„Footlights – Rampenlicht“ von Charlie Chaplin [David Robinson]

Footlights - Rampenlicht von Charlie Chaplin

Footlights – Rampenlicht von Charlie Chaplin

Der Begriff „Literarische Sensation“ ist selten geworden in unseren Tagen. Allzu oft hat man dieses kaum greifbare Prädikat in früheren Zeiten strapaziert und damit eine Erwartungshaltung bei den Lesern geschürt, die nur selten erfüllt werden konnte. Nähern wir uns doch einfach einer „Sensation“ in ihrem wahren Wortsinn an, dann haben wir es, rein literarisch betrachtet, mit einem aufsehenerregenden Buch-Ereignis zu tun, das von erheblichem medialen Interesse ist und länderübergreifend diskutiert wird.

Eine literarische Sensation, die ein Verlag als solche bezeichnet verpufft recht schnell im eigenen Katalog. Mehr als erfreulich ist es jedoch, im Laufe des Lesens tatsächlich auf ein solch außergewöhnliches Literaturereignis zu stoßen, das seinem Ruf alle Ehre macht. Ich habe in diesem Jahr mit Gehe hin, stelle einen Wächter von Harper Lee eine solche Sensation gelesen. Dieser Roman, der im Giftschrank der Pulitzer-Autorin schlummerte und mehr als fünfzig Jahre nach Wer die Nachtigall stört erschien, hat weltweit für Aufsehen gesorgt, polarisiert und begeistert.

Sensationell. Ein Begriff, der mit Bedacht gewählt werden sollte und nur mit Vorsicht zu genießen ist. Und doch sollte man diesen Siegelring niemals ganz aus der Hand legen, denn es kommt doch noch vor, dass ein Buch diese Prägung verdient. Dabei fällt es auf, dass es unveröffentlichte Manuskripte aus längst vergangener Zeit sind, die sich in diese seltene Kategorie der epochalen Neuerscheinungen einreihen.

Footlights - Rampenlicht von Charlie Chaplin

Footlights – Rampenlicht von Charlie Chaplin

Footlights – Rampenlicht“ wird als Sensation gepriesen. Den Prachtband aus dem C. Bertelsmann Verlag ziert das auffällige Siegel mit der verheißungsvollen Aufschrift „Der Sensationsfund – Chaplins einziger Roman“. Schon stellt der geneigte Leser fest, dass hier nur eine journalistische Tatsache, nicht jedoch ein Qualitätsmerkmal als Aufmacher dient. Nicht jeder Sensationsfund erweist sich als literarisches Meisterwerk. Und mit einem Sensationsfund haben wir es tatsächlich zu tun.

Zwar ist allseits bekannt, dass Charlie Chaplins gesamtes Lebenswerk archiviert und katalogisiert ist, womit eigentlich die großen Überraschungen ausgeschlossen sein sollten. Wer nur eine vage Vorstellung davon hat, wie das Lebensmemorandum dieses genialen Filmpioniers aussieht, der kann verstehen, dass der recherchierende Blick ins Chaplin-Archiv den geneigten Fachmann von den Socken hauen kann und dem Fan des großen Mimen und Regisseurs die freudige Erregung ins Gesicht zeichnet.

100 Jahre nachdem Charlie Chaplin mit seinem Stummfilm „Tramp“ zu Weltruhm gelangte, präsentierte man 2014 im British Film Institute voller Stolz eine Entdeckung, die nur durch die akribische Sammlung und Digitalisierung bereits archivierter Chaplin-Aufzeichnungen ermöglicht wurde. Chaplins einzigen Roman. Das literarische Werk eines Künstlers, der als Schauspieler zur Legende wurde und als Regisseur Maßstäbe setzte, von dem bisher aber lediglich bekannt war, dass er Drehbücher schrieb.

Footlights - Rampenlicht von Charlie Chaplin

Footlights – Rampenlicht von Charlie Chaplin

Nun lag der staunenden Fachwelt mit „Footlights“ tatsächlich eine Erzählung aus Chaplins Feder vor, die auf den zweiten Blick viel mehr war, als ein loses Manuskript im lebenslangen kreativen Schaffen eines begnadeten und akribischen Künstlers. Es handelte sich bei „Footlights“ tatsächlich um die Romanvorlage zu Chaplins großem Film „Limelight“ – Rampenlicht. Sein letzter in den USA gedrehter Film und mehr als ein Meilenstein seines Lebens. Mit diesem Film wurde Chaplin aus dem Rampenlicht des Landes verdrängt, in dem er zu Weltruhm gelangte.

