Juni 53 von Frank Goldammer (Max-Heller-Reihe Band 5)

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Juni 53 von Frank Goldammer

Wir schreiben das Jahr 1953. Es ist Juni und wir befinden uns in Dresden. Es ist das achte Jahr einer Lebensgeschichte, der ich durch die Buchreihe von Frank Goldammer folge. 1945 „Der Angstmann“, 1947 „Tausend Teufel“, 1948 „Vergessene Seelenund 1951 „Roter Rabe“. Vier spannungsgeladene und literarische Bücher lang bin ich nun schon treuer Wegbegleiter des Dresdner Kommissars Max Heller. Jahre, die nicht nur sein Leben, sondern auch ein ganzes Land und seine Heimatstadt verändert haben. Ausgebombt, befreit, besetzt, im geteilten Deutschland souverän, sozialistisch geprägt und ideologisch von einem Extrem ins andere driftend. Seit Jahren fühlt man sich dem gar nicht linientreuen, weil unpolitischen Ermittler verbunden. Seit Jahren folgt man ihm durch die neuralgischen Zeitscheiben der deutschen Geschichte…

Wenn wir nun „Juni 53“ von Frank Goldammer lesen oder hören, fühlt es sich fast an, als würden wir nach Hause kommen. Die Stadt ist uns vertraut, die Familie und die Lebensumstände des Ermittlers sind bekannt. Im fünften Band der Reihe gibt es für die treuen Leser und Hörer keine weißen Flecken mehr im Leben von Max Heller. Wir sind auf Augenhöhe, wenn wir ihm begegnen. Ein Sohn bei der Stasi, einer im Westen, eine Familie, die im neuen Deutschland zerrissen ist. Eine Adoptivtochter und eine Ehefrau, deren Gefühlsleben zwischen Flucht und Bleiben wechselt. Ein Kommissar, der sich in seiner gesamten Karriere nicht vereinnahmen ließ, steht im Zentrum der Handlung. Nie in einer Partei gewesen. Das gilt systemübergreifend. Kein Nazi, kein Kommunist, kein Sozialist. Polizist. Mit Leib und Seele. Gerechtigkeits- und wahrheitsliebend. Ein Mann auf der Gratwanderung zwischen den politischen Systemen. Ein Systemsprenger.

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Juni 53 von Frank Goldammer

Eigentlich muss man kaum erklären, wohin uns Frank Goldammer im fünften Band seiner Erfolgsreihe entführt. 1953, der 17. Juni. Ein neuralgisches Datum der deutsch-deutschen Geschichte, auch wenn sich die Ereignisse im Osten eines geteilten Landes abspielten. Volksaufstand; Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung; Angst, das Land nicht mehr verlassen zu können; Proteste auf den Straßen; Niederschlagung des Aufstands durch die Sowjetarmee; Ausnahmezustand; Gewalteskalation; Prozesse und Verurteilungen. Eine lebensbedrohliche Krise der noch jungen DDR. Mittendrin im Chaos dieser Tage, Max Heller. Er ermittelt in einem Mordfall, der mit dem Aufstand im Zusammenhang stehen muss. Ein Betriebsleiter, brutal mit Glaswolle erstickt, genau an dem Tag, an dem sich in der DDR der Unmut Luft verschaffte. Eine Ausgangssituation, die in jedem anderen Kriminalfall nach Kriminalfall riecht und schmeckt. Hier nicht! 

Hier sind wir den Szenarien des Dresdner Autors Frank Goldammer ausgeliefert, dessen Reihen-Konstruktion genau diese Zeitscheiben als Etappen in der Geschichte seines Protagonisten Max Heller anvisiert. Eigentlich reicht ihm ein einfacher Unfall, um ganze Handlungsketten loszutreten, eigentlich bedarf es gar nicht des brutalen Mordes, um die Zwickmühle eines Polizisten zum Roman zu verdichten. Frank Goldammer wäre jedoch nicht Frank Goldammer, wenn er seine Zeitreise durch jene Zeitgeschichte nicht mit einem aufsehenerregenden Mord anreichern würde. Sein Plan geht auf. Die Zeit ist hier der beste Freund des Autors, sie arbeitet für ihn. Eingebettet in diese authentische Rahmensituation greift in seinen Romanen ein Charakterrädchen ins nächste. Es läuft wie geschmiert. Dank des brillanten Settings kann er seinen Kommissar mit Problemen und Hindernissen konfrontieren, die nur zu dieser Zeit, nur in dieser Region und nur bei Max Heller zum Tragen kommen. Ein literarisches Alleinstellungsmerkmal, nach dem in der Literatur oftmals verzweifelt gesucht wird.

