HAARMANN von Dirk Kurbjuweit

HAARMANN von Dirk Kurbjuweit - Astrolibrium

HAARMANN von Dirk Kurbjuweit

„Warte, warte nur ein Weilchen,
bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen,
macht er Schabefleisch aus dir.
Aus den Augen macht er Sülze,
aus dem Hintern macht er Speck,
aus den Därmen macht er Würste
und den Rest, den schmeißt er weg.“

Welcher Serienmörder hat schon sein eigenes Lied? Frei nach dem Motto, „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ war dieser Gassenhauer Warnung vor Unbekannten und Gruselschocker zugleich. Verdientermaßen, lag doch diesem Liedtext eine beispiellose Mordserie zugrunde. Zwischen 1923 und 1924 wurden besagtem Fritz Haarmann allein 24 Ermordungen junger Männer zur Last gelegt. Der Schauplatz der Taten: Hannover. Die Ermittlungen verliefen zäh, die Polizei schien ratlos und die Aufklärung zog sich zu lange hin. Viele Morde hätten verhindert werden können, so auch die öffentliche Sicht damals. Der Fall Fritz Haarmann wurde vielfach literarisch und filmisch verarbeitet. Der Götz-George-Film „Der Totmacher“ gehört hier zu den gelungensten Werken. Mir liegt darüber hinaus die Graphic Novel „Haarmann“ von Peer Meter und Isabel Kreitz vor, in der ein atmosphärisch dichtes Täterprofil skizziert wird. Düster und bedrohlich.

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HAARMANN von Dirk Kurbjuweit

Deshalb war ich doch erstaunt, den Roman „Haarmann“ von Dirk Kurbjuweit in der Programmvorschau des Penguin Verlages für den Februar 2020 zu entdecken. War da nicht schon alles erzählt? Wusste man nicht, wie die Ermittlungen verliefen, wie damals der Prozess gegen ihn endete? Gab es noch Überraschendes, nicht Erzähltes, Neues? Und dann auch noch Dirk Kurbjuweit. Der renommierte Schriftsteller und Journalist ist bekannt für seine unverbrauchten Themen und die analytischen Gratwanderungen auf den Verwerfungen die im Spannungsfeld Zeitgeschehen und Politik entstehen. Was hat ihn dazu bewogen, Fritz Haarmann in den Mittelpunkt seines Schreibens zu stellen. Die Frage beschäftige mich nachhaltig. Nach dem Lesen ist mir klar, was Dirk Kurbjuweit mit seinem Roman eigentlich erreicht hat. 

Im Gegensatz zu den zahlreichen Täterprofilen über einen Mörder, der seine Opfer im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet hat, schlachtet er Täter und Taten nicht aus, sondern wirft einen Blick auf die Zeitscheibe und die Rahmenbedingungen, die es einem solchen Täter ermöglicht haben, weitgehend unerkannt in Hannover zu morden. Nein. Dirk Kurbjuweit legt mit „Haarmann“ keinen kannibalistischen Grusel-Thriller vor. Er tastet sich aus der Perspektive seines Ermittlers an die Stimmungslage in der Stadt und der Polizei heran. Er seziert die Ausgangslage für die Morde und lässt uns mit den Eltern gemeinsam fassungslos auf die Ausmaße der ungeklärten Mordserie blicken. Es ist die offensichtliche Hilflosigkeit der Kriminalpolizei, die Kommissar Robert Lahnstein nach Hannover führt. Es herrscht Angst in der Stadt. Besorgte Eltern geben sich bei der Polizei die Klinke in die Hand. Die vermissten Jugendlichen sind unauffindbar. Spuren: Fehlanzeige. Zeugen: Fehlanzeige. Das Morden geht weiter.

