Winterbienen von Norbert Scheuer – Ein Durchbruch

Winterbienen von Norbert Scheuer - AstroLibrium

Winterbienen von Norbert Scheuer

Es ist, als würde eine der wichtigsten Erzählquellen der Eifel über die Ufer treten. Es ist, als würde sich der Erzählfluss eines Heimatschriftstellers mit den Erzählströmen der bedeutenden Autoren unseres Landes vereinen und einen Stausee füllen, aus dem wir unendlich schöpfen können. Es fühlt sich an wie ein Naturereignis, da der Eifelfluss nicht in diesen Erzählfluten unterzugehen droht, sondern unverwechselbare und extrem nachhaltige Spuren im großen Literatur-Meer hinterlässt. Es ist wie die Neugeburt einer Stimme, der man zuvor vielleicht eher regionale Relevanz beigemessen hat. Die Rede ist hier von Norbert Scheuer, der mit seinen bisherigen Romanen einen authentischen und emotionalen Blick auf seine Heimat, die Eifel, gerichtet hat.

Kall – Eifel“ und „Am Grund des Universums“. Zwei Romane, die den Menschen der ländlichen Region huldigen. Geschichten über Heimkehren, Bleiben und die Sehnsucht nach dem einen Ort, mit dem man alles verbindet. Es sind Erzählungen, in denen sich Norbert Scheuer durch die Sedimentschichten seiner Heimat gräbt, den Menschen, die ihm täglich begegnen ein literarisches Gesicht und Identität verleiht. Romane, die nicht nur in der Eifel gelesen werden. Scheuer lässt seine traumatisierten Protagonisten aus Afghanistan in die Heimat zurückkehren. Er lässt uns aus ihrer Perspektive beobachten und agieren. Er errichtet neue Gebäude auf den Ruinen der Vergangenheit, lässt einen Stausee trockenlegen, um aus den Fundstücken Geschichten zu erzählen. Scheuer ist ganz nah am Puls der Menschen, denen er aus der Seele zu schreiben scheint.

Winterbienen von Norbert Scheuer - AstroLibrium

Winterbienen von Norbert Scheuer

Und doch hängt seinen Werken das Regionale an. Das Lokalkolorit und der typische Menschenschlag, sowie die Themen, denen er sich widmete mögen Gründe dafür sein, dass er nicht so wahrgenommen wurde, wie ihn Literatur-Insider schon immer gesehen haben. Als ganz großen Erzähler. Ich bin selbst ein Kind der Eifel. Ich bin vom Schlage dieser Menschen. Ich bin typisch und doch bin ich gegangen. Seine Romane waren für mich, wie die Rückkehr nach Hause. Hoffend, man möge im Stausee Dinge finden, die mit mir in Verbindung stehen. Hoffend, mein Heimatgefühl zu reanimieren. Jetzt hat der (vielleicht unterschätzte) Heimatschriftsteller (und ich meine das nicht despektierlich) in seinem neuen Buch ein Kapitel seines Schaffens aufgeschlagen, das ihn stilistisch und inhaltlich in eine neue Dimension vorstoßen lässt.

Winterbienen“ von Norbert Scheuer – C.H. Beck Verlag

Ja, er beheimatet seine Geschichte in der Eifel. Ja, es ist erneut das Dörfchen Kall, das im Mittelpunkt seines Romans steht. Und ja, es sind diese so typischen, aber nicht stereotypen Menschen, die den Landstrich mit Leben füllen. Diesmal jedoch öffnet sich der Mikrokosmos Eifel und wird vom großen Weltgeschehen vereinnahmt, vergewaltigt und vernichtet. Wir erleben Kall im vorletzten Jahr des Zweiten Weltkrieges. 1944. Eine eigentlich ländliche Idylle, in der sich die Nazi-Ideologie ebenso ausgebreitet hat, wie in ganz Deutschland. Eine Idylle, in der die Zeit stehenzubleiben scheint. Und doch rückt die Eifel ins Zentrum der alliierten Aufmarschpläne zur Eroberung des Dritten Reichs.