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Frank Goldammer gelingt mit einem Roman, was man dem Genre eigentlich nicht zutraut. Wie könnte ein Kriminalroman in der Lage sein ein grundlegendes Verständnis für die Lebensumstände in der damaligen DDR zu wecken? Wie kann es gelingen, dem heutigen Leser zu verdeutlichen, wie schwer bis unmöglich es war, sich einem System zu verweigern, auf das man eigentlich mit seiner ganzen Familie angewiesen war? Wie kann man Vorbehalte abbauen um einem, heute gesamtdeutschen, Publikum bei einer Lesung die Hand zu reichen und Mauern zu überwinden, hinter denen man sich immer noch gerne versteckt? Es geht, wie Frank Goldammer beweist. Mit dem Charakter von Max Heller bietet er einen facettenreichen Antihelden an, der Nachteile in Kauf nimmt und im eigentlichen Sinne nur als Polizist arbeiten möchte. So wie er wäre man selbst gerne. Jedoch, ob wir so standhaft bleiben würden, das darf jeder für sich entscheiden.

Die politischen Rahmenbedingungen in der DDR im Jahr 1953 engen den Spielraum als Polizist gewaltig ein. Heller steht man skeptisch gegenüber. Das Parteibuch scheint nicht nur über wirtschaftliche Privilegien zu entscheiden, es bestimmt auch die Karriere. Beförderungen und Aufgabenfeld haben nicht mehr nur etwas mit Können zu tun. Hier geht die Schere zwischen beruflicher Selbstverwirklichung und Druck von außen weiter auf, als es Heller je gedacht hat. Man nimmt ihm die Methodenkompetenz, die Stasi ist ständiger Begleiter der Ermittlungen und Begriffe wie Sippenhaft und Schlafentzug sind neue Wegbegleiter des aufrechten Kommissars. Er wird anders wahrgenommen. Hier scheint der Systemgegner gegen das System zu ermitteln. Arbeiten ohne Hindernisse gehört der Vergangenheit an. Die Folgen sind nicht nur für ihn dramatisch. Seiner Frau bleibt in Gedanken nur der Weg in den Westen. Für seinen Sohn, der für die Stasi und somit für das System arbeitet, entwickelt sich der eigene Vater zum Hindernis.

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Zusehends zieht sich die Schlinge enger um den Hals von Max Heller. Jede Spur, die er wittert, wird überlagert von seiner eigenen Rolle. Man würde ihm gerne zurufen, dass es doch einfacher sei, das Parteibuch in die Hand zu nehmen. Es würde doch an seinem Charakter nichts ändern. Man würde es seiner Familie wünschen. Dann ertappt man sich bei diesen Gedanken und merkt, wohin uns Frank Goldammer manövriert hat. Wenn wir es Heller nicht vorwerfen würden, warum dann den Menschen, die wir heute noch so gerne als Mitläufer bezeichnen? Und wie hätten wir uns selbst verhalten, wenn nur die Parteizugehörigkeit alleine den Weg zum eigenen Auto oder einer Wohnung im scheinbaren Wohlstand geebnet hätte? Heller wird zum Vorbild für die Verführungen in einem solchen (einem jeden) System. Sein Ideal zu erreichen macht ihn unantastbar.

Gerechtigkeit wird zum interpretierbaren Faktor. Die Grenzen zwischen Agitation im Auftrag politischer Machthaber und dem einfachen Mord auf der Straße zerfließen. Der Feind definiert sich nicht durch kriminalistisches Gespür, er ist vorgegeben. Genau hier zu ermitteln ist fast unmöglich. Heller geht den dornenreichen Weg. Der Mord im „Juni 53“ verläuft auf diesem schmalen Grad. Für die Polizei wird Heller zum Problem und für diejenigen, für die er eigentlich ermittelt, die Leidtragenden, ist er trotzdem ein Teil der Staatsmacht. Ein Rollenkonflikt, den er kaum selbst aufzulösen vermag. Hier erfährt der Held seine Läuterung, als er mit Sichtweisen konfrontiert wird, die ihn selbst auch in der Zeit der Nazis als Mitläufer zeigen. Konnte er sich so sehr irren? Wie kann er jetzt den Spagat vollbringen und den Mord aufklären, den man politisch instrumentalisieren und für Propaganda nutzen möchte? Ein Gewissenskonflikt, der nur einen Ausweg zulässt. Den Westen. Oder entscheidet er anders?

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Juni 53 von Frank Goldammer

Frank Goldammer legt mit seiner Max-Heller-Reihe einen Grundstein für eine Art von Wiedervereinigungsliteratur. Er lässt Grenzen verschwinden und beleuchtet auf seine ganz besondere Art das Leben in einer DDR, die wir so vielleicht nicht kannten. Dabei ist Max Heller der Prototyp eines Deutschen, der wir gerne selbst wären. Egal in welcher geschichtlichen Zeitscheibe, er verkörpert das Ideal. Dass es kaum erreichbar ist, macht die Buchreihe so verbindlich und verbindend. Goldammer führt Beispiele an, die für echten Widerstand stehen. Dem inneren Widerstand Hellers stellt er den offenen einer „Weißen Rose“ gegenüber. Er selbst stellt Max Heller in Frage. Er liefert ihn uns aus. Werden wir urteilen können? Oder können wir uns an ihm orientieren, wenn es um Standhaftigkeit geht? Ich wünsche es mir.