Aus dem Schauspieler, der sich mit Der große Diktator als Hitler-Satire gegen alle Diktaturen der Welt gerichtet hatte, war in seiner Wahlheimat ein politischer Staatsfeind geworden. Man unterstellte ihm, Kommunist zu sein und bürgerte ihn einfach aus. Auf der Reise zur Filmpremiere nach London im Jahr 1952 erfuhr er, dass seine Rückreise in die USA nicht mehr gestattet würde. Man entfernte seine Hand- und Fußabdrücke vor dem legendären TCL Chinese Theatre und ein eigener Stern auf dem Hollywood Walk of Fame wurde ihm bis in die siebziger Jahre verwehrt.

Sein Rampenlicht war erloschen. Charles Chaplin zog in die Schweiz und kehrte nur ein einziges Mal mit einem Eintages-Visum in seine Vereinigten Staaten zurück. 1972 wurde er mit dem Ehren-Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet, nicht jedoch mit der Rehabilitation seitens der Justizbehörden. Dem Publikum war dies egal. Chaplin erhielt mit 12 Minuten den wohl längsten Applaus in der Geschichte der Oscar-Verleihungen. Sein Werk von seinem facettenreichen und nicht unpolitischen Leben zu trennen, ihn allein als kreativen Künstler zu betrachten, würde ihm nicht gerecht. Hier hat der Begriff Lebenswerk mehr Bedeutung.

Footlights - Rampenlicht von Charlie Chaplin

Footlights – Rampenlicht von Charlie Chaplin

Diesem Buch gelingt es, Chaplin in ein neues Rampenlicht zu stellen und damit wird es ihm und seinem Schaffen gerecht. „Footlight“ beinhaltet nämlich nicht nur den bisher unveröffentlichten Roman von Charlie Chaplin, sondern darüber hinaus dessen mehr als ungewöhnliche Entstehungsgeschichte, eine Einordnung in das Lebenswerk des großen Künstlers und viele biografische Informationen, die einen tiefen Einblick in die Arbeits- und Denkweise von Chaplin ermöglichen.

Dabei ist die kleine Erzählung, die den Kern dieses Buches darstellt, mehr als lesenswert. Wer den Film „Rampenlicht“ bereits kennt, wird viele seiner Bilder sofort wiedererkennen, die im Manuskript zu „Footlights“ sprachlich erschaffen werden. Das malerische London der Varietés und Theater, in dem Chaplin einst groß wurde ist mehr als nur Kulisse für eine Geschichte. Nur hier konnte atmosphärisch entstehen, was der Autor Chaplin verarbeiten wollte. Eine Geschichte, die sein Leben reflektierte.

Die klassisch traurig emotionale Story vom alternden Clown, der am Scheideweg seiner Karriere steht, sein Publikum nicht mehr findet und bei aller Verzweiflung den Lebensmut niemals verloren hat. Als er eine junge Balletttänzerin vor dem Selbstmord bewahrt, ändert das auch sein tristes Leben. Calveros selbstlose Herzlichkeit beginnt Thereza zu heilen. Er nimmt sie bei sich auf und verhilft ihr zu einer Traumkarriere. Was ihm selbst nicht mehr gelingt, bringt die junge Tänzerin zum Fliegen.

Footlights - Rampenlicht von Charlie Chaplin

Footlights – Rampenlicht von Charlie Chaplin

Diese hochemotionale Begegnung des abgehalfterten und mittellosen Clowns mit der jungen Tänzerin birgt unglaubliches Potenzial für eine große Geschichte im Stile großer Erzähler. Blüte und Verfall auf dem gemeinsamen Weg in ein Glück, das zuvor nicht zu erhoffen war. Autobiografisch betrachtet ist es der Abgesang Chaplins auf sein eigenes Leben. Eine Hommage an sich selbst. Eine Reminiszenz an die eigenen großen Tage in der Rückschau des ewigen „Tramps“.

Dem „Footlights“-Herausgeber und Chaplin-Experten David Robinson gelingt es in diesem Gesamtkunstwerk aus den unterschiedlichen Fassungen und Fragmenten des Manuskripts ein schlüssiges Ganzes zu entwerfen, in dem wir die Handschrift Charlie Chaplins wiedererkennen, obwohl wir noch nie etwas von ihm gelesen haben. Das Herz blüht auf und als Leser kann man die Bilderflut nicht unterdrücken, die sich beim Lesen einstellt. Chaplin lebt.

Für wahre Cineasten und Chaplin-Fans ein unverzichtbares Buch. Für bibliophile Menschen ein wundervolles Kunstwerk, in dem es sich stöbern, lesen und fühlen lässt. Soviel mehr als nur der unveröffentlichte Roman. Es ist eine aufrichtige Liebeserklärung an einen Menschen, der uns unvergessen ist. Dieses großformatige Buch mit brillanten und oft ungesehenen Fotos aus dem Leben von Charlie Chaplin ist keine literarische Sensation. Diesen Anspruch hegt es nicht. Aber es ist die bestmögliche Art und Weise, einem Sensationsfund ins gleißende Rampenlicht zu rücken. Erstklassig gelungen.

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