Fuchs 8 von George Saunders

Fuchs 8 von George Saunders - AstroLibrium

Fuchs 8 von George Saunders

Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, dass ich die kleine literarische Sternwarte zum geschützten Fuchsbau erklärt habe? In dieses Biotop habe ich Leser eingeladen, mit all ihren Instinkten und Gefühlen einen kleinen Fuchs kennenzulernen, der mein Lesen nachhaltig verändert hat. Könnt Ihr Euch noch an ihn erinnern? „Mein Freund Pax“ von Sara Pennypacker ist die Geschichte einer Freundschaft zwischen Mensch und Fuchs, bei der die Perspektive des Fuchses einen tiefen Einblick in die Denk- und Gefühlswelt eines Raubtiers gewährt, dem wir Denken und Fühlen eigentlich absprechen. Ein mehr als beeindruckendes Buch für Erwachsene und Kinder. Viel mehr als nur eine Fabel.

Kein Wunder also, dass ich mich extrem darüber freute, als „Fuchs 8“ in meinem Fuchsbau auftauchte. Die Fuchssicht auf die Welt war mir also nicht unbekannt, was mich jedoch in der Kurzgeschichte von George Saunders erwartete, war völlig neu für mich. Er spricht. Der Fuchs. Es macht nicht den Eindruck, der Autor würde uns etwas erzählen. Nein. Ganz im Gegenteil. Er scheint hier nur Mittler zu sein. Kaum zu spüren. Nicht präsent. Weit im Hintergrund. Fuchs 8 erzählt seine eigene Geschichte, nachdem er den Menschen außerhalb des Waldes sehr lange zugehört und ihre Sprache gelernt hat. Neugier und Wissensdurst sind seine Antriebsfedern. So versteckt er sich und hört den Eltern dabei zu, wie sie ihren Kindern Gutenachtgeschichten erzählen.

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Fuchs 8 von George Saunders

George Saunders ist für das Besondere bekannt. In seinem Weltbestseller „Lincoln im Bardo“ lässt er ganze Legionen von Geistern auf einem Friedhof in Washington zur Sprache kommen. Sie trauern dem Leben und vertanen Chancen hinterher, versuchen den um seinen Sohn trauernden Abraham Lincoln zu trösten und sind bewegt von dem gramgebeugten Präsidenten, der sich nicht scheut, seinen toten Sohn im Arm zu halten und um ihn zu weinen. Perspektivwechsel sind die Sache von George Saunders. Es ist sein Metier, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die wir niemals hören würden. Und das auf ihre eigene unverfälschte Art und Weise. So auch Fuchs 8. 

Ist schon verständlich, dass er grammatikalisch und orthografisch nicht mit den Menschen, die er beobachtet hat, mithalten kann. Aber er bemüht sich und so liest sich das Buch, als hätte man die Erstklässler-Geschichte eines Nachwuchsautors vor Augen. Es erinnert an Lautschrift. Es ist sympathisch, unverfälscht und wirkt plausibel, weil ja ein Fuchs (und Fuchs 8 ist ein verdammt schlauer Fuchs) nicht alles kann. Hier packt die Geschichte schon auf Seite eins. Hier zieht uns der Fuchs mit aller Macht in sein Rudel hinein, um uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Wie sich das anhört? Was man lesend vor Augen hat? Ein Beispiel:

„Liebe Leserinen und Leser: Zuers möchte ich sagen, Entschuldigung für alle Wörter di ich falsch schreibe. Weil ich bin ein Fuks!

Und schreibe oder buchstabire deshalb nich perfekk. Aber jezz kommt wi ich gelernt hab so gut zu schreiben und buchstabiren wi ich es tue. Eines Tages, wi ich an ein von oiern Mänschenhoisern und alles was spannend is mit der Schnauze schnüffel hör ich von drinn ein ser komisches Geroisch…“

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Fuchs 8 von George Saunders

Schon auf der ersten Seite wird klar, womit wir es zu tun haben. Wir sind als Leser und Leserinnen angesprochen, was verdeutlicht, was unser Fuchs 8 hier wirklich leistet Er spricht nicht nur unsere Sprache. Er schreibt. Er schreibt uns und wenn wir glauben, dass es möglich ist, Zeilen aus der Pfote eines Fuchses lesen zu dürfen, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Hier entfaltet George Saunders ein ökologisches Szenario, in dem wir eigentlich die Hauptrolle spielen. Ja, wir wirken freundlich und nett. Ja, wir gehen im Großen und Ganzen liebevoll mit unseren Kindern um und ja, man könnte Vertrauen zu uns fassen. Wäre da nicht das neue Einkaufszentrum, das sich in den Fuchswald frisst und den Lebensraum des Rudels gefährdet.

