„Stoner“ von John Williams – Das Hörbuch

Stoner von John Williams – Das Hörbuch

Ein Held kann nur strahlen, wenn er mächtige Feinde hat. Ebenso verhält es sich in Romanen mit dem Verhältnis zwischen Pro- und Antagonisten. Die Dimensionen, in die ein Hauptcharakter eintritt hängen im Wesentlichen davon ab, auf welchem Level seine Gegenspieler zu agieren wissen. Eigentlich eine literarische Binsenweisheit. Oftmals ist es jedoch so, dass diese Balance zwischen Gut und Böse vernachlässigt wird und man sich dann wundert, warum eine eigentlich gute Geschichte in ihren Ansätzen verpufft.

John Williams kann wohl als Godfather dieses Balanceaktes bezeichnet werden. Zwar hat seine Schaffensphase die Literatur nicht um zahllose Meisterwerke bereichert oder bereits zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass er mit Literaturpreisen ausgezeichnet und überschüttet wurde. Und doch gelang es ihm in seinem aus drei Büchern bestehenden Hauptwerk dem Begriff des Antagonisten eine Strahlkraft zu verleihen, die von anderen Autoren nur selten erreicht wird. In „Augustus“ führte er den ganzen römischen Senat und die Feinde Roms ins Feld, um dem ersten Kaiser das Leben so schwer wie irgend möglich zu machen. In „Butcher`s Crossing“ mutieren die Gefährten einer Büffeljagd und die ungezähmte Natur zu den großen Gegenspielern des wahrheitssuchenden Will Andrews.

Stoner von John Williams – Das Hörbuch

Zwei Werke, die in meinem Lesen tiefe Spuren hinterlassen haben. Romane, die in mir lange nachwirken und deren Hauptfiguren bahnbrechend waren. Nur ein Buch aus der Feder von John Williams fehlte mir noch. Ein Roman, den ich einfach verpasst oder übersehen hatte. Der Zufall wollte es nun, dass ich „Stoner“ in einer ganz besonderen Dimension erleben durfte. Hörend. Zehn Stunden. Acht CDs. Eine Stimme. Burghart Klaußner, der mehrfach ausgezeichnete Schauspieler, Sänger und Hörbuchsprecher, sollte mich in der ungekürzten Lesung aus dem Hause Der Audio Verlag – DAV in die Welt des Literaturprofessors William Stoner entführen.

Was aber sollte ich von einem Roman erwarten, der erstmals 1965 veröffentlicht, kaum beachtet wurde und anschließend in Vergessenheit geriet, bis er 2006 erneut das Licht der Bücherwelt erblickte. Was sollte ich erwarten von einem Universitätsroman, in dessen Mittelpunkt ein Dozent für englische Literatur steht? Versprach das Spannung? Konnte John Williams hier die Spuren gelegt haben, die er in seinen Folgeromanen so fulminant zur Wirkung entfaltete? Was sollte William Stoner schon großes zustoßen an einer typischen US-Universität? Was sollte mich fesseln, faszinieren, inspirieren? Nicht viel eigentlich, dachte ich mir und doch ließ ich mich von Brughart Klaußners Stimme in eine Geschichte tragen, die ich nie wieder vergessen werde.

Stoner von John Williams – Das Hörbuch

Das liegt einfach daran, dass es manchmal keiner römischen Feinde oder wilder Büffelherden bedarf, um Spannung zu erzeugen, Emotionen zu wecken, Abneigung gegen Romanfiguren aus dem Umfeld des Protagonisten zu kultivieren und diese auch noch in blinden Lesehass umschlagen zu lassen. Ja, es sind manchmal die alltäglichen Geschichten, die uns mit voller Wucht treffen. Es sind ganz normale Menschen, die wir in unser Herz schließen und es reicht dabei völlig aus, das einfache Leben von William Stoner durch eine gefühlskalte Ehefrau und einen rachsüchtigen Vorgesetzten aus den Fugen geraten zu lassen. Glaubt mir. Das reicht wirklich völlig aus. Mehr als das.

Wenn dies auch noch von einem Hörbuchsprecher zelebriert wird, der in der Lage ist Sympathie durch Stimmfarbe, Antipathie durch hörbare Kälte und Ignoranz in einer Art und Weise zu transportieren, dass man schon am Tonfall erkennt, welcher Akteur in welcher Situation Öl ins Feuer der Handlung gießt, dann wird das Hören zum Erlebnis. Hier geht die Produktion des Hörbuchs mit der Intensität der Geschichte Hand in Hand. Hier kann man kaum Pausen einlegen, obwohl die Handlung sanft und gemächlich vor sich hin fließt, sich durch die Hirnwindungen des Hörers mäandert und Kontur annimmt. In diesen stillen Fluss des Erzählens bricht dann plötzlich der eigene verzweifelte Ruf in Richtung William Stoner. „Lass das nicht mit dir machen!“ Ein Ruf aus voller Not und aus tiefstem Herzen. Ungehört…