Wie es weitergeht? Die Zeit wird es zeigen, denn sie arbeitet für Frank Goldammer. Wir werden uns mit ihm nach vorne arbeiten, Konflikte werden sich zuspitzen und die Staatsmacht wird allmächtiger. Wie ich einleitend schrieb, dem Autor reicht ein banaler Fahrradunfall, um Max Heller aufzureiben. Wie ich Frank Goldammer kenne, wird er es ihm und uns jedoch nicht so leichtmachen und wieder einen spannungsgeladenen Fall mit Leben füllen, der lebensgefährlich ist. Heikko Deutschmann hat mich in der leicht gekürzten Hörbuchfassung erneut abgeholt und gefesselt. Er ist die Stimme der Reihe um Max Heller und eine gemeinsame Vergangenheit, die wir im Westen so leicht als „Eure“ Vergangenheit abgetan haben. Falsch gedacht. Großartig gemacht, Frank.

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Lust auf einen weiteren Blick aufs Buch? Litterae Artesque wird geschichtlich

„Roter Rabe“ – Frank Goldammer (Max-Heller-Reihe Band 4)

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Roter Rabe von Frank Goldammer

1945 „Der Angstmann“, 1947 „Tausend Teufel“, 1948 „Vergessene Seelen“ und 1951 „Roter Rabe“. Seit erlesenen sechs Jahren bin ich nun treuer Wegbegleiter von Max Heller. Sechs Jahre, die nicht nur sein Leben, sondern auch ein ganzes Land und seine Heimatstadt Dresden extrem verändert haben. In der Bombennacht ausradiert, von der Roten Armee besetzt, im geteilten Deutschland dem Osten zugeschlagen und sozialistisch geprägt in eine neue Zeitrechnung treibend. Die eigene Familie getrennt in Ost und West, ein kleines Mädchen gerettet und an Eltern statt aufgenommen und dem Taumel der Zeit ausgesetzt, wie ein Blatt im Wind. Kein Stein blieb auf dem anderen…

(Sie entscheiden selbst: Weiterhören bei Literatur Radio Hörbahn oder lesen…)

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Roter Rabe von Frank Goldammer – Ab 6.2. als Rezension fürs Ohr

Nur Max Heller blieb und bleibt die Konstante in dieser Konstellation. Polizist aus Überzeugung, Gerechtigkeitsfanatiker sowie Gefühlsunterdrücker. Verantwortungsvoller Vater und blitzgescheiter Ermittler, der mit keiner Situation überfordert scheint. Mensch ohne Vorurteile, zweifelnd mit der eigenen Rolle hadernder Opportunist der Systeme in den Wellenbewegungen politischer Indoktrination und mehr als verlässlicher Partner für seine Kollegen. Wenig kompromissbereit bei der Wahrheitssuche, verbissen bei seiner Jagd nach Mördern und sonstigen Kriminellen, Workaholic mit sozialen Defiziten und in der Tiefe des Herzens, vor allen verborgen, liebend, vermissend und darunter leidend, seine beiden Söhne in getrennten Staaten zu wissen. Max Heller.

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Roter Rabe von Frank Goldammer

Frank Goldammer hat augenscheinlich einen letzten echten Sheriff in seine High-Noon-Szenarien geschrieben. Von Gerechtigkeit getrieben, unfähig, Gefühle offen in sein Leben zu tragen, von vielen um seine Gradlinigkeit beneidet, gefürchtet und doch als Einzelkämpfer auftretend, wenn es darum geht, im Finale auf offener Straße für das Recht alles zu riskieren. Man ist oft an die guten alten Western erinnert, wenn wir Max Heller in diesem historischen Setting beobachten. Mag die Welt auch untergehen, mag das Leben auf der Kippe stehen. Er ist der tapfere Texas Ranger mit der Polizeimarke. Der letzte Aufrechte. Das einzige Gegengewicht auf der Wippe zwischen Gut und Böse. Das Zünglein an der Waage der Wahrheit. Nicht korrumpierbar. Eigentlich ein Held.

Wäre da nicht der große Makel seines Lebens. War er Teil der Nazi-Exekutive im Dresden vor dem Untergang? Wäre er nicht noch ermittelnder Teil der Diktatur, hätte sie den Krieg gewonnen? War er nicht zur Zusammenarbeit mit den Siegern bereit, nur um Polizist bleiben zu können? Wäre es ihm nicht egal gewesen, ob sie kommunistisch oder demokratisch gewesen wären? War er nicht jetzt, im Jahr 1951, offizieller Vertreter der neuen Staatsmacht einer sozialistischen Regierung? Hatte er sich nicht mit wahrlich jedem Teufel arrangiert, der ihn fütterte, damit er in Ruhe seinem Beruf nachgehen und Polizist bleiben durfte? Hatte er sich nicht innerlich bereits damit abgefunden, mit allen Geheimdiensten gemeinsame Sache zu machen, wenn es darum ging, auch politische Verbrechen aufzuklären? Max Heller. Gefangen in einem mephistophelischen Konflikt. Seele verkauft. Berufung gefunden?

