Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Leben wir nicht in unruhigen Zeiten? Sind unsere Tage nicht gerade dominiert von Bildern flüchtender Menschen? Schutzsuchende, die ihre angestammte Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen? Menschen auf der verzweifelten Suche nach Sicherheit, Glück und einem neuen Leben? Menschen, die am Ziel ihrer Emigration mit geschlossenen Leitkulturen konfrontiert werden, in die sie integriert werden sollen? Eine Integration, die oft so weit gefasst ist, dass sie für die Betroffenen die Abkehr von ihrer eigentlichen Identität bedeuten kann…

Leben wir in einzigartigen Zeiten? Nicht wirklich. Und doch hat sich unsere Welt verändert. Die eigentlichen Fluchtursachen sind vergleichbar. Die Zufluchtsorte jedoch wirken heute wie geschlossene soziale Trutzburgen, die kaum noch zu erobern sind. Dabei liegt der Reichtum einer gemeinsamen Existenz in den Menschen verborgen, die hier in der Zukunft Teil eines gemeinsamen Traumes werden können. Kann ein Roman diese Veränderung beschreiben? Kann er sie vielleicht sogar so greifbar machen, dass man Begriffe wie Sehnsucht und Heimweh neu versteht?

Kann es EINEN Roman dieser Zeit geben, der einen Bogen spannt, der aus längst vergangener Zeit und von fremder Hand geführt, unsere Saiten zum Schwingen bringt und eine Melodie entstehen lässt, die Verständnis heißt. Ja. Es gibt diesen Roman. Es gibt DEN Erzähler, der hierzu in der Lage ist und es gibt diese große Melodie, die er mit Worten komponiert, die für sich alleine nur nach Schmerz, Tod, Armut, Krankheit, Unterdrückung, Existenzkampf und tiefer Verzweiflung klingen, gemeinsam aber in eine Symphonie der Empathie münden. Ihr Name?

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann der das Glück bringt„. Ihr Schöpfer? Catalin Dorian Florescu. Seine Sprache? International. Sein Wesen? Weltoffen. Seine Begabung? Einer der vielleicht größten Erzähler unserer Zeit zu sein, dessen Stimme sich auch gegen Widerstände Gehör verschafft, weil man ihr nicht widerstehen kann. Sein Verdienst? Sehnsucht und Heimweh im Schmelztiegel seines Romans zum Kochen zu bringen, eine Geschichte daraus entstehen zu lassen und doch das Wunder zu bewirken, dass beide Zutaten ihr eigenständiges Gesicht nicht verlieren. Sehnsucht und Heimweh. Ingredienzien des Lesens. Das Lesenselixier, veröffentlich bei C.H. Beck.

Florescu entführt uns ins New York des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Ein New York, das von Einwanderern geprägt ist. Flüchtende, Suchende, Verfolgte, Glücksritter und Sehnsüchtige stranden in dieser Stadt. Hier gilt es nicht, sich sozial zu integrieren, da hier keine Leitkultur auf die Menschen aus der „alten Welt“ wartet. Iren bleiben Iren, Chinesen bleiben Chinesen und doch ist es die Armut, die dafür verantwortlich ist, dass jeder zum Pionier seines eigenen Glückes wird. Der Tod regiert in der Stadt.

Florescu spannt seinen Bogen weit in die Vergangenheit. Dabei hören wir nicht ihm selbst zu, sondern folgen viel mehr der Erzählung eines Mannes, der das Leben seines Großvaters in diesen Jahren Revue passieren lässt. Das Leben eines Jungen, der von Sehnsucht getrieben zu absolut allem bereit ist, um zu überleben und seine Träume zu verwirklichen. Leichenschiffe ziehen an ihm vorbei. Ausgelebte Träume verfolgen ihn auf Schritt und Tritt. Als kleiner Zeitungsjunge lebt er von den Schlagzeilen dieser Welt. Nachrichten aus der alten Welt zumeist. Katastrophen steigern seinen Umsatz. Fremde Katastrophen verschleiern den Blick für die Kälte der eigenen Stadt.

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Ray, der Enkel erzählt diese Geschichte, die vom täglichen Überlebenskampf seines Großvaters handelt. Von seinen Träumen, Talenten und Verlusten. Sie handelt von den Houdinis jener Tage. Den Kinos, Freakshows und Theatern, in denen man manchmal vielleicht reich werden konnte. Ein Sänger wie Caruso, sei der Großvater gewesen. Der Buckel habe ihm gefehlt zum Erfolg. Und so laviert er sich durchs Leben, erfindet sich täglich neu, schlüpft in fremde Identitäten, spielt die vielen Rollen seines Lebens. Und doch ist nur die Straße seine Bühne. Sein Geld verdient er anders. Ein dunkles Kapitel, das sich bitter rächt.

Ray erzählt diese Geschichte nicht uns. Keinesfalls. Er erzählt zum ersten Mal von seinem Großvater und die Frau, die ihm zuhört, dankt ihm auf ihre Weise. Geschichte wird mit Geschichte vergolten. Und so erfährt Ray, warum Elena in New York ist. Er blickt durch sie zurück in das Leben einer Familie im Donaudelta. Fernweh und Flucht könnte diese Geschichte heißen. Kalt ist sie. Schmerzhaft und verstörend. Der Traum von Amerika dominiert in den Herzen der Menschen. Der Traum von einer neuen Welt pocht in den Adern der Armen. Für manchen endet diese Flucht noch vor der Abreise.