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Dieser wahre Kriminalroman hebt sich deutlich von vergleichbaren Schablonen des Genres ab. Die beispiellose Mordserie steckt den Rahmen der Handlung ab, ohne dabei zur Kulisse zu verkommen. Der Druck auf die Polizei wächst enorm von Mord zu Mord, jedoch nicht nur von Seiten der Eltern und der Bevölkerung von Hannover. Hier sind es die politischen Rahmenbedingungen der instabilen Weimarer Republik, die hier ihren vollen Wirkungsgrad entwickeln. Der Friedensvertrag von Versailles verhindert in der öffentlichen Wahrnehmung die adäquate personelle Ausstattung der Polizei. Dabei muss das fragile Republikgebilde gerade jetzt beweisen, dass es für Sicherheit sorgen kann. Sozialdemokraten stehen im Widerstreit mit Kommunisten und Nationalisten mit dem Rücken an der Wand. Selbst die Polizei ist nicht als homogener Körper zu sehen. Gerechtigkeit ist Interpretationssache. Methoden stehen auf dem Prüfstand. Was, wenn Folter wieder salonfähig würde. Was, wenn man auf sie verzichtet und sich das Morden fortsetzt?

Dirk Kurbjuweit strukturiert Haarmann in Spannungsbögen, die zum Pageturner mutieren. Die Innenansichten seines Kommissars, die internen Verwerfungen bei der Polizei und der Leidensdruck der Eltern, die auf den Fluren Schlange stehen sorgen für hochexplosiven Sprengstoff. In kursiven Einschüben werden wir dann zu Zeugen einer Flucht eines jungen Mannes, dem Wunsch vor den Eltern abzuhauen und Hannover als Etappe zu nutzen. Wir ahnen, wo er enden wird, denn ebenso kursiv begegnen uns die Gedanken des Täters, der wie die Spinne im Netz auf Opfer wartet. Dirk Kurbjuweit hat nicht nur die politischen Strömungen seziert und analysiert. Ihm gelingt in seinem Buch das Besondere. Er enthebt die Opfer der Masse. Er verdeutlicht, dass hinter jeder Zahl eine Geschichte steht. So tragisch, so unverwechselbar, so einzigartig. Selbst der letzte Blick auf Fritz Haarmann zeigt die verworrene Situation, in der das Morden möglich war. Der Serienkiller mit geringem IQ und psychopathischer Veranlagung ist ein Opfer. Eine homophobe Gesellschaft drängte alle Menschen mit homoerotischen Neigungen an den Rand und in die Kriminalität. Bahnbrechendes Schreiben von Kurbjuweit, weil er diesen Facetten auch in seinem Ermittler Raum gibt. Hier finden sich keine Klischees.

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HAARMANN von Dirk Kurbjuweit

Kurbjuweit macht jene Serienmorde auch für Lesende lesbar, die einen Krimi nicht immer mit Blutorgien verbunden sehen wollen. Er öffnet eine längst geschlossene und gelöste Fallakte auch für politisch interessierte Leser, die in der Weimarer Republik den Anfang der Fehlentwicklung im 20 Jahrhundert erkennen. Der starke Mann wird schon hier gesucht. Recht und Gesetz gilt es zu verteidigen und eine politische Grundhaltung der inneren Instabilität ist zum Tode verurteilt. Mit Fritz Haarmann sitzt hier auch eine Demokratie, eine ganze Republik auf der Anklagebank. Dirk Kurbjuweit gelingt es, sich sprachlich auf die Besonderheiten der Zeit einzulassen. Seine Dialoge sind straff, seine szenischen Aufzüge düster. Mit seinem Ermittler erschafft er einen Kommissar, der auf der Suche nach sich selbst, seinen Wertvorstellungen und Vorbildern ist. Dabei werden wir aus der Ferne an Kriminalfälle erinnert, die sich in unserer Zeit zugetragen haben.