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Roter Rabe von Frank Goldammer

Es wird immer schwerer, an seiner Seite zu bleiben, weil Frank Goldammer genau diesen Konflikt in seinen Kriminalfällen auf die Spitze treibt. Fälle, in denen es für mich schon lange nicht mehr um die Aufklärung von Verbrechen geht. Fälle, die zeigen, wie zerrissen derjenige ist, der hier als Hüter für Recht und Ordnung ermittelt, bis er die Schuldigen dingfest gemacht hat. Fälle, die eigentlich nur das kriminelle Beiwerk für die philosophisch menschliche Betrachtung eines Charakters sind, in den man sich so gut hineinversetzen kann. Max Heller wirft Fragen auf, die mich heute beschäftigen. Wäre ich selbst bereit, die Lieder verschiedener Systeme zu singen? Hätte ich eine Wahl, als Vater und Ehemann? Bliebe ich auf der Strecke oder würde ich im inneren der Systeme als Gegengewicht zum Pendelschlag der Macht wirken wollen. Mehr als ein Krimi. Viel mehr.

Ich weiß schon, wohin mich Frank Goldammer mit seinen Büchern treibt. Ich sehe die Zeitscheiben vor mir, die unaufhaltsam auf mich zurasen. „Roter Rabe“, der vierte Band der Max-Heller-Reihe wurde für mich zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Keine Chance, der neuen DDR zu entkommen, keine Chance, sich dem Weltbild zu entziehen oder ihm offensiv zu entsagen. Keine Möglichkeit, bei aller Integrität unbelastet zu sein. Max Heller hat nur eine Chance, wenn er sich selbst im Spiegel betrachten möchte. Er muss DER GERECHTE bleiben, egal, welche Welt ihn umgibt. Gerade in „Roter Rabe“ wird dies wichtiger als jemals zuvor. Er hat gelernt. In seinem Inneren weiß er Gut und Böse zu unterscheiden. Er geht seinen Weg, auch wenn die Morde, die in Dresden um sich greifen, nicht fassbar, weil unfassbar sind.

Max Hellers Charakter bleibt der große literarische Konflikt, den wir Leser mit ihm gemeinsam auszutragen haben. Der Zweck heiligt niemals die Mittel und ich befürchte, dass man ihn eines Tages genau an dieser Achillesferse tödlich verletzen wird. Er hätte es kommen sehen müssen. Auch jetzt…

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Roter Rabe von Frank Goldammer

Seine Ostseeurlaube sind inzwischen genehmigungspflichtig. Im Kollegenkreis hat man das Gefühl bespitzelt zu werden, seine eigene Frau befindet sich, ein Sakrileg, im westlichen Teil Deutschlands, um den gemeinsamen Sohn Erwin zu besuchen und die Pflegetochter Annie dient nur noch als Faustpfand für Karins Rückkehr. Und noch dazu gehört ihr zweiter Sohn Klaus inzwischen zum gar nicht so geheimen Geheimdienst der jungen DDR. Als dann auch noch zwei unter Spionageverdacht stehende Männer in der Haft Selbstmord begehen, fokussiert sich Max Heller, blendet alles Irrelevante aus und stürzt sich in die Arbeit. Karin? Ein dauernder Schmerz der Sehnsucht ganz tief und gut verborgen. Annie? In guten Händen, so denkt er. Der Rest? Wird sich finden, das hofft Max Heller.

Zeugen Jehovas. Die beiden Selbstmörder. Und der Suizid offensichtlich alles andere als ein Freitod. Heller ermittelt im Umfeld von Menschen, die zu einer anderen Zeit, im gleichen Land, von anderen Machthabern in Lager deportiert und liquidiert wurden. Er wird mit Menschen konfrontiert, die Gewalt ablehnen, auch jene gegen sich selbst. Ein Selbstmord scheidet für ihn aus. Er beginnt, nicht nur für sich, sondern auch gegen das System zu ermitteln, dem er eigentlich dient. Es sind nur ganz lose Fäden, die Heller in Händen hält. Und doch deuten sie auf Zusammenhänge hin, die in einer unglaublichen Dynamik über die Ufer treten. „Eine Flut wird kommen“. Diese Nachricht findet man in den Händen eines weiteren Opfers. Wo und wie Max Heller auch nachforscht, es wirkt, als wäre ihm jemand immer einen Schritt voraus. Die Liste der Zeugen entspricht schon bald der Liste der Menschen, die beseitigt werden, kaum, dass Heller sie aufsucht.

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Roter Rabe von Frank Goldammer

„Roter Rabe“ ist ein höchst investigativer Krimi, der sich in dieser Art und Weise nur in der beschriebenen Zeit und am gewählten Ort abgespielt haben kann. Das Klima für Spionage und Gegenspionage, verknappte Rohstoffe und Wirtschaftsdelikte, Verfolgungsszenarien gegenüber den alten Sündenböcken aus früherer Zeit, Chancen, Identitäten in den Nachkriegswirren abzustreifen und ein Staatssicherheitsdienst, der in allem und jedem eine Gefahr sieht. All dies sind authentische Rahmenbedingungen für den Moment, in dem ein „Roter Rabe“ zuschlagen kann. Gerüchte von einer Bombe in Dresden machen die Runde, Fake-News grassieren, Leichen werden gestohlen, um an Särge zu kommen, die eigenen Kollegen geraten ins Fadenkreuz der Spionageabwehr und über allem schwebt das Damoklesschwert, Hellers Frau könnte sich in den Westen abgesetzt haben. Wenn das keine Flut ist, die kommt, dann weiß ich es nicht. 