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Winterbienen von Norbert Scheuer

Schlagworte wie Ardennenoffensive, Allerseelenschlacht und Hürtgenwald sind bis heute unvergessen. Überschriften über einem Kapitel im Leben der Menschen in Kall, die zu Beginn dieses Jahres 1944 noch nicht getextet waren, ihre Spuren jedoch in Form alliierter Bomberverbände in den Nachthimmel schrieben. Hier treffen wir auf den Imker Egidius Arimond. Auch ihn hebt Norbert Scheuer aus der Bedeutungslosigkeit eines kleinen regionalen Charakters hinaus, indem er das Drama der Nazi-Ideologie in seiner Existenz spiegelt. Epileptiker, Fluchthelfer für jüdische Emigranten auf dem Weg nach Belgien und leidenschaftlicher Bienenzüchter. Überschriften über einem Leben, in dem nichts so ist, wie es sein sollte.

Als Epileptiker aussortiert, weil er das unwerte Leben repräsentiert, während andere im Krieg ihren Mann stehen. Als Fluchthelfer unverzichtbares Bindeglied auf der letzten Route ins vermeintlich sichere Belgien und als Bienenzüchter auf der Suche nach dem einen widerstandsfähigen Volk, das sein Überleben sichert. Flüchtlinge verbirgt Egidius in präparierten Bienenstöcken. Sein Wissen rettet Leben. Für sich selbst kann er kaum etwas tun. Medikamente: Fehlanzeige. Unterstützung: Fehlanzeige. Und jeder Tag, den der Krieg länger dauert, reduziert seine Hoffnung. Ein einfacher Mensch. Ein typischer und sich doch von der Masse der Mitläufer so sehr unterscheidender Mensch. Ein ganz großer literarischer Wurf, weil alle Erzählräume des Romans hier ihren Ursprung finden.

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Winterbienen von Norbert Scheuer

Während sich die Weltgeschichte der Eifel nähert, während D-Day und das Attentat auf Jupp (so Hitlers Spitzname in der Eifel) vom 20. Juli 1944 nur aus der Ferne in das Bewusstsein der Menschen rauschen, zieht sich die Schlinge um Egidius immer enger zusammen. Verrat, Denunziation, Bombenangriffe, Minenfelder, das letzte Aufgebot der Wehrmacht und zurückkehrende verwundete Soldarten, die ihn beneiden, stellen seine Existenz unter Vorbehalt. Dazu noch die häufiger auftretenden epileptischen Anfälle. In kaum einem Roman wird ein gefährdetes Biotop so spürbar vom situativen Rahmen der Zeit aufgesaugt. Hier schreibt sich Norbert Scheuer auf eine metaphorische Ebene und öffnet die Szenerie für die großen Widersprüchlichkeiten des Lebens. Während Bienen gehegt und gepflegt, gezüchtet und umgesiedelt, zu Völkern vereint werden und Honig geerntet wird, kommen wir Leser aus dem Staunen nicht heraus.

Das Opfer der nationalsozialistischen Reinrassigkeit, derjenige, der sieht, wie man Völker untergehen lässt und vernichtet, der Ausgegrenzten zur Hilfe eilt, sucht nach der perfekten und überlebensfähigen Bienenrasse. Er sortiert aus, selektiert, siedelt Völker um, erweitert ihren Lebensraum, beobachtet und fördert Königinnenmord, er notiert die Fortschritte akribisch, erntet, entsorgt nutzlose Drohnen und Arbeiterinnen, während er mit Abscheu beobachtet, wie man Zwangsarbeiter prügelt. Die Widersprüchlichkeit der Rassetheorien wird greifbar. Die Perversion der Nazis tritt im langsamen Erzählfluss in immer erschreckenderen Bildern zutage. Norbert Scheuers Sprache erhebt sich über den Schrecken der Zeit. Wenn er von Nazi-Goldfasanen spricht, wird er zum literarisch brillanten Widerstandskämpfer. Wenn er von Bienen spricht, dann macht er Forschern Konkurrenz:

„Sie bilden in den ersten frostigen Nächten eine Traube,
in der sie sich gegenseitig wärmen… wenn man ihnen zusieht,
ist es, als blicke man in ein träumendes Gehirn.“