Ist Folter ein Instrument, die Wahrheit herauszufinden, wenn ein Kind entführt wird und der Täter schweigt? Gibt man neben der Rechtsstaatlichkeit auch Werte auf, wenn man diesen Weg geht? Macht man sich angreifbar und wird man selbst kriminell, oder muss man bestimmte Entscheidungen mit dem eigenen Gewissen ausmachen. Fragen, die den Roman überstrahlen und die Lesenden beschäftigen. Jeder hat seine eigenen Antworten. Kurbjuweit überrascht am Ende seines Romans. Sein Rechtsempfinden ist sinnbildlich für die erzählte Geschichte. Halbdokumentarisch baut er auf realen Fällen und einem realen Täter auf. Volldokumentarisch lässt er ihn zu Wort kommen. Ich war entsetzt und erstaunt zugleich, weil ich diesen Teil der wahren Geschichte nicht kannte.

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Die Graphic Novel Haarmann von Peer Meter und Isabel Kreiz stammt aus dem Jahr 2010. Hier findet sich das Täterprofil des Mörders, hier werden wir auch szenisch mit den Taten konfrontiert. Die Illustrationen lassen ein Hannover auferstehen, das sich in kollektiver Angst in sich zusammengezogen hatte. Ein Biotop des Bösen. Das Buch wirkt wie das Drehbuch zu einer Verfilmung. Man bekommt einige Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Hier wird Klartext gezeichnet und geschrieben. Atmosphärisch gelungen und für mich persönlich eine perfekte visuelle Ergänzung zu Dirk Kurbjuweits Roman. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, welch intensive Beziehung meine Bücher eingehen. Sie scheinen miteinander zu sprechen. Ihre Dialoge sind oft düster. Ihre Bilder stoßen manchmal ab. Im tiefen Inneren jedoch tragen sie Botschaften, die bemerkenswert und tragfähig sind. Gerechtigkeit nicht um jeden Preis, und schon gar nicht auf Kosten der demokratischen Wertvorstellungen, das beschreibt die Sehnsucht, die „Haarmann“ in mir wachruft. Ein grandioser Roman, eine aufrüttelnde Graphic Novel. Eigenständige Werke ihrer Genres und doch im Dialog vereint. Ich bin dankbar, sie beide mein Eigen nennen zu dürfen.

Ich freue mich schon auf meine Begegnung mit Dirk Kurbjuweit auf der Leipziger Buchmesse. Ich werde ihm am Messesamstag meine Fragen stellen und bin gespannt auf seine Antworten. Bloß nicht den Kopf verlieren, sag` ich mir immer…

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Bernard v. Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Bernard von Brentano - Der Beginn der Barbarei in Deutschland - AstroLibrium

Bernard von Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Nein, keine Sorge. Niemand hat die Absicht eine literarische Mauer zu errichten! Nein, keine Sorge. Das im Folgenden vorgestellte Buch hat nichts, aber auch gar nichts mit der aktuellen sozialpolitischen Situation unserer Gesellschaft zu tun. Also, bitte die Ruhe bewahren, zurücklehnen und einen Blick hinter die Kulissen eines Werks werfen, das aus der Zeit gefallen scheint. „Der Beginn der Barbarei in Deutschland“ klingt in unseren Ohren natürlich verdächtig nach der Aufarbeitung der letzten Landtagswahlen. Es klingt, als würde endlich der Rechtsruck in unserem Lande literarisch aufgearbeitet und auch die geprägte Schriftart des Covers lässt uns ahnungsvoll zusammenzucken.

Aber nein, ich kann Sie beruhigen. Es ist handelt sich hier um ein Buch, das bereits 1932 erschienen ist und das aus der Feder des deutschen Schriftstellers, Lyrikers und Journalisten Bernard von Brentano stammt. Keineswegs begeben wir uns lesend auf ein Terrain, das geeignet wäre unser Weltbild ins Wanken zu bringen. Keineswegs hat dieses Buch das Potenzial, die Zustände der Weimarer Republik in unsere heutige Zeit zu spiegeln. Und auf gar keinen Fall dürfen wir uns von diesem Buch eine Hilfestellung erwarten, wie wir mit unseren aktuellen Problemen umgehen. Belasten Sie dieses Buch also bitte nicht mit einer Erwartungshaltung, der es gar nicht gerecht werden will. Lesen Sie und… naja, dann werfen Sie einfach mein Eingangsstatement über Bord, wenn Sie mögen. Das jedoch wäre barbarisch und das wollen wir doch nicht mehr sein. Oder?