Das Szenario ist komplex. Frank Goldammer verliert jedoch keinen seiner Fäden aus dem Blick. Darauf kann man sich verlassen. Ebenso, wie man sich auf Charaktere verlassen kann, denen man seit Jahren folgt. So spannend die Ermittlungsarbeit Hellers auch wieder ist, viel spannender ist und wird sein schwelender innerer Konflikt bleiben. Wir werden sehen, was mit ihm passiert. Es ist kein Ende abzusehen und Potenzial für weitere Heller-Fälle ist ausreichend vorhanden. Die Zeitscheiben liegen bereit. Deutsch- Deutsche Geschichte. Was für ein Tummelplatz für künftige Bücher und Hörbücher. Ich werde weiterlesen und auch -hören. Heikko Deutschmann bleibt für mich die Stimme dieser grandiosen Reihe…

Hier geht’s zu allen Bänden. Es wird Heller im „Juni 53„. Band 5 ist da…

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Roter Rabe von Frank Goldammer

Wenn das nicht spannend ist: Uwe Rennicke mit der Replique zu meiner Rezension. Natürlich auf Litterae DresdensisWas für ein Spaß. Bloggerfreunde eben… 😉

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Juni 53 von Frank Goldammer

„Vergessene Seelen“ von Frank Goldammer – Max Heller (3)

Vergessene Seelen von Frank Goldammer

Ob eine Bücherreihe ihr volles Potenzial ausschöpft, zeigt sich zumeist erst nach dem zweiten oder dritten Band. Vorschusslorbeeren sind schnell geerntet, besonders wenn der Auftaktband in literarischer Sicht durch die Decke geht und Bestsellerlisten im Sturm erobert. So geschehen mit dem Kriminalroman Der Angstmann des Dresdner Schriftstellers Frank Goldammer. Unabhängig vom reinen Inhalt konnte man schon früh erkennen, in welch brillanter Ausgangssituation er seinen Protagonisten Max Heller auf den Buchmarkt brachte. Das historische Setting ließ schnell hoffen, dass wir es hier mit einem Ermittler zu tun haben werden, der uns durch besonders relevante Zeitscheiben der deutschen Geschichte begleitet.

War sein erster Fall „Der Angstmann“ noch in den letzten Ausläufern des Zweiten Weltkrieges angesiedelt, fanden wir uns an der Seite von Max Heller im zweiten Band der Reihe im Dresden des Jahres 1947 wieder. Frank Goldammer transferiert die Leser von einem politischen Debakel ins nächste. Er lässt dabei seinen Max Heller genau das sein, wofür er geboren ist. Polizist. Ob im Nationalsozialismus oder in der sowjetischen Besatzungszone. Max Heller bleibt dem Verbrechen auf die Spur, egal welches System ihn dabei mit der jeweiligen Polizeigewalt ausstattet. Einerseits passend zu seinem tief angelegten Gerechtigkeitssinn, andererseits eine schwere Bürde, die er zeitlebens mit sich zu tragen hat. Ein Mann auf der Gratwanderung zwischen Opportunismus und der reinsten Form von Pflichterfüllung.

Vergessene Seelen von Frank Goldammer

Spätestens an dieser Stelle musste uns klar sein auf was wir uns einlassen, wenn wir Frank Goldammer und seinem Ermittler Max Heller weiter folgen. Das Potenzial der zeitgeschichtlichen Szenarien auf die er unweigerlich zusteuert ist gewaltig. Hier bleibt kein Stein auf dem anderen. Faschismus und Kommunismus geben sich die Klinken in die Hände und die Menschen haben sich damit zu arrangieren. Wem dies nicht gelingt, dem bleibt die Flucht in den Westen. In diesem Vakuum der Instabilität und einer völlig neuen Ausrichtung ideologischer Rahmenbedingungen floriert das Verbrechen. Krisen schütteln das Land, Hunger und Not sind Brandbeschleuniger für Verbrechen und auch Profiteure und Kriegsgewinnler wittern ihre Chancen. Ein weites Feld, dem man sich im Folgenden ausgiebig widmen kann.

Tausend Teufel“ hat genau diese Fäden aufgenommen und in brillanter Art und Weise fortgesetzt, was wir uns als Leser erhofft hatten. Die Besatzungsmacht rückt selbst in den Fokus von Ermittlungen. Unbestechlich ermittelt sich Max Heller durch die Mordserie, die nur in diesen wirren politischen Verhältnissen den Ursprung haben kann. Dabei steht ihm seine Vergangenheit im Weg. Er wird nicht als unbescholten betrachtet. Die Hypothek des Polizisten, der schon im Nazi-Regime Kommissar war ist groß. Nicht so erheblich jedoch, dass Max Heller sie nicht durch sein kriminalistisches Können und seinen vorbildlichen Charakter beiseiteschieben kann. Max Heller überzeugt auf ganzer Linie, ohne dabei linientreu zu sein.

