„Der Hut des Präsidenten“ von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Möchtet ihr vielleicht mit einem ganz kleinen Ohrwurm in diese Buchvorstellung starten? Ich denke schon. Es gibt nämlich einen legendären Song vom guten alten Joe Cocker, der zum Roman Der Hut des Präsidenten – Atlantik Verlag – passt, wie die vielbeschriebene Faust auf unser literarisches Auge. You can leave your hat on„. Bei welchem Buch sollte man eigentlich einen Hut tragen? Bei welchem Buch entsteht schon während des Lesens der ersten Zeilen der dringende Wunsch, gut behütet weiter in die Handlung vorzudringen?

Und bei welchem Roman wird man plötzlich von Verlustängsten geplagt, genau diesen Hut zu verlieren? Wobei es wirklich nicht ganz egal ist, welchen Hut man trägt. Zumindest nicht im Roman von Antoine Laurain. Schwarz sollte er sein. Hochwertig und aus bestem Filz. Kein einfacher Gebrauchshut für den Alltag! Nein, es darf bitte etwas staatstragendes sein. Repräsentativ und mit Charakter. Die Initialen F.M. dürfen auch nicht fehlen. Dann wären wir ganz nah dran. Chapeau.

„Der Hut des Präsidenten“ ist kein alter Hut. Er ist der Hut des französischen Staatsoberhauptes François Mitterrand, der die Geschicke unseres Nachbarlandes von 1981 bis 1995 im Amt des Präsidenten der Republik lenken durfte. Grund genug, uns mit einem flotten Song auf den Lippen in die Vergangenheit zu begeben und Paris einen literarischen Besuch abzustatten. Grund genug, das eigene Hutband ganz fest zu binden, damit uns nicht das Missgeschick widerfährt, das hier für einen ganzen Roman als Initialzündung dient. Herzlich willkommen im Jahr 1986. Joe Cocker veröffentlichte einen Song, dem der Herr Präsident wohl besser zugehört hätte. Denn ihm passiert das Unglaubliche:

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

François Mitterrand vergisst sein Markenzeichen, seinen schwarzen Filzhut mit den magisch anmutenden Initialen F.M. in einem gemütlichen Pariser Lokal. Einfach so. Weg. Doch während er den Verlust nicht zu bemerken scheint, rückt der bis dahin völlig unbeteiligte kleine Buchhalter Daniel Mercier plötzlich in den Mittelpunkt der Ereignisse. Aus einem einsamen kleinen Abendessen wird nun der Wendepunkt seines Lebens.

Daniel Mercier kann nicht widerstehen, den präsidialen Hut an sich zu nehmen, ihn kurzerhand aufzusetzen und möglichst unauffällig den Ort dieser Zufallsbegegnung zu verlassen. Hätte er nur geahnt, welche Kette an skurrilen Ereignissen er mit dieser Tat auslöst, er hätte diese Kopfbedeckung wohl besser ignoriert. Bei Licht betrachtet war es jedoch die beste Entscheidung seines Lebens, mit dem Hut des Präsidenten auf dem nun hoch erhobenen Haupt die Straßen von Paris zu betreten.

Der kleine Zufall, der Wink des Schicksals, die eine kleine Chance, die Fügung oder ganz einfach Bestimmung. Von allem etwas ist nun dafür verantwortlich, was dem unscheinbaren Buchhalter widerfährt. Zuerst sieht es so aus, als würde der Spruch „Kleider machen Leute“ hier eine ganz eigene Renaissance erleben. Der Filzhut des höchsten Würdenträgers im Lande färbt auf das Verhalten des Kleinen Mannes ab. Während Daniel über sich hinauszuwachsen scheint, schrumpfen die Menschen um ihn herum. Sie werden unbedeutend. Daniel Mercier wird sich seiner selbst bewusst und seine Chefs erleben ihn von einem auf den anderen Tag völlig anders.

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Schon wieder kommt mir Joe Cocker in den Sinn und ich summe die Melodie fröhlich vor mich hin, während ich der Geschichte des Buchhalters folge, sein Aufblühen erlebe und bemerke, wie sehr das kleine neue Detail zur Trutzburg wird, die Mut verleiht. „You can leave your hat on“ flüstere ich ihm zu und denke mir, dass ich nun miterleben kann, wie der kleine Mitarbeiter so richtig durchstartet. Einen ersten Sprung einer neuen Karriere erlese ich noch, doch dann widerfährt ihm das gleiche Missgeschick, das den Präsidenten ereilt hat.

Wie gewonnen, so zerronnen. Daniel Mercier vergisst „seinen“ Hut in der Bahn und herrenlos scheint die charismatische Kopfbedeckung nun Damenanschluss zu suchen. Wobei wir schon beim zentralen Element dieses Romans angekommen sind. Der Hut wechselt mehrfach seine kurzzeitigen Besitzer. Er scheint sich einerseits dauerhaft zu verweigern, hinterlässt aber in der kurzen Periode des Behütens bleibenden Eindruck im Leben seiner Träger.

