König. Der Trinker und der Geschäftsmann, ein Fuchs, die gelbe Schlange und ein notgelandeter Pilot in der Wüste Sahara. (Ja, wir wissen, um wen es sich handelt.) Hier entspricht der Inhalt der Beschreibung auf dem Cover. Eine Nacherzählung, verkürzt in ihrer Ausführlichkeit, kindgerecht strukturiert und angeordnet, aber eben sprachlich in der Tradition des Originals. Kein Neuland, was auch Liebhabern der Urfassung gefallen dürfte. Auch Rosenliebhaber kommen auf ihre Kosten.

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Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

Und bildlich? Was ist mit den Illustrationen? Neuland? Eine ganz neue Welt? Was hat Valeria Docampo aus den kleinen Zeichnungen aus der Feder von Antoine de Saint-Eyupéry gemacht? Hier erhebe ich mich, rufe laut Bravo und Da Capo, blättere hin und her und staune mir die Augen aus dem Kopf. Ein neuer Kosmos voller Wärme erwartet diejenigen Menschen, die sich auf dieses Buch einlassen. Die alten sympathischen und doch eher amateurhaften (bitte verzeihen Sie mir, Antoine) Zeichnungen haben nie die Ebene der Geschichte erreicht. Womit man heute keinen Erstleser mehr begeistern und fesseln kann, ist hier eine visualisierte Dimension entstanden, die alles Bekannte hinter sich lässt. So liebevoll, detailverliebt und voller Zuneigung zu den Charakteren führt uns Valeria Docampo in ihre Welt des kleinen Prinzen.

Ein Meilenstein, der nicht mit dem Original bricht, sondern es auf eine Ebene hebt, die zeitgemäß und zugleich traditionell erscheint. Farben, Schattierungen und die Mimik der Charaktere strahlen in einer Pracht die nur einer großen Geschichte innewohnt. Ich hatte viel von diesen Illustrationen erwartet. Nach meinem Empfinden haben sie all das übertroffen, was für mich denkbar war. Und selbst wenn Antoine im Buch nicht erwähnt wird, Valeria Docampo hat ihn gezeichnet. Ja, auch so kann man einer Hommage im 21. Jahrhundert Ausdruck verleihen. Ich sehe die Entwicklung der Gemeinfreiheit nicht unkritisch. Ich stehe zu den Aspekten, die mich verunsichern. Eine Entwicklung, die im Lauf der Jahre nicht immer diese erfreuliche Richtung einschlagen muss. Und doch:

Seinen Namen nicht mehr zu erwähnen ist für mich ein literarisches Sakrileg!

UPDATES zur Erwähnung von Antoine am Ende des Artikels….

Meine Herzensempfehlung für die Hintergründe zum Originalbuch ist ein Bilderbuch, in dem selbst ich noch sehr viel gelernt habe: „Der Pilot und der Kleine Prinz“ aus der Feder von Peter Sis. Meine Rezension ist experimentell. Mein Dialog mit dem kleinen Prinzen ist vielleicht gewagt. Manchmal jedoch muss man sich einfach trauen.

Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo - Astrolibrium

Der kleine Prinz von Agnès de Lestrade und Valeria Docampo

UPDATE 1 zur fehlenden Erwähnung von Antoine de Saint-Exupéry im Buch:

Nach der Veröffentlichung dieser Rezension hat sich vieles getan. Ein bewegender Kommentar von Valeria Docampo (bitte scrollen) verdeutlichte, dass es nicht Absicht der Autorinnen war, den Namen Antoine de Saint-Exupéry unerwähnt zu lassen. Das zeigt das Foto der französischen Ausgabe, auf dessen Cover er aufgeführt ist. Valeria hat sich mit einigen Verlagen in Verbindung gesetzt, um in den Folgeauflagen dieses Buches in allen Ländern für die Namensnennung zu sorgen. Soeben hat mich auch der Mixtvision Verlag angeschrieben. Ab der dritten Auflage wird das auch hier realisiert.

