Der Zirkel der Literaturliebhaber – Amir Hassan Cheheltan

Der Zirkel der Literaturliebhaber - Amir Hassan Cheheltan - Astrolibrium

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Es ist die Liebe zum literarischen Erbe ihrer Heimat, die sie alle vereint. Es ist die Liebe zum geschrieben Wort, die sie zusammenführt und es ähnelt einem literarischen Salon in Europa, wenn sie sich in einem besonderen Raum eines einfachen Hauses im Zentrum von Teheran versammeln. Es ist Der Zirkel der Literaturliebhaber, in den wir von Amir Hassan Cheheltan ohne Vorbehalte eingeführt werden. Der Schriftsteller ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass er sich mit seinem Buch nicht an Lesende und Literaturfreunde wendet, die ein Studium der persischen Literaturgeschichte absolviert haben. Nein. Er macht es uns leicht, weil wir uns von der ersten Seite an wünschen, in diesem Zirkel der Weltoffenheit und Bücherleidenschaft stille Zaungäste sein zu dürfen.

Es ist sein Leben, das der im Iran geborene Journalist und Schriftsteller hier vor uns öffnet. Es war sein Elternhaus, das dem Zirkel als Versammlungsort diente und es waren die guten Freunde seiner Eltern, die sich hier über Jahrzehnte hinweg trafen, in ihren Leseerinnerungen versanken, diskutierten, rezitierten und auch über Bücher und Autoren stritten. Es war sein Vater, der diesen Zirkel ins Leben rief. Und er war es, der seinem Sohn schon in ganz jungen Jahren den Zutritt zu einem „Club“ gewährte für den er eigentlich noch viel zu jung war. Die Exklusivität dieser Gesellschaft und das Land, in dem sich so viel verändern sollte, steckten den Rahmen für jene Treffen ab. Ein fragiler Rahmen voller Risiko und Gefahr. Fast vierzig Jahre lang währten die Treffen. Jahre, in denen sich die großen persischen Literaten ein Stelldichein gaben. Obwohl diese schon seit ewigen Zeiten verstorben sind, gehören sie zum inneren Kreis des Zirkels. Als wäre Shakespeare unter uns, wenn wir über Romeo und Julia sprechen. Magisch.

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Der Zirkel der Literaturliebhaber – Amir Hassan Cheheltan

Natürlich geht es um Literatur in diesem Buch. Aber es geht auch um das Land, in dem sich Literaturliebe ihren Weg bahnt und dabei steht der Iran sinnbildlich für jedes Land dieser Welt und für viele politische Systeme, die ihre Finger nach der Kultur und den Menschen ausgestreckt haben, für die Literatur mit freiem Denken gleichzusetzen war. Was uns Amir Hassan Cheheltan über sein Heimatland erzählt ist erschreckend und doch so greifbar, weil wir vergleichbare Wellenbewegungen von Machtmissbrauch auch in den verschiedenen Deutschlands seit 1933 noch gut vor Augen haben. Hier ist uns nichts fremd. Lediglich die Rolle der Religion tritt an die Stelle von Ideologien, in denen Kultur als systemfeindlich gebrandmarkt, verbrannt und als entartet ausgegrenzt wurde.

Insofern ist der „Zirkel der Literaturliebhaber“ ein Sehnsuchtsort, ein Biotop des freien Denkens und gleichzeitig Dorn im Auge und Stachel im Fleisch jener, die solche Biotope trockenlegen wollen. Da ist es echt egal, ob wir von Nazis, Sozialisten oder von einem persischen Schah und den Mullahs sprechen, die ihn aus dem Land trieben. Wir verstehen dieses Buch richtig. Wir erkennen die Risiken eines solchen Reservates und wir können gut nachvollziehen, was im inneren Gefüge des Zirkels vor sich ging, als die Mitglieder der Gruppe nach der Revolution erfuhren, dass Geheimdienstmitarbeiter des Schah-Regimes den Zirkel unterwandert hatten und detailliert über die Treffen berichtet hatten. Hier klingeln Worte, wie inoffizielle Mitarbeiter und Denunzianten mehr als heftig in unseren Ohren.