Vergessene Seelen von Frank Goldammer

Wir sehen die Zukunft vor Augen, wenn wir uns in seine Lage versetzen. Wunden der Dresdner Bombennacht sind noch nicht verheilt, die sowjetische Besatzung hat den Krieg nicht beendet, sondern ihn mit anderen Mitteln ins Land gebracht. Aus Ideologien werden eiserne Vorhänge. Die Teilung Deutschlands nimmt konkrete Formen an und in großen Schritten driften die beiden Teile mit ihren Menschen auseinander. All dies wirkt sich nicht abstrakt auf Max Heller aus. Der Rucksack seiner Vergangenheit belastet die ganze Familie. Zwei erwachsene Söhne. Einer im Westen lebend, der andere im Osten. Nicht nur ein Land wird getrennt. Auch die Familie Heller. Mit diesem literarischen Kniff verschafft sich Frank Goldammer zugleich die Möglichkeit, seinen Erzählraum weiter zu fassen und zwei deutsche Perspektiven einfließen zu lassen. Potenzial ausgeschöpft.

Vergessene Seelen ist nun bereits der dritte Fall von Max Heller. Das Dresden im Jahr 1948 steckt den Rahmen für die Fortsetzung der Buchreihe ab. Das Entstehen der neuen Republik im Osten zeichnet sich ab. Währungsreformen auf beiden Seiten eines eisernen Vorhanges und die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse stellen eine erste große Zerreißprobe dar. Neid und Missgunst blühen. Mittendrin Max Heller, der in Dresden mit einer Reihe von Todesfällen konfrontiert wird, auf die er sich keinen Reim machen kann. Die Todesursachen liegen im Dunkeln, doch was zunächst aussieht wie eine Reihe von Unfällen, entwickelt ein Muster aus Zusammenhängen, dem Max Heller konsequent folgt. Dass er damit nicht nur fremde Dämonen, sondern die Geister seiner eigenen Vergangenheit heraufbeschwört, wird ihm erst klar, als es fast zu spät ist.

Vergessene Seelen von Frank Goldammer

Authentisch. Mehr muss ich nicht sagen. „Vergessene Seelen“ ist ebenso, wie seine beiden Vorgänger aus der Zeit gefallen. Die Verbrechen, die Frank Goldammer hier zur Ausgangslage der Ermittlungen beschreibt, können in dieser Form nur unter den wirren Rahmenbedingungen des Jahres 1948 stattgefunden haben. Authentisch gelingen ihm die Konstruktionen von Motiven, Mitteln und Folgen der Verbrechen. Authentisch gelingt ihm die Charakterzeichnung der betroffenen und verwickelten Menschen. Packend und spannend beschreibt er, was uns Leser nicht kaltlassen kann. Kindesmissbrauch, Väter die traumatisiert aus dem Krieg nach Hause kommen, alte und neue Seilschaften, Nöte und Sorgen von Ehefrauen und Müttern, Schwarzmarkt und Ausbeutung. All dies findet man in „Vergessene Seelen“ als Nährboden für miteinander verbundene Kriminalfälle, an denen sich Max Heller die Zähne ausbeißt.

Es sind zumeist kleine Geschichten, die bei Frank Goldammer große Erzählungen entstehen lassen. Es sind menschliche Abgründe, Leidenschaften und Hoffnungen, in denen wir Motive für Taten finden, die uns unverständlich erscheinen. Goldammer zeigt auch in diesem dritten Heller-Roman sein literarisch geprägtes Erzähltalent. Hier eilt er nicht durch sein Szenario. Er verdichtet Charaktere und Spannungselemente zu einem Mix, der seinen Roman lesens- und hörenswert macht. Die größte Leistung liegt jedoch für mich in der Ausgestaltung seines Protagonisten Max Heller begründet. Hier wird er mit seiner Geschichte konfrontiert. Mit seinen Ängsten und Traumatisierungen. Mit dem Bild, das er als Vater von sich selbst hat. Seine Familie lässt sich von der Geschichte in keiner Situation trennen. Hier eskaliert die Spannung neben den reinen Verbrechen, die sein Leben dominieren. Hier greift Frank Goldammer tief in die literarische Schatzkiste seiner Vorstellungskraft. Hier dreht sich plötzlich sehr viel um ein kleines Mädchen, das in der Familie Heller Zuflucht gefunden hat. Hier dreht sich viel um einen Gegenspieler, den Max Heller in seinem Berufsleben nicht erwartet hätte. Ein Momentum, das man so nicht erwarten konnte. Auch hier zeigt sich das große Potenzial dieser Buchreihe. Hier wird noch viel zu erzählen sein.

