„Nur Meer und Himmel“ von Michael Morpurgo

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Man vergleicht ihn in seinem Heimatland oft mit Robert Louis Stevenson. Man sagt ihm nach, dass seine mehr als erfolgreichen Kinder- und Jugendbücher Abenteuer so hautnah vermitteln, dass man meint, nicht nur Teil des Lesens, sondern aktiver Teil der Geschichte zu sein. Im deutschsprachigen Raum ist Michael Morpurgo vielleicht noch einer der bekanntesten unbekannten Autoren unserer Zeit. In England jedoch genießt er große Aufmerksamkeit und erfreut sich einer treuen Leserschaft.

Woher wir ihn kennen könnten? Was wir von ihm gelesen haben? Nun, vielleicht haben wir ihn lesend noch nicht so richtig entdeckt, aber die Verfilmung eines seiner Bücher hat auch hier Millionen Menschen in die Kinos gelockt. 1984 schrieb er War Horse und die cineastische Adaption von Steven Spielberg mit Benedict Cumberbatch (Sherlock) in einer mehr als tragenden Rolle hat wohl gezeigt, wie Morpurgo erzählt und was ihn beschäftigt.

Michael Morpurgo - Der Autor von War Horse - Gefährten

Michael Morpurgo – Der Autor von War Horse – Gefährten

Gefährten“ erzählt die bewegende Geschichte eines Pferdes im Ersten Weltkrieg. Die Geschichte einer Familie, der nur dieser Gefährte bleibt, um das karge Stückchen Land zu bestellen. Und genau dieses treue Pferd wird nun von der britischen Kavallerie konfisziert und an die französische Front verschifft. Joey galoppiert gequält über die Schlachtfelder, während sein junger Besitzer Albert Narracot seinem besten Freund in den Krieg folgt. Ein ganz großer, ein bewegender, ein grandioser Film. Ebenso erzählt Michael Morpurgo. Und genau so schreibt er.

Nun können wir uns in einem besonderen Jugendbuch davon überzeugen, denn seine Erzählung „Half a Man“ ist gerade in der Reihe „Die Bücher mit dem blauen Band“ im Fischer Verlag erschienen. Wenn „War Horse“ eine epische Geschichte mit vielen verschachtelten Nebenhandlungen war, dann haben wir es in Nur Meer und Himmel mit dem puren Extrakt einer großen Erzählung zu tun.

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Illustriert von Gemma O`Callaghan entwickelt Morpurgo aus der Rückschau seines Ich-Erzählers auf seine Jugend die bewegende Geschichte seines Großvaters. Viele Worte benötigt der britische Schriftsteller nicht. Verschnörkelungen oder pathetische Phrasen sucht man vergebens. „Nur Meer und Himmel“ gleicht dem Kern einer Praline. Sie kommt ohne Verpackung, ohne Mantel und ohne Verzierung aus, sondern entfaltet ihren vollen Geschmack schon auf der ersten Seite.

Michael fürchtet sich vor den seltenen Besuchen seines Großvaters in London. Allzu verbittert ist der alte Mann, allzu allein und allzu versehrt an Körper und Seele. Eine dramatische Kombination für einen Jungen, der so gerne den eigenen Großvater erleben würde. Aber alle Warnungen besagen, dass er genau das nicht darf. Verbote bereiten die Besuche seines Opas vor.

Keinen Krach darf er machen! Opa ist empfindlich! Keine Fragen soll er stellen! Das gehört sich nicht… Und ganz besonders wichtig: Michael darf seinen Großvater auf keinen Fall anstarren. Darauf würde er sehr empfindlich reagieren. Und das aus gutem Grund. Er hat im Krieg sein Gesicht verloren. Verbrannt, vernarbt und entstellt kam er zurück. Was damals genau geschah, hat er nie erzählt. Auch nicht, warum ihm so viele Finger fehlen. Niemanden hatte das zu interessieren.

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Doch Michael durchbricht die Verbote. Er starrt. Nicht neugierig angewidert, sondern auf der Suche nach den Augen seines Großvaters. Doch erst Jahre später, bei seinen ersten Ferien auf der kleinen Scilly Insel Bryher kommt es beim gemeinsamen Angeln zur ersten richtigen Annäherung der beiden.

Und dann, an Bord eines kleinen Bootes, beginnt der alte Mann zu erzählen. Von der Handelsmarine, dem Torpedo, den Flammen und all dem, was geschah, nachdem er lichterloh brannte. Sein Großvater erzählt ihm zum ersten Mal die ganze Geschichte vom „Halben Mann“. Und nicht nur das. Er erzählt von einer Welt, die sich völlig veränderte nachdem von seinem Gesicht nicht viel geblieben war.

53 Seiten benötigt Michael Morpurgo. Einige davon in bunten Bildern malerisch und berührend illustriert. Wenig Text. Stimmung und Gefühl sollen intensiv vermittelt werden und greifen von Seite zu Seite mehr nach der Seele des Lesers. In der Mitte des Buches kamen die Tränen. Rührung überkam mich und Erinnerungen an meinen sprachlosen eigenen Großvater.

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Erinnerungen und Lücken in den eigenen Geschichten, die viele Menschen sehr gut nachempfinden können, die auf die eine Sekunde warten, in der sich die Großeltern öffnen und erzählen, wie es damals war und was ihnen zugestoßen ist. Die Tränen hörten nicht mehr auf und von Seite zu Seite wächst man mehr mit den beiden Männern im kleinen Boot zusammen. Eine wohl sehr autobiografische Geschichte und die Antwort auf viele Fragen von Eltern. Lasst Kinder fragen, lasst sie schauen. Es ist kein Starren. Es ist normal. Eine Geschichte die integriert und die Augen öffnet. Nur dann versteht man…

Bis am Ende ein Sturzbach der befreienden Tränen fließt und man leise vor sich hin murmelt „Ist das eine schöne Geschichte“. Nicht weil sie als schön, im eigentlichen Sinne betrachtet werden darf. Sie ist einfach nur ehrlich, authentisch und von einer tiefen menschlichen Herzlichkeit geprägt, dass man sie sofort wieder von Neuem zu lesen und betrachten beginnt. Ich habe dieses Buch an einem ruhigen Abend am „Lagerfeuer“ einem sehr wichtigen Menschen vorgelesen. Die gemeinsamen Gefühle bleiben unvergessen.

Wort und Bild gehen auch hier Hand in Hand. Was Michael Morpurgo nicht beschreibt, zeichnet Gemma O`Callaghan in warmen Farben wie einen lebendigen Dialog hinzu. Ein großer geschriebener Film spielt sich vor unseren Herzen ab. Öffnet der Sehnsucht nach der einen leuchtenden Sekunde des Erzählens euer Herz und lasst diese Geschichte zu. Gebt ihr einen kleinen Platz bei euch. Sie ist viel mehr als nur „Meer und Himmel“. Sie ist genau das Zwischendrin. Das Zentrum des Gefühls.

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Nur Meer und Himmel von Michael Morpurgo

Bücher über Menschen, die im Krieg ihr Gesicht verloren haben begleiten mich schon lange. Eins wollt ich dir noch sagen und In finsteren Himmeln beleuchten den wahren und dramatischen medizinischen und seelischen Hintergrund. Diese Bücher geben sich die Hand. Aufrichtig.

Update:

Anja hat auf ihrem Blog „Zwiebelchens Plauderecke wundervoll über dieses Buch geschrieben. Diese Sicht sollte man sich nicht entgehen lassen… Darf man nicht…