Elena erzählt ihre Geschichte und an den Stellen an denen sich beide berühren, setzt Ray die seine fort. Zwei Flüsse aus Sehnsucht, Fernweh und Heimweh fließen ineinander und lassen Menschen auferstehen, deren Schicksal unterschiedlicher nicht sein könnte. Ein rastloser Großvater, der mehrmals alles verliert und eines nicht mehr fühlt: Was Heimat bedeutet, was es heißt eine eigene Identität, eine eigene Geschichte zu haben, weil er in zu viele schlüpfen musste. Und Elenas Mutter, die am Tag ihrer Ausreise nach Amerika ausgebootet wird. Ihre Krankheit verurteilt sie zu einem Leben in einer rumänischen Leprakolonie.

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der schicksalhafte Tag, an dem sich Ray und Elena zufällig begegnen, ist in Catalin Dorian Florescus Roman „Der Mann der das Glück bringt“ der Tag an dem sich auch zwei Geschichten vereinen. Der Tag, an dem sich zwei Menschen durch das Erzählen ihrer Lebensgeschichten kennen lernen. Indirekt, da sie viel mehr von ihren Ahnen zu erzählen wissen, als von sich selbst. Und doch erkennen sich zwei Suchende an genau diesem Tag. Sehnsucht und Heimweh fließen ineinander und alle Träume münden in die Frage, wer man am Ende dieser Geschichten selbst ist.

Florescu erzählt meisterlich. Er taucht uns im amerikanischen Wechselspiel seines „New-York-Szenarios“ in ein schauriges Wechselbad aus Glitzerwelt und Todeshölle. Er macht fühlbar, wie verzweifelt der Wille zum Überleben sein kann und wie wenig von einem Menschen übrig bleibt, der alles geben möchte, um seinen Traum zu leben. Die neue Welt zeigt ihre tödliche Facette und frisst die Menschen auf, die sich schon am Ziel des Fliehens wähnen. Und doch lebt die Hoffnung.

Ebenso wie im Donaudelta. In jener Kolonie der Leprakranken, die sich immer mehr verlieren. Unheilbar und doch hoffnungsvoll. Nachrichten aus der neuen Welt verleihen ihrem Hoffen Antrieb. Und doch wissen sie, dass es keinen Ausweg gibt. Elenas Mutter hat es nicht geschafft. Sie hat ihr New York nie erreicht. Genau deshalb ist ihre Tochter nun dort. Fernweh ist die Melodie. Die Asche ihrer Mutter soll in New York verstreut werden. Am Ziel angelangt führt Florescu die beiden Erzählflüsse zusammen. Es ist ein Strudel aus Vergangenheit und Gegenwart, der diese Geschichte entstehen lässt. Es ist der Tag, an dem sich Elena und Ray begegnen. Der schlechteste Tag, um die Asche von Elenas Mutter in der Fremde nach Hause zu bringen.

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Florescu gelingt nach seinem, mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichneten, Meisterwerk „Jacob beschließt zu lieben erneut ein zutiefst empathischer Roman voller Zeitgeist. „Der Mann, der das Glück bringt“ vereint hier die widersprüchlichsten Gefühle und zeigt seine Protagonisten in der Nacktheit all ihrer Schwächen. Selten hat der scharfe Kontrast zwischen den künstlich erleuchteten Straßen von New York und einer Leprakolonie in Rumänien ein so weiches menschliches Bild voller Sehnsucht und Hoffnung gezeichnet, wie in dieser Erzählung.

Und selten hat ein aktueller Roman so sehr in seine Zeit gepasst, obwohl er sie gar nicht thematisiert. Florescu trifft seine Leser auf indirekte Weise. Er zieht sie in seine Geschichte hinein, hält sie gefangen und wartet mit ihnen gemeinsam auf den Moment des Erkennens. Die Suche nach der eigenen Identität, die Gefahr ihres Verlustes und das Streben nach Glück dominieren die Handlungsfäden dieses Romans.

Die Schlussakkorde sind mehr als gewaltig. Florescu endet nicht am Delta seiner beiden Erzählströme. Er führt sie weiter und man kann jedem Leser nur empfehlen, sich gut zu wappnen. Nichts überlässt der große Erzähler dem Zufall, nichts ist vorhersehbar und doch erschließt sich in den Enden des Romans seine vollständige Strahlkraft. Der letzte Satz allein ist das Lesen wert. Der letzte Satz ist mehr als ein Ende. „Der Mann, der das Glück bringt“ steht für diesen Satz, den ich nie vergessen werde.

Catalin Dorian Florescu - Das Interview

Catalin Dorian Florescu – Das Interview

Ein Interview für Literatur Radio Bayern auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse stellt den wichtigen Abschluss dieser Lesereise dar. Hoffnung, Heimweh, Sehnsucht, Tod und Leben. Darüber wird zu reden sein in einer Zeit, in der wir namenlose Hoffende sehen, denen man patriotisch besorgt voller Argwohn begegnet. Florescu leistet einen wichtigen literarischen Beitrag zum Verstehen!

Es ist nicht die erste Begegnung mit dem Schriftsteller Catalin Dorian Florescu. Vielleicht wird es ja diesmal ein richtiges Interview! Ein Rückblick, der sehr lohnenswert ist. (hier) Und danach bleibe ich in New York. Bald mehr aus „Brooklyn„.

Der Mann, der das Glück bringt von Catalin Dorian Florescu

Das Ziel heißt Amerika – In Brooklyn geht es weiter…