Da ist die kleine und lebenslustige Fanny Marquant, die auf der Suche nach der Liebe ihres Lebens bei einem Mann hängengeblieben ist, der alles will. Nur keine Zukunft mit ihr. Verheiratet und unehrlich hält er sie jahrelang hin, nutzt sie aus, hat seinen Spaß und das könnte ewig so weitergehen. Bis Fanny eines Abends zum gemeinsamen Tête-à-tête erscheint – diesmal nicht kopflos, sondern auch mit erhobenem Haupt, auf dem nun ein Herrenhut thront.

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

„Die schwarze Filzkrempe gab ihr Schutz, verengte den Raum um sie herum, begrenzte ihn auf einen fest umrissenen Horizont.“

Das ausschweifende Leben findet einen Orientierungspunkt. Das kleine Detail auf dem Kopf verändert auch hier schlagartig ein Leben, und doch wird dem Leser schnell klar, dass Der Hut des Präsidenten nicht bei Fanny bleiben wird. Er wechselt erneut seinen Besitzer und mit diesem „Hütchen wechsel dich – Spiel“ lernen wir Menschen kennen, die uns in ganz kurzer Zeit ans Herz wachsen. Wir ahnen die Veränderungen, die sie erleben werden und sind doch schon auf den erneuten Verlust vorbereitet.

Auf unserem Leseweg begegnen wir dem leicht derangierten Pierre Aslan, auch „Die Nase“ genannt, obwohl er dieses Attribut schon lange verloren zu haben scheint. Der wohl begnadetste Parfüm-Designer in Paris hat schon seit Jahren seine gute Nase verloren und ist fast in Vergessenheit geraten. Als ihm der Hut in die Hände fällt, liegt etwas Besonderes in der Luft.

Auch der desillusionierte Bernard Lavallière macht Bekanntschaft mit dem Hut der Hüte. Der Angehörige der Pariser Oberschicht hat eigentlich alles, was anderen fehlt. Und doch scheint gar nichts davon auf seine Persönlichkeit schließen zu lassen. Antike Möbel, verstaubte Gemälde und ein Leben an der puren Oberfläche der Society haben seinen Blick vernebelt und verschleiert. Als der Schleier dem Hut weicht, beginnt auch er zu erkennen.

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Nun könnte es ewig so weitergehen, aber da es niemand schafft, Joe Cocker´s Song dauerhaft zu singen, gelingt es dem mehr als begnadeten Schriftsteller Antoine Laurain, der Geschichte mit den vielen Geschichten eine unerwartete Wendung zu geben, die alle Handlungsfäden in der Hutkrempe des Präsidenten vereint. Grandios erzählt, voller Irrungen und Wirrungen, skurril, unterhaltsam, amüsant und voller Charaktere, die man in seinem Lesen nicht mehr missen möchte. Er bringt alles unter einen Hut.

Alleine der Parfümeur und seine Geschichte gehört zu den wundervollsten Passagen eines Romans die ich in letzter Zeit lesen durfte. Und doch hat dieser Roman etwas von einem Asterix-Heft. Man kann ihn genießen, oberflächlich lieben, versinken, lachen und weinen. Bei genauer Betrachtung zeichnet Laurain jedoch ein tiefes Portrait von Paris in der Mitte der 80er Jahre. Kultur, Gesellschaft, Architektur, Diskriminierung, Politik, das Lebensgefühl der Franzosen, Revolutionen im Kleinen, der drohende Rechtsruck und die Angst vor Terrorismus. All diese Elemente finden wir im Muster des Hutes wieder, obwohl er keines zu haben scheint.

Betrachtet man Frankreich heute und vergleicht es dann mit der Zeit in der Mitterrand seinen Hut verlor, dann schärft dieser Hut auch unseren Blick. Es scheint, dass wir ihn aufsetzen und nun vieles erkennen, was uns schleierhaft und unbegrenzt war. Laurain macht seine Leser zu den Trägern dieses Hutes. Und genau in dem Moment, in dem man die Krempe spürt, stellt sich die Gegenwart scharf und vielleicht verändert dieser Roman die Menschen ebenso sehr, wie Der Hut des Präsidenten auf seiner langen Reise durch eine traumhafte Stadt es mit seinen Trägern vollbracht hat..

„You can leave your hat on…“ Julia und ich summen dieses Lied noch heute. Gut behütet durch diesen Roman – wollen wir mal hoffen, dass wir unsere Hüte nicht verlieren. Und herzlichen Dank für Deine Bilder aus Paris, die ich hier unter meinen Hut bringen durfte.

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

Der Hut des Präsidenten von Antoine Laurain

PS… Ein Gedanke zum Schluss… Ob das, was mit Mitterrands Hut geht, auch mit Merkels Kappe funktioniert? Nein… Bilder aus meinem Kopf. Lassen wir den Roman in Paris. Und jetzt raus aus der Hutschachtel des guten Lesens. Setzt einen Hut auf und ab nach Paris. Und immer schön festhalten. Also den Hut natürlich.

Hüte.. Überall Hüte.. Und immer wieder tolle Stimmen zu diesem Buch, das bereits auf Platz 8 der Spiegel-Bestsellerliste gehüpft ist. Auch Anja hat den Hut auf

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