George Saunders erzählt die Geschichte eines Lebewesens mit einer besonderen Begabung. Ein Querdenker, von Neugier getriebener und auf das Gemeinwohl seines Rudels bedachter Fuchs. Als ihm bei seinem Freund Fuchs 7 das Menschenwort „wow“ rausrutscht, wird dem Rudel klar, dass Fuchs 8 den Fortbestand der Art retten kann. Er muss nur mit den Menschen reden. Sie überzeugen und ihnen ihre Not erklären. Es ist der Hunger, der Fuchs 8 einen Plan in die Tat umsetzen lässt. Ich war fuchsteufelswild, als ich seine Worte las. Ich war zornig, traurig, entsetzt und doch hält uns jene Parabel nur den Spiegel vor. Man sollte sich auf Augenhöhe mit den Füchsen begeben, um nur ein klein wenig zu verstehen, was wir anrichten. Nicht nur auf den kleinen Fuchsbau bezogen.

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Fuchs 8 von George Saunders

Eine lehrreiche und relevante Geschichte in Kleinformat. Auch wenn sie kindlich daherkommt, ist sie zum Vorlesen für Kinder nicht geeignet. Zu heftig, zu brutal ist die Realität, wenn Fuchs und Mensch aufeinandertreffen. Saunders schreibt auch aus der Sicht seines Fuchses nicht verharmlosend oder geschönt. Natur trifft auf Mensch. Was ist daran zu beschönigen? Lest die Geschichte des Fuchses und findet heraus, warum er uns schreibt. Ihr werdet schnell vergessen, dass ein Autor dahintersteckt. Ihr werdet es nach wenigen Seiten vergessen haben. Bereitet Euch aber darauf vor, dass Ihr am Ende der Geschichte nicht regungslos vor einem harmlosen Büchlein sitzen werdet!

Ich war neugierig auf das Original „FOX 8“. Ich musste beide Fassungen unbedingt miteinander vergleichen. Ich musste Saunders unübersetzt lesen, um der Übersetzung gerecht zu werden. Was soll ich sagen? Frank Heibert hat hier nicht nur eine Fassung für deutschsprachige Leser erzeugt. Er hat nicht nur übersetzt. Er hat ein eigenständig nachhaltiges Werk geschaffen, dass die Saunder´sche Sprachmelodie aufnimmt, dem kleinen Fuchs eine authentische deutsche Stimme verleiht und uns zu Tränen rührt. Es wird deutlich, wenn ich das oben aufgeführte Zitat hier im Original niederschreibe. Hier wird deutlich, was Übersetzung heute bedeutet… Chapeau

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Fuchs 8 von George Saunders

„Deer Reeder: First may I say, sorry for any werds I spel rong. Because I am a fox!

So don`t rite or spel perfect. But here is how I lerned to rite and spel as gud as I do. One day, walking neer one of your Yuman houses, smelling all the interest with snout, I herd, from inside, the most amazing sound…“

Fuchs 8 und Pax leben nun zusammen in meinem Bücherregal. Sie verbindet sehr viel in meinem Lesen. Pax ist wirklich für Kinder geeignet und öffnet das Herz für einen kleinen einsamen Fuchs auf der Suche nach seinem Freund. Beide Füchse haben sehr schwer zu kämpfen in ihren Geschichten. Gut, dass sie in meinem Buchschutzgebiet eine Heimat gefunden haben. Als BuchhändlerIn würde ich beide Bücher gemeinsam in gute Kundenhände abgeben. Jeder sollte einen Fuchsbau im Bücherregal haben.

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Fuchs 8 von George Saunders

Fuchs 8“ von George Saunders / Luchterhand Verlag / 50 Seiten / 26 Illustrationen von Chelsea Cardinal / aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert / 12 Euro