Winterbienen von Norbert Scheuer - AstroLibrium

Winterbienen von Norbert Scheuer

„Winterbienen“ ist ein großer Roman. Er vereint Erzählräume aus „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde mit den Perspektiven der Widerstandskämpfer in unserer Literaturgeschichte. Fallada lässt grüßen. Wir leben, leiden und lieben mit Egidius. Wir begleiten ihn, wohlwissend, was sich von allen Seiten über ihn ergießen wird. Wir sind an seiner Seite, wenn er Leben rettet und Bienenvölker selektiert. Wir stehen zu ihm in allen Situationen, in denen er uns ängstlich, mutig, zögernd und forsch vorausgeht. Die Epilepsie als tickende Zeitbombe im eigenen Körper, britische Bomber über sich, Nazis im Rücken und die Wunderwaffe des Dritten Reichs, V2-Raketen, als Schreckgespenst eines andauernden Krieges im Auge. Dieser Roman ist relevant, er ist brillant erzählt, in seiner Konstruktion unantastbar und gnadenlos zu Ende gedacht.

„Winterbienen“ schließt Kreise im Schreiben von Norbert Scheuer. Das Nachwort ist eine Offenbarung. Der Stausee bei Kall verschluckt am Ende Gegenstände, die erst Jahrzehnte später „Am Grund des Universums“ gefunden werden. Dieser Roman ist ein literarischer Fingerzeig auf die Eifel im Krieg, die Folgen von Ausgrenzung und den grenzenlosen Fanatismus der braunen Ideologie. Norbert Scheuer öffnet eine Tür zur Eifel, die man durchschreiten sollte. Nicht nur, um Scheuers Schreiben in einem neuen Kontext zu sehen. Sondern ganz besonders, um eine Stimme zu vernehmen, die ihren Durchbruch dem Einbruch einer heilen Welt verdankt.

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Winterbienen von Norbert Scheuer

Die deutsche Literatur ist im Flow. Wildwasser und ruhige Erzählströme sind von so großer Reinheit, wie selten zuvor. Man sollte davon kosten. Und dann sollten wir unser geschultes Auge schweifen lassen und Bücher vereinen, die der Mensch nicht trennen darf. Propaganda von Steffen Kopetzky fällt wie ein Wirbelsturm über die Eifel her. Die Allerseelenschlacht, ein Stausee, die Ardennenoffensive aus Sicht der Eroberer im Hürtgenwald und das unbekannte Terrain Eifel. All dies findet seine Entsprechung. Im Buchhandel würde ich beide Romane gemeinsam präsentieren. Sie sind komplementär. Zwei große Geschichten – 50 Quadratkilometer Erzählraum!

Winterbienen von Norbert Scheuer / C.H. Beck Verlag / 319 Seiten / gebunden / mit 13 Illustrationen von Erasmus Scheuer (Kampfflugzeug-Vignetten) / 22 Euro

Herkunft von Saša Stanišić

Herkunft von Saša Stanišić - AstroLibrium

Herkunft von Saša Stanišić

Eigentlich kenne ich ihn aus Fürstenfelde. Er feierte dort ein literarisches Fest bevor er mich dem Fallensteller auslieferte und an den Ort des Geschehens zurückkehrte. Er, das ist Saša Stanišić. Deutschsprachiger Schriftsteller aus Bosnien-Herzegowina, mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Roman „Vor dem Fest“ ausgezeichnet, für den Deutschen Buchpreis nominiert und mit vielfachen Literatur-Ehren überhäuft. Er stammt aus Višegrad, einer bosnischen Kleinstadt, ist Sohn einer Bosniakin und eines Serben. Er floh mit seinen Eltern vor dem Bosnienkrieg im Jahr ´92 nach Deutschland. Er war gerade mal vierzehn Jahre alt, als es das alte Jugoslawien von den Landkarten fegte und sich explosionsartig in seine multi-ethnischen Bestandteile zerlegte.

Er schrieb bisher über sehr besondere Menschen in Biotopen ihrer ganz eigenen Heimat. Saša Stanišić ist für mich einer der ganz großen traurigen Clowns der Literatur. Man weiß nicht ob man lachen oder weinen soll, wenn man ihn liest oder ihm zuhört. Er verzaubert Menschen mit knallbunten literarischen Lustballons, verführt sie mit absolut aberwitziger Wortakrobatik zum Staunenlachen und enthüllt beiläufig, dass im Zentrum seiner Geschichten eine unübersehbare Portion bittersüßer Melancholie verborgen ist. Eine Grundstimmung, die ihn als Beobachter aufmerksam und hellhörig macht, und die verhindert, dass belanglos Dahergesagtes belanglos bleibt. Er legt seine Stimme tief in die Wunden unserer Gesellschaft. Aus gutem Grund.

