(Off-Topic) Warum bin ich eigentlich kein Rassist?

Off-Topic: Warum bin ich kein Rassist

Seit Jahren engagiere ich mich in meinem Lesen, Leben und Schreiben gegen die Ausgrenzung oder Unterdrückung von Menschen, die einfach anders sind. Dabei scheint es doch in der Geschichte der Menschheit fast nichts zu geben, was einfacher ist, als Andersdenkende, Andersgläubige oder Andersfarbige zu sozialen Underdogs zu machen, ihnen die Schuld für alle Missstände in die Schuhe zu schieben und selbst vor lauter Wohlgefallen an der eigenen Perfektion in einen intellektuellen Dämmerschlaf zu verfallen. Ich bin anders, denke anders, fühle anders und bin absolut davon überzeugt, dass niemand aufgrund seiner Herkunft ein besserer oder schlechterer Mensch ist.

Da kann ich mir ganz schön auf die Schulter klopfen. Das habe ich in den mehr als fünf Jahrzehnten meines Lebens ja prima hinbekommen. Diese tiefe Einsicht muss ich bereits seit meiner frühen Kindheit für mich entdeckt und kultiviert haben, denn ich kann mich nicht daran erinnern, jemals anders gedacht zu haben. Ich bin so großartig! Dabei habe ich mir ganz selten die Frage gestellt, ob das eigentlich nur mein Verdienst ist. Ob ich hier ganz eigenständig zu einem frei denkenden Menschen geworden bin, oder ob es auch in meinem Leben Stellschrauben gab, an denen jemand so lange gedreht hat, bis ich in meiner jetzigen Geisteshaltung verwachsen war.

Off-Topic: Warum bin ich kein Rassist – Erwin Kostedde

Beim Lesen des Buches Heimaterde. Eine Weltreise durch Deutschland aus der Feder von Lucas Vogelsang entdeckte ich viele Beispiele für Alltagsrassismus, der in meiner Jugend gang und gäbe war. Aber das ist lange her. Warum war es für mich so normal, dass mit Erwin Kostedde erstmals ein dunkelhäutiger Fußballer das Trikot der deutschen Nationalmannschaft trug? Warum nur habe ich damals keine Witze darüber gemacht? Das war 1974. Ich war erst 12 Jahre alt und schon so weltoffen. Wow. Und das in einer Zeit, in der ich mich mehr für meine Pickel und junge Mädels, als für meine anscheinend humanistische Weltsicht interessiert habe. War ich schon so?

Warum hatte ich so viel Verständnis für einen Jimmy Hartwig, den Fußballer aus Offenbach, der es als Spieler des HSV 1979 ebenfalls in unser Nationalteam schaffte. Und wohlgemerkt, auch das als dunkelhäutiger Sohn eines afroamerikanischen Gis. Es spricht ja wohl schon wieder für mich, dass ich verstehen konnte, wie schwer der Weg für ihn war und welchen Anfeindungen er ausgesetzt war. Die Presse war da noch viel harmloser als der geneigte Fußballfan von der Straße. Bimbo und Negerlein. Mit diesen und ähnlichen herabwürdigenden Begriffen musste Jimmy Hartwig damals leben. Auch damit, dass er langfristig kein Standing im Nationalteam hatte. Die Zeit war noch nicht reif dafür. Ich war es schon. Ich bin ja auch ein Held im Kampf gegen den Rassismus.

Off-Topic: Warum bin ich kein Rassist – Jérôme und Jimmy

Nur zu verständlich, dass ich heute mit dem guten Nachbarn Boateng leide, wenn er mal wieder zum Opfer einer Kinderschokolade-Schlammschlacht wird und nur allzu logisch, dass ich vehement dagegen ankämpfe, wenn unser Mesut Özil wegen seines Glaubens Ziel von rassistischen Angriffen und Verunglimpfungen wird. Nicht mit mir. Es ist einfach nicht akzeptabel, da ich schon seit meiner Kindheit der geborene Kämpfer in Sachen „Wir sind alle gleich“ bin. Und hier ist Fußball nur ein Beispiel. In der Schule und später im Beruf stellte sich heraus, dass ich ebenso großartig liberal war, wie ich es mir von frühauf anerzogen habe. Da muss ich echt den Hut vor mir ziehen, dass ich nie auf die (aus meiner Sicht) falsche Spur geraten bin.

Warum schaffen andere Menschen das nicht? Warum werden sie zu Rassisten? Was fehlt ihnen, was ich bei mir zu finden denke? Ist es so einfach, eine Antwort auf so eine Frage zu finden? Kann man sie so überhaupt stellen? Ich als geborener Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit muss doch fragen dürfen. Ich verdanke mir doch selbst, dass ich heute so bin wie ich bin. Da werden doch andere auch mal nachdenken dürfen, was sie falsch gemacht haben. Das sind Gedanken, die ich lesend entwickelte, bevor meine Erinnerung Bilder vor meinem geistigen Auge ablaufen ließ, die schon längst verdrängt waren. Nicht, weil ich sie vergessen hatte, sondern weil sie so selbstverständlich waren.