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Hier ist die Schönheit der persischen Sprache, die Hochkultur des Schreibens der beste Fluchtpunkt. Hierhin kann man sich zurückziehen, um über Liebe, Leidenschaft und die großen Dinge des kleinen Lebens zu philosophieren. Und Flucht ist immer dann von besonderer Relevanz, wenn sich das tägliche Leben in instabilen Verhältnissen und immer engeren Grenzen abspielt. Ein Refugium ist hier lebenswichtig. Das Buch strotzt nur so vor kleinen und wundervollen Anekdoten aus den alten Büchern der Dichter des Landes. Sie muten an, wie Geschichten aus Tausend und einer Nacht. Wir erleben den Affen, der immer ohne Herz verreist, weil es so traurig ist, dass er seine Freunde nicht mit seinem Schmerz konfrontieren möchte. Als er unterwegs auf einem Menschen trifft, der auf der Suche nach einem Affenherz als Medizinersatz ist, rettet ihm seine Marotte das Leben. Herrlich erzählt, wundervoll zu lesen und metaphorisch in jedem Kulturkreis von Relevanz. Man sollte nicht mit schwerem Herzen reisen.

Es sind die ganz großen Autoren der persischen Literatur, die hier ins Feld geführt werden. Rumi, Hafis, Saadi, Ferdowsi und viele andere öffnen dem Zirkel ihre Bücher und inspirieren die Männer und Frauen zu eigenen wunderbaren Gedanken. Während vor der Tür die Revolution tobt, die Mullahs die Macht an sich reißen und auch Literatur in den Fokus der islamischen Führer rückt, wird es zusehends gefährlich für den Zirkel. Der Koran steht über allem. Er scheint jedoch nicht vereinbar mit der Freiheit der alten Meister, auch sexuelle Themen in den Mittelpunkt ihres Schreibens zu stellen. Hier geht die Schere zwischen Kunst und Religion zu weit auf. Hier wird es gefährlich und hier ist der Zirkel der Literaturliebhaber allein auf weiter Flur. Untergrundlesen ist angesagt.

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Toleranz: Fehlanzeige und die Freiheit des Denkens kann man abhaken. Hier geht Amir Hassan Cheheltan einen weiteren Schritt in ein Niemandsland, das man eigentlich nicht gerne betritt. Er setzt homophobe politische und religiös überlagerte Systeme auf die Anklagebank. Hier zeigt er deutlich auf, wie selbstverständlich gleichgeschlechtliche Liebe in der historischen persischen Literatur thematisiert wurde. Während draußen vor der Tür Homosexuelle zum Tode verurteilt oder hingerichtet werden, vertieft sich jener Zirkel in Textpassagen, die an Freizügigkeit nicht zu überbieten sind. Literatur ist ohne Vorurteil. Literatur ist nicht heterosexuell, sie ist oft so schwul, wie sie nur sein kann und sie geht diesen Weg konsequent zurück bis zu ihren Anfängen.

Hier liegt eine der wesentlichen Leistungen dieses Buches, das wie ein Wolf im Schafsfell daherkommt. Das ist nichts für homophobe Lesende voller Vorurteile. Hier wird es provokant und überschreitet eine Vielzahl von Grenzen, die in vielen Ländern auch heute noch gezogen sind. Hier zeigt das Buch Flagge und lehnt sich gegen jede religiöse Doktrin auf und hier bezieht der Schriftsteller Stellung im Schützengraben der weltoffenen Freigeister. Ich wünsche es mir so sehr, dass dieses Werk aus Versehen jemandem in die Finger fällt, dem seine Vorurteile bitter aufstoßen. Eine differenzierte Beschreibung homoerotischer literarischer Passagen darf man hier nicht erwarten. Es geht bei den großen Meistern recht unverblümt zur Sache. Ich war mehr als begeistert von diesen Aspekten. Ein zutiefst humanistisches Buch voller Botschaften – gerade für den nicht-persischen Sprachraum. So sehr lesenswert.

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Der Zirkel der Literaturliebhaber – Amir Hassan Cheheltan

Und ich wünsche mir, dass ich eines Tages etwas erlebe, was mir bisher verwehrt blieb (und das ist wahrlich kein Vorwurf):

„Mein Vater hat das später lachend als meinen Sturm auf seine Bibliothek
bezeichnet. Er hatte recht, an jenem Nachmittag hatte ich seine Bibliothek
gestürmt. Ein Dürstender, nicht ahnend, dass er von Flüssen umgeben war.“

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Khomeini von Katajun Amirpur beschreibt das Niemandsland zwischen Schah und Islamischer Republik sehr genau. Beide Bücher gehen hier Hand in Hand.

Khomeini - Der Revolutionär des Islam - Katajun Amirpur - Astrolibrium

Khomeini – Der Revolutionär des Islams – Katajun Amirpur