Ich danke besonders Valeria Docampo für ihre Zeilen, weil für mich kein Zweifel an der Intention bestand, Antoine de Saint-Exupéry mit diesem Buch zu ehren. Jetzt bin ich beruhigt. So sehr… (Fürstenfeldbruck, 27.September 2019)

Der kleine Prinz von e Lestrade und Docampo - Kein Sakrileg - Astrolibrium

Der kleine Prinz von de Lestrade und Docampo – Kein Sakrileg

UPDATE 2 zur fehlenden Erwähnung von Antoine de Saint-Exupéry im Buch:

Wie versprochen. MIXTVISION hat Wort gehalten und seit Februar 2020 liegt mit der dritten Auflage vonDer kleine Prinz  ein Buch vor, das Antoine de Saint-Exupéry sowohl auf dem Cover, als auch im Textteil an exponierter Stelle aufführt. Hier ist es angebracht, dem Verlag zu danken. Meine Rezension führte zu dieser Korrektur und wurde nicht einfach nur zur Kenntnis genommen. Das zeigt wahre Größe. Die Zeilen, die das Buch begleiteten sprechen eine deutliche Sprache! Jetzt ist es eine Hommage!

Der kleine Prinz - In der dritten Auflage korrigiert

Der kleine Prinz – In der dritten Auflage korrigiert

Der kleine Prinzvon Agnès de Lestrade und Valeria Docampo / Mixtvision Verlag / 56 Seiten / illustriert / Übersetzt von Anna Taube / 15 Euro

Das Theater von nebenan von Sonja Danowski [Bilderbuch]

Das Theater von nebenan von Sonja Danowski - Astrolibrium

Das Theater von nebenan von Sonja Danowski

Es gibt Illustratoren/-innen, die man schon auf ersten den Pinselstrich erkennt. In der kleinen literarischen Sternwarte genießen Bilderbücher einen hohen Stellenwert. Im Kontext meiner Schwerpunktthemen wähle ich gerne solche Bilderbücher aus, die nicht nur unterhaltsam, sondern zugleich lehrreich sind. Ich suche nach Botschaften und der Moral in der Geschichte. Dabei ist mir eine Bildgestalterin besonders aufgefallen. Ihren Stil erkennt man wieder. Ihre Art und Weise, optische Akzente zu setzen hebt sich sehr deutlich von üblichen Kinderbuchzeichnungen ab. Als ich einen ersten zaghaften Blick auf „Das Theater von nebenan“ warf, war mir wieder alles klar. Ich erkannte ihr Werk.

Sonja Danowski. Ich lag richtig. Unverkennbar ist ihre Kunst, unverkennbar ist die Art und Weise, wie sie ihren Illustrationen Leben einhaucht. Die gezeichneten Menschen in diesem Bilderbuch haben eigene Charaktere, wirken nah, sympathisch, verletzlich und zutiefst real. Ich hatte dieses Gefühl schon im Bilderbuch „Oma trinkt im Himmel Tee“ von Fang Suzhen und eben Sonja Danowski, erschienen im NordSüd Verlag. Ging es hier noch um den Tod eines geliebten Menschen aus der Sichtweise eines Kleinkindes, so entführte uns wenig später „Der Anfang“, erschienen im Bohem Verlag erneut in ein Szenario, in dem Kinder Trost und eine große Portion Hoffnung benötigen. In eine Zeit nach dem Krieg.

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Das Theater von nebenan von Sonja Danowski

„Der Anfang“ beginnt mit dem Ende. Die Geschichte beginnt genau dort, wo wir alle zeitlos und unabhängig von allen Rahmenbedingungen des Lebens bei Null anfangen müssen. In einer Zeit, die in allen Regionen dieser Welt für alle Menschen identisch ist. In einer Zeit nach der Zerstörung, nach dem Desaster. Einer Zeit, in der es kein Hoffen gibt. Einer Zeit, in der es schwer ist daran zu glauben, dass nach dem Ende der Gewalt je wieder etwas Neues entstehen kann, das nach Leben schmeckt. Es ist die Tristesse der Nachkriegszeit, die „Der Anfang“ beschreibt, erzählt und fühlbar macht.