Ich sehe meinen Vater. Berufssoldat und als Spieß in der besonderen Verantwortung für die Menschen in seinem beruflichen Umfeld. So erinnere ich mich an ihn. Ich sehe ihn noch heute vor mir, im Wohnzimmer mit seinen Kameraden und Kumpels, wenn es wieder einmal hieß, eine Übung vorzubereiten. Raus ins Gelände zu gehen oder wenn es galt, über Rekruten der Kompanie zu sprechen, die Probleme hatten. Fair ist er mir dabei immer vorgekommen. Beharrlich, nachdrücklich und klar. Er hatte eine Linie, an der ich mich auch als Sohn ausrichten konnte. War er im Job die Mutter der Kompanie, so hat er mir als Vater den Proviant mit auf den Weg gegeben, von dem ich noch heute zehre.

Off-Topic: Warum bin ich kein Rassist – Der Spieß und seine Jungs

Diese Bilder sind für mich immer verbunden mit einem seiner besten Freunde. Ich sehe ihn noch heute als Teil meiner Familie, seit ich sieben oder acht Jahre alt war. Er war der Sohn eines dunkelhäutigen GIs. Willy ist schwarz und er ist der Beginn meines Lebens ohne Vorurteile oder rassistisches Denken. Ich höre immer noch meinen Vater, der ihm klar machte, er müsse in jeder Beziehung besser sein als andere, wenn er sich durchsetzen wolle. Ich erlebe die beiden Männer noch heute in tiefen Gesprächen über den Wert aller Menschen, das eigene Selbstbewusstsein und die Selbstverständlichkeit einer Freundschaft. Und ich höre immer noch tuschelnde Nachbarn, für die es wohl auf keinen Fall normal war, dass „bei Stroschers ein Neger ein und aus geht.“

In dieser Normalität wuchs ich auf, langsam begreifend, dass es nicht so normal war, wie ich es empfand. Später realisierend, dass es prägend für mein Leben war und noch heute weiß ich nur zu gut, dass die Zeit damals eigentlich nicht reif für die konsequente Haltung meines Vaters war. Vorurteile gab es nicht in meiner Familie. Anderssein war kein Wort des Sprachgebrauchs. Ausländer war man selbst, wenn man andere Länder bereiste und Freundschaft wurde nicht nur in guten, sondern gerade auch in schweren Zeiten zelebriert. So empfand ich auch keine Eifersucht, als Willy meinen Vater später einfach auch mit Vater anredete.

Und? Nun? Ist mein Weltbild auf meinem Mist gewachsen? Habe ich es nur mir zu verdanken, wie ich denke, fühle und handle? Welche Lehren habe ich daraus gezogen und ist es mir gelungen, diese Werte an meine Kinder weiterzugeben? Ich weiß nur zu gut, warum ich kein Rassist bin, warum ich ein Weltbild habe, das noch heute vom Bild meines Vaters geprägt ist. Ich weiß, dass ich mir nichts zu verdanken habe und dass es mir eine Ehre und eine Verpflichtung ist, diesem Vorbild nachzueifern. Eigentlich kann ich nichts für meine Prägung. Bei meinem Vater verliefen diese inneren Prozesse wohl viel bewusster. Die Brüder als Soldaten einer Nazi-Diktatur verloren, selbst erlebt, was es hieß in einem ideologisch normierten Umfeld aufzuwachsen. Selbst anerzogen, was er später weitergab. Ein SelbstBewusster individueller Königsweg.

Off-Topic: Warum bin ich kein Rassist – Eines der letzten Bilder

Ich musste das mal niederschreiben, nicht dass irgendjemand denken könnte, ich würde hier einer inneren Stimme folgen und wäre in der Lage gewesen, mich selbst so zu sozialisieren, wie ich mich heute empfinde. Ich habe nicht viel damit zu tun. Ich bin kein Rassist, weil es mir so vorgelebt wurde. Und ich danke meinem Leben dafür, dass es so war.

Daddy, Willy, das musste mal gesagt werden. Hut ab… Jungs.

Lebenslang dem Erinnern verschrieben – Gegen das Vergessen…

Nachtrag: Meine Gedanken zu „Haltungsschäden“ finden Sie hier. Lesenswert ist vielleicht auch eine kleine Reportage über mich als Literaturblogger in Verbindung mit meinem beruflichen Selbstverständnis als Offizier. Gegen das Vergessen schreibe ich weiter an. Für das Erinnern trete ich weiter ein. Und ich lebe nicht in der Illusion, dies in einem immer absolut intakten Umfeld leisten zu können. Augen auf. Nach innen und außen. Die Maxime unserer Zeit.

Innere Haltung bewahren heißt auch immer wieder um Haltung zu ringen.

Off-Topic – Hier geht´s bald mit weiteren Themen weiter…