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Bernard von Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Bernard von Brentano schrieb in den Jahren 1931 und 1932 über die Stimmung in einem Land, das er immer weiter abdriften sah. Die politischen Zustände der Weimarer Republik schienen sich als Wegbereiter einer wirtschaftlichen Fehlentwicklung in einem nicht aufzuhaltenden Prozess zum Steigbügelhalter des nahenden Nationalsozialismus zu entwickeln. Die Unzufriedenheit der Menschen wurde immer lauter. Sie ließ sich gar messen. Arbeitslosigkeit, Unterversorgung, Armut und Entrechtung der Arbeiter griffen immer mehr um sich. So entschloss sich Bernard von Brentano, nicht nur eine Krise zu beschreiben, sondern sie von den Ursachen ausgehend zu erklären und die Folgen für den Einzelnen zu beleuchten.

Klar. Er machte sich mit diesem Werk keine großen Freunde in einem Land, in dem die Hakenkreuze schon auf Fahnen aufgenäht wurden und es darf den geneigten Leser im 21. Jahrhundert nicht wundern, dass genau dieses Buch 1933 verboten war. Wie viele andere Bücher auch, wurde es öffentlich auf dem Scheiterhaufen der Braunen Horden verbrannt. Der Autor wurde zur Emigration in die Schweiz gezwungen. Und dabei hatte er mit der unverhohlenen Warnung vor der beginnenden Barbarei gar nicht die Nazis gemeint. Das mussten sie wohl in den falschen Hals bekommen haben und auf diesem historischen Missverständnis beruht der wohl legendäre Status dieser Reportage, die in vielerlei Beziehungen geeignet ist, auch heute noch kräftig missverstanden zu werden.

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Bernard von Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Räumen wir einfach damit auf. Begeben wir uns mit den geschulten Augen eines brillanten Beobachters in die Zeit, die er beschreibt und lassen wir uns auf ihn ein. Akzeptieren wir die Schwächen dieser Reportage, die Brentano später selbst einräumt und die dazu führen, dass er sich in gewisser Weise von diesem Buch distanzierte. Ich habe jeden Standpunkt, jede Perspektive als Inspiration empfunden, weil es dem Autor gelungen ist, eine Zeitscheibe so facettenreich zu beleuchten, dass man die Antworten auf Fragen findet, die uns intensiv beschäftigen. Warum fliehen die Massen in die Arme von Nationalsozialisten, warum ist diese Zuflucht aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sogar nachvollziehbar und wo sind die Ursachen zu finden. Das Verständnis für diesen sozialen Umbruch kann unsere Augen öffnen und dafür sorgen, ihm mit offenen Augen zu begegnen. Verständnis verhindert Wiederholung.

Brentano bereist das zermürbte Deutschland. Er besucht verarmte Bergarbeiter in der schwersten Stunde ihrer Existenz. Er analysiert die Folgen eines Grubenunglücks und wirft einen ungeschönten Blick auf die Verzweifelten, denen jede Lebensgrundlage genommen wurde. Er beschreibt den Niedergang der Landwirtschaft und die um sich greifende Mechanisierung als Ursache für die zunehmende Arbeitslosigkeit. Er geht in die Arbeiterviertel und vermittelt die Stimmungslage angesichts einer Krise ohne echte Auswege. Er beschreibt die Schieflage zwischen Arm und Reich. Zerpflückt die großen Industriellen und Kapitalisten, die fernab jeder Wertschöpfung das Individuum in einem täglichen Überlebenskampf ausbeuten. Er legt die Finger in alle Wunden.