Vergessene Seelen von Frank Goldammer

Drei Bücher und Hörbücher haben mich zum Zeugen der Reihe von Heller-Fällen gemacht, die ich schon in diesem Jahr fortsetzen darf. Noch vor Weihnachten wird ein „Roter Rabe“ bei mir landen. Wir springen mit Max Heller in das Jahr 1951 und erleben die konsequente Fortsetzung seiner Zeitscheibenbetrachtung. Die Perspektive erweitert sich, der Fokus richtet sich auch auf den anderen Teil Deutschlands. Max Hellers Frau Karin darf endlich ihren Sohn Erwin im Westen besuchen, während ihr Mann von einer Reihe mysteriöser Todesfälle in Atem gehalten wird. „Eine Flut wird kommen.“ Diese beunruhigende Nachricht findet er in den Taschen eines Opfers. Spannung garantiert.

Auch der vierte Teil der Max-Heller-Reihe wird zeitgleich bei Der Audio Verlag als Hörbuch erscheinen. Ich werde es mir nicht nehmen lassen, auch die Fortsetzung zu hören und zu lesen. Zu sehr habe ich mich an Heikko Deutschmann gewöhnt, der mir als virtueller Beifahrer im Auto schon so viel erzählt hat, was ich zu diesen Zeitpunkten nicht selbst lesen konnte. Mag Weihnachten im Lichterglanz nur zart erstrahlen, bei mir wird es am 21. Dezember „HELLER“. Und nun ist „Juni 53“ auch erschienen…

Roter Rabe von Frank Goldammer

„Tausend Teufel“ mit Frank Goldammer zurück in Dresden

Tausend Teufel von Frank Goldammer

Noch im September 2016 schrieb ich an dieser Stelle:

Frank Goldammer legt mit „Der Angstmann“ einen furiosen Auftakt einer neuen Krimireihe vor, in der Max Heller unser Lesen erobern wird. In sich geschlossen ist das gesamte Potenzial dieser Figur deutlich erkennbar. Die historische Einordnung ist so gelungen, dass man die Entwicklung eines Polizeiinspektors verfolgen kann, der in seinem beruflichen Umfeld zumeist völlig auf sich allein gestellt ist. Seine Bereitschaft, sich mit den politisch / sozialen Rahmenbedingungen seiner Arbeit zu arrangieren, um seine rechtschaffenen Ziele zu erreichen, ist beispiellos und ebenso beispielgebend.

Der weitere Weg von Max Heller wird sich niemals von der deutschen Geschichte lösen können. Die Turbulenzen in die er geraten wird, liegen auf der Hand und genau hier zeigt sich für den Leser das Potenzial einer Buchreihe, der es zu folgen gilt, um zu erlesen wie sich Max Heller diesen Bedingungen stellen wird und kann.

Vorschusslorbeeren, könnte man sagen. Perspektivisch richtige Einschätzung, sage ich in der Rückschau und nach dem Lesen und Hören des zweiten Buches einer Reihe, in der sich Max Heller als Ermittler immer weiter profiliert, konturiert und sich mehr als deutlich aus der Masse der an uns vorüberziehenden Thriller-Kommissare abhebt. Was macht diesen Polizisten aus, was unterscheidet ihn und warum geht die Buchreihe von Frank Goldammer geradezu „durch die Decke“?

Tausend Teufel von Frank Goldammer

Tausend Teufel“ haben ihn wohl auch diesmal geritten, als er nach dem Auftakt der Reihe mit dem Titel „Der Angstmann“ das Rad der Geschichte weiter drehte. Wo wir gerade noch mit Max Heller in der Bombennacht von Dresden durch das Feuer gingen, die Besetzung der Stadt durch die Rote Armee erlebten und miterleben durften, wie sich das Kriegsende damals für die Menschen angefühlt haben muss, springen wir nun in das Jahr 1947. Von stabilen Verhältnissen kann nicht die Rede sein. Überleben lautet das Motto der kleinen Leute. Überleben in einer Zeit des Hungers, der Kälte und der Ungewissheit vor der Zukunft.

Frank Goldammer entwirft hier kein Szenario. Er fabuliert sich nicht durch eine allzu aufgesetzt wirkende Kulisse, die er für einen Krimi benötigt. Es wirkt, als habe er diese Zeit erlebt, durchlitten und am eigenen Leib gefühlt. Er schreibt, als sei er eben erst von einer Zeitreise in die Vergangenheit zurückgekehrt, um jetzt zu dokumentieren, wie sich Geschichte auf Augenhöhe abgespielt hat. Fiktional bleibt sein Protagonist. Erfunden in jeglicher Beziehung und doch so real und authentisch, als hätte es Max Heller gegeben und so gradlinig und greifbar, als hätte es ihn immer geben müssen, um dieser dunklen Zeit ein wenig Licht zu verleihen.

Tausend Teufel von Frank Goldammer

In Wellenbewegungen rasen politische Ideologien an ihm vorbei, ohne ihn selbst in den Strudel der politischen Verblendung zu reißen. Wie ein einsamer Wolf folgt er einer Mission, die Gerechtigkeit heißt. Zu Nazi-Zeiten war er kein Nazi. Wo es seiner Karriere geholfen hätte, in der Partei gewesen zu sein, entzog er sich der Versuchung. Und nun, wo es hilfreich wäre in einem neu entstehenden Land, unter sowjetischer Besatzung in die kommunistische Partei oder die SED einzutreten, mitzulaufen, das Fähnchen in den Wind zu halten, da entzieht er sich auch. Heller ist Polizist. Punkt. Möge die ganze Welt aus Funktionären, Bonzen oder Opportunisten bestehen, Heller bleibt nur er selbst.