Herkunft von Saša Stanišić - AstroLibrium

Herkunft von Saša Stanišić

Wenn er bisher von Heimat und Identität erzählte, so konnte man vermuten, dass er sich selbst in den Figuren seiner Romane spiegelte. Er zerrte die Randgestalten kleiner Dörfer ans Licht, rückte sie in den Mittelpunkt und ließ sie dann gegen die Windmühlen aus Vorurteil und Vorbehalt ankämpfen. Er schrieb über eigene Menschenschläge mit Eigenarten in eigenartigen Landschaften. Und doch zeigte er uns deutlich, was Heimat bedeutet, welches Gefühl ein Zuhause vermittelt und wie wichtig Identität und Zuhause sind. Der innere Kompass eines Menschen richtet sich zumeist nach dem Ort aus, dem man seine Prägung und Sozialisierung verdankt. Abstrakt war es nicht, was er schrieb. Und doch zeigte er selten sein wahres eigenes Gesicht hinter den Protagonisten jener Romane und Erzählungen. Jetzt lässt er die Maske fallen.

Herkunft“ heißt sein neues Buch. Eine Kollektion von Texten über die Zufälligkeit der eigenen Biografie, vom kaum zu beeinflussenden Schicksal, dem man lebenslänglich ausgesetzt ist. Es sind Geschichten voller Schubläden und Stempel, die unser Leben prägen und die doch nur auf unsere Abstammung zielen. Herkunft. Ein relativer Begriff. Saša Stanišić begibt sich auf die Suche nach allem, was seine Herkunft ausmacht. Er erzählt von Jugoslawien, beschreibt seine Flucht, besucht seine Verwandten, die sich immer noch in Višegrad befinden. Er schreibt über seinen Neubeginn, Versuche einer Integration in Schulen, schwere Lebenswege nach einem Neuanfang. Nicht nur für ihn. Besonders für seine Eltern.

Herkunft von Saša Stanišić - AstroLibrium

Herkunft von Saša Stanišić

Und doch finden wir in diesen Geschichten keine Tagebuchaufzeichnungen, rein autobiografische Schilderungen oder Lebenserinnerungen. So leicht macht er es uns dann doch nicht. Saša Stanišić ist Literat. Und was für einer. Er verwischt seine Spuren in der Fiktion und betont stets, dass er das zuvor Erwähnte eigentlich gerne anders in Erinnerung behalten hätte. Er fabuliert sich um den Kern des eigenen Seins herum und laviert sich damit nicht ins Aus. Es ist nur ein wenig Distanz, die er zu sich aufbaut, um das Innenleben und die Psychologie des Erlebten treffender beschreiben zu können. Er bleibt der Wortmagier in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache ist. Er bleibt der mahnende und zweifelnde Vater eines in Deutschland geborenen Sohnes in dem Land, das nicht sein Vaterland ist. Er bleibt authentisch und wahrhaftig, obwohl wir verstehen müssen, dass seine eigentliche Stärke in der Fiktionalisierung liegt.

Saša Stanišić ist ist kein Verräter der eigenen Familie. Er skizziert Menschen nach ihren realen Vorbildern. Wie er diese Skizzen jedoch ausmalt, wie er sie mit Leben füllt, das ist alleine seine Sache. Und doch lässt er zu, dass wir uns hineinversetzen können, wenn er von Außenseitern spricht; von den „Jugos“, die nach Deutschland fliehen; von Stereotypen, die man doch besser individuell betrachten sollte. Er nimmt uns mit in die Heimat, die ihm genommen wurde. Die Heimat, die heute weit entrückt scheint. An den Gräbern der Vorfahren stellt er sich die Frage nach seiner Herkunft. Wo kommt er her? Gibt es darauf eine Antwort? Ist es ein ganz präziser Ort oder eine Region. Ist Herkunft etwas, das man verlieren oder auch mitnehmen kann? Ist Herkunft sentimental geprägt oder lässt sie sich mit Menschen aus der Vergangenheit verbinden?