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Bernard von Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Sein Barbarei-Begriff bezieht sich nicht auf die am Horizont auftauchenden Nazis. Er bezieht sich auf Karl Marx, der einer solchen Krise nur den Sozialismus als Entwurf entgegenhält, der ein Abdriften in eine totale menschliche Barbarei verhindern kann. In diesem Sinne gewinnt das Kollektiv immer mehr Bedeutung und das Recht des Starken wird konterkariert. Seine Befürchtung mündet in den Gedanken, dass am Ende dieser wirtschaftlich-sozialen Sackgasse die Selbstzerfleischung des Menschen steht. Da liegt auch der wesentliche Kritikpunkt, der das Buch aus heutiger Sicht zu einem nicht ganz leicht verdaulichen Werk werden lässt. Brentano sieht Lösungen im Kommunismus. Er sieht Karl Marx und dessen Theorien als wegweisend an. Fünfjahrespläne, gesteuerte Wirtschaftssysteme zum Nutzen des Kollektivs und eine Umverteilung des Eigentums sind für ihn zu diesem Zeitpunkt Stellschrauben, an denen man drehen könnte, um die Barbarei zu verhindern.

Später distanzierte er sich von diesen Thesen. Später erkannte er, wie Wertschöpfung im Kommunismus funktionierte und welche Opfer die einfachen Arbeiter auch dort zum Erreichen der Sollvorgaben zu erleiden hatten. Hier müssen auch wir uns fernhalten im Verständnis für jene Reportage. Sie ist aus der Zeit in unsere Hände gefallen. Bernard von Brentano beschreibt eine Republik im Niedergang. Er greift nach jedem Strohhalm, der Besserung verheißt. Er hat sich später deutlich korrigiert. Das alles ändert nichts an der schieren Wucht der Beschreibung. Es ändert nichts an dem Blick auf das Leben im Angesicht des drohenden Untergangs. Wo Brentano den Kommunismus als möglichen Ausweg sah, da flüchtete die Masse von einem Desaster ins nächste. Populisten hatten Angst geschürt, verdoppelt und Sündenböcke präsentiert. Ein Automatismus, der auch heute noch zu greifen scheint.

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Bernard von Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Dieses Buch hat mich bereichert. Es hat Verständnis geweckt für die Menschen dieser Zeit. Verständnis für meine Großeltern, die mir nicht viel von den Gefühlen und Ängsten erzählen konnten und wollten. Am Ende der Weimarer Republik war man auf der Suche nach einem Notausgang. Und der strahlte in leuchtenden Farben, versprach Arbeit und Lohn, füllte ideologisch die Löcher, die durch Angst aufgerissen wurden und zeigte sogar auf die Schuldigen. Alles viel zu einfach gedacht. So, wie Populisten auch heute nur Ängste schüren, Schuldige benennen, aber ansonsten blass bleiben. Immer klarer wird der Blick für die Realität. Warum sollten totalitäre Systeme die Angst durch Hoffnung ersetzen? Angst ist Machtgrundlage. Und die darf nicht verlorengehen. Aus Brentanos Reportage kann man lernen. Man darf es sich nur nicht leichtmachen, sie in unsere Zeit zu übertragen. Dafür unterscheiden sich die Parameter der Betrachtung zu erheblich. 

Die Erben Brentanos sollten weg von der Theorie und hin zum Betroffenen gehen und den Menschen aufs Maul schauen, denen es nicht gut geht. Objektiv messbar oder subjektiv empfunden. Ihnen Gehör zu verschaffen stellt eine Grundlage für einen Dialog dar, der geführt werden muss, um schillernde Notausgänge zu verschließen. Wir müssen miteinander reden. Brentano hat mit der Reportage „Der Beginn der Barbarei in Deutschland“ einen Meilenstein gesetzt.

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Bernard von Brentano – Der Beginn der Barbarei in Deutschland

Der Beginn der Barbarei in Deutschlandvon Bernard von Brentano / Einführung von Roman Köster / Eichborn Verlag / 313 Seiten / 18 Euro

Uwe, der Kaffeehaussitzer spannt seinen Rezensionsbogen von der Barbarei bis zum heutigen Glauben, der Markt würden schon alles regeln… hier geht´s lang