Unantastbar ist er dabei nicht. Das Leben könnte einfacher sein. Und doch ist sein Fokus nur auf die Verbrechen gerichtet, die um ihn herum geschehen. Da werden ein paar sowjetische Offiziere bestialisch ermordet, ein Rucksack mit einem abgetrennten Kopf macht von sich Reden und Hände ohne Körper greifen nach der Wahrheit. Heller versucht ein Muster zu entdecken, ermittelt für, mit und gegen die Besatzer. Er wird von ihnen instrumentalisiert, um herauszufinden, ob hinter den Offiziersmorden interne und damit zugleich geheim zu haltende Vorgänge stecken. Er dringt in dunkle Kreise vor, in denen man sich am Mangel bereichert. Der Schwarzmarkt floriert und mit ihm auch die Kriminalität.

Tausend Teufel von Frank Goldammer

Er versinkt in einem menschlichen Sumpf aus Verleugnern und Lügnern. Als hätte es niemals Nazis gegeben, suhlt sich jeder Deutsche in seinem reinen Gewissen. Sein eigenes Leben ist auf diesen Grenzgängen zwischen den Fronten niemals sicher. Lose Fäden, Tatwaffen und mögliche Motive führen Max Heller in eine zwielichtige Welt, die alles denkbar werden lässt. Er bleibt auf der Fährte, unantastbar, geradeaus und ohne sich selbst dabei zu korrumpieren. Er deckt auf, was aus russischer Sicht nicht denkbar ist, einfach nicht vorkommen darf. Und doch lässt er nicht locker. Er stößt auf Deutsche, die noch in der alten Ideologie verfangen sind und neue Wege bekämpfen. Heller sticht in ein Wespennest einer rotlichtigen Halbwelt, die keine Schatten werfen will und stößt auf Kinder, die verlassen vom Rest der Welt in einem eigenen Universum leben.

Frank Goldammer hat wahrlich einen Kriminalroman geschrieben. Eigentlich ist es aber Literatur, die wir hier finden, die uns packt und begeistert. Die Morde ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman, bilden das Gerüst und weisen den Weg, den er mit Max Heller beschreitet. Doch dieser Weg führt konsequent zu Menschen und Orten, die der feine Beobachter und brillante Erzähler Frank Goldammer mit Leben füllt. Nein, es ist nicht wirklich nur ein Krimi. Es geht nicht nur um die Auflösung einer mysteriösen Mordserie oder die reine Zuordnung von Kopf und Händen zu einer Leiche. Es geht um ein eigentlich fast unbeschreibliches Gefühl für die Menschen einer Zeit, aus der diese Geschichte gefallen ist. Wenn man sich in diese Beschreibungen fallen lässt, Dresden und seine Straßen auf sich wirken lässt, den Kindern folgt, denen Frank Goldammer im Verlauf des Romans Stimme und Gestalt verleiht, dann erkennt man, dass es hier nicht nur um Morde geht. Es geht hier um eine Erzählung, die Gewicht hat. Eine Qualität, die mir nicht oft über den Leseweg läuft.

Tausend Teufel von Frank Goldammer

„Tausend Teufel“ kann man lesen und hören. Ich habe mich wechselweise im Buch (dtv) und in einer Hörbuchfassung (Der Audio Verlag) durch das Dresden des Jahres 1947 bewegt. Was mich neben der rein inhaltlichen Komponente beeindruckt hat, mich geradezu ans Hörbuch fesselte, ist die Art und Weise mit der Heikko Deutschmann als Sprecher die Charaktere aus der Erzählung von Frank Goldammer interpretiert. Gerade die verlassenen Kinder mit ihren sprachlichen Hürden, die Verwahrlosten und vom Rest der Gesellschaft Vergessenen, wachsen uns ans Herz und während des Hörens wird in uns der Beschützerinstinkt zum Leben erweckt, den Max Heller zum Mantra erhebt.

„Der Angstmann“ und „Tausend Teufel“ von Frank Goldammer machen Lust auf mehr. Mehr spannungsgeladene und psychologisch ausgereifte Geschichten, mehr in der deutschen Geschichte verankerte menschliche Schicksale und mehr Lokalkolorit in dem so tragisch sympathischen Ambiente einer Stadt, die wie kaum eine zweite für den Weg eines ganzen Landes durch die jüngste Vergangenheit steht. Dresden. Ich werde auch im nächsten Jahr lesend und hörend an der Seite von Max Heller bleiben. Ich sah auf der Frankfurter Buchmesse das Cover des dritten Teils aus dieser Buchreihe. Es ist ein weiterer Schritt aus der Vergangenheit heraus in die Zeitscheiben hinein, die unsere gemeinsame Geschichte bestimmen. Wir sehen uns wieder in Dresden.

Tausend Teufel von Frank Goldammer

Spätestens im Juni 2018 – „Vergessene Seelen“ – Merkt euch den Titel vor…