Der Anfang beginnt mit dem Ende und doch gelingt es Paula Carballeira und Sonja Danowski im Zusammenspiel von Text und Bild eine Atmosphäre zu erzeugen, die uns davon überzeugt, dass die Hoffnung dieser Welt in den Kindern verborgen liegt. Ich bin ihr in beide Bücher gefolgt und betrachte sie als äußerst relevant, wenn man versucht, junge Menschen auf den richtigen Weg zu begleiten. Doch nun ist vieles anders. Es ist nicht mehr „nur“ die Illustratorin Sonja Danowski, die auf dem fröhlich bunten Cover des neuen Bilderbuches aus dem Bohem Verlag aufgeführt wird. Sie ist nicht mehr „nur“ die optische Komponente eines Werks, sie ist auch die Erzählerin. Wort und Bild aus einer Hand. Ich war gespannt, ob ich auch die Erzählerin der Geschichte mögen würde.

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Sie wirkt befreit, ihr Bilderbuch wirkt befreit, losgelöst und auf einem neuen Level angelangt. Es ist nicht mehr die Schwere einer staatstragenden Botschaft, die hier ihre Feder lenkt. Sie widmet sich einem Thema, das völlig frei ist von den Problemen, deren Ursachen für Kinder schwer zu verstehen sind. Sie spielt mit unserem Alltag, sie erzählt das Banale und hebt es über den Status des Unwichtigen heraus. Wenn wir Kinder mit Themen wie Verlust und Krieg, Ausgrenzung und Mobbing, Rollendenken und Gender-Orientierung konfrontieren, treten vielleicht Themen in den Hintergrund, die ihnen mehr am Herzen liegen, als alles anders. Sonja Danoswki lässt die Kinder wieder spielen. Ein in sich ruhendes Bilderbuch für beschwingte Tage und gemeinsame Stunden spielt sich in die Herzen spielender Kinder.

Man kann ihr leicht folgen. Man kann der Geschichte leicht folgen. Sie stellt in den Mittelpunkt, was oft ignoriert wird. Sie widmet sich dem Gemeinsamen, dem Spielen im Großen. Im Verbindenden unterschiedlicher Spielzeugwelten und den Kompromissen, die Kinder täglich eingehen, um in der Schnittmenge der Unterschiede neue Welten zu entdecken, liegt nun der Zauber einer Geschichte. Der Zauber eines Theaters, das für seine kleinen und großen Betrachter und Leser die Pforten öffnet. Eine Geschichte, die nicht überfrachtet ist. Sie stellt einzig das kleine Problem in den Mittelpunkt, wie Jungs und Mädchen ihre Spielwelten miteinander verbinden können. Kein Drama, keine tiefen Zerwürfnisse, keine großen Verwerfungen. Einfach die Idee, wie aus dem Theater von nebenan eine Manege des gemeinsamen Spielens werden kann. Technikspielzeug in Verbindung mit Spielzeugpuppen. Verbündet euch. Spielt gemeinsam und genießt mal ein Bilderbuch, das farbenfroh, unterhaltsam und einfach nur schön ist.

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Natürlich kann man auch hier mehr reininterpretieren. Dafür ist Raum genug. Sonja Danowski gelingt es auch hier unter der Oberfläche eine kleine Saat keimen zu lassen, die ihre indirekte Wirkung schnell entfaltet. Jungenspielzeug und Mädchenspielzeug als Barriere des gemeinsamen Spielens. Klischees und Rollenmuster. All das finden wir im Herzen dieser Geschichte. Ich mag das nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Einer aufmerksamen Leserschaft fallen diese Botschaften ins Auge, aber sie überlagern das Bild nicht, das sie zeichnet und erzählt. Gerade in Familien mit Jungs und Mädels kann dieses Bilderbuch zu mehr Gemeinsamkeit im Spielen führen. Und das ganz ohne den erhobenen Zeigefinger, den man gerade überall in der Welt der Erziehung findet.

Vorhang auf für das Theater von nebenan. Ein Bilderbuch frei von Ballast. Dafür aber ein Bilderbuch mit hohem Spiel- und Wiedererkennungswert. Ich werde es in „meinem“ Kinderheim St. Alban beheimaten. Da gehört es hin. Genau hier sind Impulse für gemeinsames Spielen so wichtig. Manege frei…Die Bühne gehört euch…

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