Herkunft von Saša Stanišić - AstroLibrium

Herkunft von Saša Stanišić

Ist Herkunft unveränderbar? Wird sie von Sprache bestimmt? Kann man sich selbst aussuchen, wo man gerne hergekommen wäre? Saša Stanišić spielt mit diesen Bildern ebenso, wie er mit seinen sprachlichen Mitteln spielt. Es ist ein Spiel auf allerhöchstem Niveau, weil Saša Stanišić in einer eigenen Liga schreibt und erzählt. Er bindet uns mit ein, weil er in der Lage ist, Perspektiven einzunehmen, die wir zu kennen glauben. Und dann dreht er den Spiegel um und stellt ungefragt Fragen nach unserer Herkunft. Er hat mich in die Fankurve von Roter Stern Belgrad mitgenommen und mir ein Fußballspiel gezeigt, das ich nur zu gut kannte. Ich trug damals die Farben des anderen Teams. Ich stand auf der anderen Seite. Auf der des FC Bayern München. Wir haben verloren und sind ausgeschieden. Wir waren enttäuscht und am Boden zerstört.

Saša Stanišić zieht mich auf die andere Seite. Auf die der Fans, die zum letzten Mal gemeinsam für ein Jugoslawien jubelten, das schon zersplitterte und sich anschließend bis aufs Messer bekämpfte. Saša Stanišić hat mir ein Gefühl vermittelt, was ihm dieses Spiel auch noch heute bedeutet. Plötzlich sah ich mich den Sieg eines anderen Teams bejubeln. Keine Ahnung, wie er das macht. Er ist kein Erzähler – er ist ein Mentalist, der sich in meine Gedanken schleicht und Empathie zu einer Perspektive macht, die man selbst einnimmt. Keinem seiner Texte fehlt es an Relevanz. Jeder Text zeigt die Gefahren auf, in denen unsere Heimat (und vielleicht jetzt ja auch ein stückweit die seine) schwebt. Populisten bestimmen, schüren Angst, bringen Menschen ins Taumeln, lassen Werte in Flammen aufgehen und hinterlassen auf verbrannter Erde die niemals zu beantwortende Frage nach der Herkunft.

Herkunft von Saša Stanišić - AstroLibrium

Herkunft von Saša Stanišić

Das Buch Herkunft wird für mich grandios ergänzt durch das Hörbuch. Hier liest der Autor selbst. Man muss ihm zuhören, weil er sein Schreiben auf ein ganz anderes Level hebt. Er liest mit leichtem Akzent. Er liest weich, zart, unglaublich sympathisch in jeder Akzentuierung. Sein Humor wird unerhört hörbar. Eine melancholische Stimmung zieht sich wie ein roter Faden durch die Texte. Man möchte ihm zurufen, dass man ihn verstanden hat. Dass man selbst mit Flüchtlingen anders umgehen würde, dass man in Zukunft die Augen offenhält. Manchmal möchte man, dass Saša Stanišić einfach unser Lachen hört und unsere Nachdenklichkeit spürt. Er investiert so viel in sein Schreiben, dass man im Gefühl lebt, ihm etwas schuldig zu sein. Vielleicht begleicht dieser Artikel einen Teil meiner Schuld.

Das Hörbuch beinhaltet ausgewählte Texte aus dem Buch „Herkunft“. Auf 5 CDs mit einer Laufzeit von 5 Stunden und 39 Minuten bietet es einen guten Querschnitt der Buchvorlage. Aber, wie ich schon sagte, keinem Text fehlt es an Relevanz. Kombiniert Lesen und Hören. Vervollständigt alle denkbaren Perspektiven zu einem Bild und lasst euch überraschen, wie es Saša Stanišić gelingt, selbst in den Texten, die ihr selbst lest, seine Stimme in euer Ohr zu zaubern. Der Sammler eigener Erinnerungen kommt auch an seine Grenzen. Das ist bemerkenswert. Angesichts der Demenz seiner Großmutter verzweifelt er daran, wie flüchtig das Erinnern ist und was mit ihr alles verlorengeht. Ein Moment, in dem man ihm gerne sagen würde, dass man dies selbst erlebt hat und sehr gerne vergessen würde. Leider unmöglich. Das macht unsere Herkunft aus…

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Herkunft von Saša Stanišić

Herkunft – Saša Stanišić Buch:
Luchterhand Verlag / Hardcover / 368 Seiten / 22 Euro
Hörbuch: Der Hörverlag / ausgewählte Texte / gelesen vom Autor / 5 CDs / 5 Stunden und 39 Minuten Laufzeit / 22,00 Euro

Saša Stanišić bei AstroLibriumHier.