Stoner von John Williams – Das Hörbuch

Leiden Sie doch einfach mit. Folgen Sie William Stoner in ein Leben, in dem es nicht an Überraschungen mangelt. Ein Leben, in dessen Verlauf er zwei Weltkriege aus der geschützten Warte eines Studenten und später des Professors beobachtet. Ein Leben, das er der Literatur verschrieb, obwohl er eigentlich Agrarwirtschaft studieren sollte. Ein Leben voller Bescheidenheit und ohne jegliche Profilneurose. Lernen Sie einen Mann kennen, der liebevoller Ehemann, guter Vater und talentierter Lehrer ist. Und lernen Sie den Mann kennen, der am Ende seines Lebens realisieren muss, dass er gescheitert ist und eigentlich niemals eine Chance hatte, sich selbst zu finden.

Woran das liegt? An den Menschen, die ihn umgaben. An einer Ehefrau, die sich in die größte emotionale Mogelpackung verwandelt, kaum dass sie auch nur den Namen Stoner trägt. Edith Stoner, Quell der Lustlosigkeit und Frigidität, Hort der Launen und egozentrische Zicke sondergleichen, Realitätsignorantin und Made im Speck, eine Frau die ihren Mann im Bett nur erträgt, die gemeinsame Tochter instrumentalisiert und dem eigenen Vater entfremdet. Und wenn gerade keine Schlacht gegen Stoner zu schlagen ist, na dann ist Madame einfach nur unpässlich. (Ich war oft verleitet, sie aus dem Auto zu werfen, wenn Burghart Klaußner ihrem skurrilen Charakter zur Sprache verhalf.)

Stoner von John Williams – Das Hörbuch

Tja, und wenn es unserem gutmütigen Professor gelang, diesem lieblichen Wesen zu entkommen, dann landete er in seiner Universität im desaströsen Orbit von Hollis N. Lomax, seinem Fachbereichsleiter. Missgestaltet und ewig nachtragend muss man ihn beschreiben. Unvergessen, dass Stoner einen der Lieblingsschüler seines Chefs durch die Prüfungen fallen ließ, weil er ein ahnungsloser Blender war, der nur Unruhe stiftete. Dieser Zwischenfall sorgte für ein zwanzigjähriges Martyrium in Stoners Zeit als Dozent und Professor. Rache stand auf dem Lehrplan. Beförderungen ausgeschlossen und zu Stoners Schülern zählten fortan nur noch Erstsemester. Unterforderung ist ein harmlos klingender Begriff für die Existenz Stoners am Rande des Universums der Universität.

Lass das nicht mit dir machen!“ Ich kam aus dem Rufen nicht mehr heraus. Wollte in aller gebotenen Lautstärke warnen und verhindern, dass es so weitergeht. Einzig eine junge Doktorandin kam mir und Stoner zur Hilfe. Katherine Driscoll verliebt sich in ihn. Liebe. Was für ein Wort. Nie gefühlt, nie erwidert von einer Frau. Eine neue Welt, die in aller Wucht Besitz von ihm ergreift, verändert alles. Stoner findet zu sich selbst und im einzig möglichen Moment, sein Leben in neue Bahnen zu lenken stößt er auf Edith und Lomax. Eine geschlossene Schlachtformation, der Stoner nicht viel entgegenzusetzen hat. Ich glaube, ich schreie mir noch jetzt die Lunge aus dem Leib, weil ich nicht hören wollte, was dann geschah.

Stoner von John Williams – Das Hörbuch

Oh John Williams, wie sehr ich William Stoner verehre. Ich habe mich ein wenig in ihm wiedergefunden. In einem Menschen, der so tief gezeichnet ist und sich selbst bis zum Ende treu bleibt. Und wie sehr habe ich die Menschen gehasst, die seinen Weg zu einem Kreuzweg machten. Überbordende Emotionen habe ich hörend ganz selten auf meinem Weg durch die Literatur erlebt. Wer erfahren möchte, warum ich das Ende der Geschichte immer noch nicht ganz verkraftet habe, der mag selbst hören, warum. Und wer nicht hören will, der kann lesen. „Stoner“ von John Williams ist es wert, seine Zeit mit ihm zu verbringen.

Wer noch mehr über John Williams wissen möchte, wer erfahren möchte, was ihn aus Sicht der Frau ausmacht, die ihn für den deutschen Buchmarkt entdeckt hat, und wen es interessiert, welche gemeinsamen Spuren sich durch seine Bücher ziehen, der kann sich ganz ruhig zurücklehnen und ebenfalls zuhören. Mein Interview mit Patricia Reimann, der Cheflektorin der dtv Verlagsgesellschaft, beantwortet all Ihre Fragen zu einem Schriftsteller, der niemals erfahren sollte, welche außerordentlichen Wege seine Romane nach seinem Tod im Jahre 1994 genommen haben. Hören Sie gut….

Und last but not least sein Debüt „Nichts als die Nacht– Der Kreis ist geschlossen.

Aus dem Nähkästchen der dtv-Cheflektorin: Patricia Reimann über John Williams