Also, das ist schon harter Tobak, den ich mir hier auf den ersten Seiten anhören muss. Mir nichts, dir nichts bin ich gut gelaunt in den Roman „Auf immer verbunden“ gestolpert und fange mir schon zu Beginn die Breitseite einer gesalzenen Standpauke einer verlassenen Ehefrau ein, bevor ich auch nur behutsam umblättern kann. Ich kann gar nicht so schnell lesen, wie ich alle stereotypen Beschimpfungen und Vorwürfe aus dem Munde der betrogenen Ehefrau und Mutter Vanda um die Lese-Ohren bekomme. Der arme Aldo ist gottlob nicht in Reichweite. Auf den gepfefferten „Ich-bin-die-ärmste- Sau-der-Welt-Briefmonolog“ seiner Noch-Ehefrau kann er sich allerdings freuen.
Dabei ist es echt nicht so abwegig, was er da angestellt hat. Besonders, wenn man sich den Tonfall Vandas mal auf der Zunge zergehen lässt. Verlassen, abgelegt und ins Abseits gestellt von einer blutjungen Konkurrentin – so kommt sie sich vor. Am Ende, in Armut versunken, alleine verantwortlich für die gemeinsamen und inzwischen erheblich traumatisierten Trennungskinder Sandro und Anna, während es sich der „feine Herr“ in den Armen einer 19-Jährigen gutgehen lässt. Hier weht Männern ein scharfer Wind um die Ohren, sind doch Vandas Ehevorwürfe so einseitig, dass man nur noch schnell den Kopf einziehen und sich rennend in Sicherheit bringen kann. Dabei sollte man doch die beiden Seiten der Medaille betrachten. Niemals ist es die Schuld eines Partners, wenn sich der gemeinsame Weg an einer dramatischen Kreuzung zu teilen beginnt
“Auf immer verbunden“ von Domenico Starnone (DVA) provoziert auf den ersten Seiten, um in der Folge die gescheiterte Beziehung der beiden Protagonisten auf dem literarischen Seziertisch in ihre Bestandteile zu zerlegen. Schonungslos und neutral. In diesem Sinne gilt es Ruhe zu bewahren, diese erste Standpauke zu ertragen und dann mit Weitblick und vorurteilsfrei zu erlesen, was, warum und wie geschah. Es dauert nie lange, bis sich der erste Eindruck relativiert. Wirklich nie… Die Abwesenheit von Glück hat viele Ursachen. Entfremdung trägt viele Namen und der Beziehungskiller Alltag hat schon mehr Ehen in den Abgrund driften lassen, als man es sich vorstellen kann. Sucht man nach Schuldigen und dreht man jeden Stein der gemeinsamen Zeit um, dann wird man schon sehen, dass nie einer allein für die Ruine einer Beziehung verantwortlich ist.
„Falls du´s vergessen haben solltest, mein Lieber, muss ich dich eben mal daran erinnern: Ich bin deine Frau. Ich weiß, du warst mal froh darüber, aber jetzt stört es dich plötzlich…“
So kommt man nicht weiter. Das weiß auch Domenico Starnone. Und so bleibt der Roman „Auf immer verbunden“ nicht in der Selbstmitleids-Arie einer verlassenen Frau gefangen, sondern befreit sich mit einer ungeheuren Dynamik in eine Richtung, die mir den Glauben an dieses Buch nach einigen verstörenden Seiten schnell wiedergegeben hat.
Hier wird aus dem Ende einer Ehe der Beginn einer neuen Zeit. Hier wird aus dem Davor die Basis für das Danach. Richterlich geregelt, auf ewig getrennt, seiner Kinder durch das alleinige Sorgerecht der Mutter entsorgt, wider- und einspruchslos. Aldo ist Geschichte. Als Ehemann und Vater. Endgültig. Schmutzig. Rosenkrieg. Suizidversuch der Ehefrau. So kann eine Geschichte beginnen. Hier erlangt der Buchtitel „Auf immer verbunden“ eine fast schon bodenlose Skurrilität, die wie ein Reset-Knopf diese Liebe auf Anfang stellt und dann lauthals Überraschung ruft! Man muss nur ein wenig Zeit ins Land einer guten Geschichte gehen lassen.
„Du schreibst, dass du das Bedürfnis hast, wieder Kontakt zu deinen Kindern aufzunehmen. Sagst, dass es nach nunmehr vier Jahren möglich sein müsse das Problem konstruktiv anzugehen… Sie haben beschlossen, dich zu treffen. Sie leiden unter Unsicherheit und Angst. Mach es für sie nicht noch schlimmer.“
Starnone spielt mit der Vorverurteilung der ersten Seiten. Er bezweckt das genaue Gegenteil und lässt uns stutzig werden. Als wir Aldo dann zum ersten Mal sehen, bleibt vom Zweifel wenig. Ich möchte mir selbst ein Urteil bilden, seine Sicht der Dinge sehen und seinen Teil der Geschichte hören. Nicht nur die Geschichte einer Ehe, sondern die Geschichte von Lidia, die ihn in ein neues Leben katapultiert hatte. Was war passiert?
„Auf immer verbunden“ ist ein Sehnsuchtsroman allererster Güte. Unausweichlich schleicht sich Distanz durch Routine in unser Leben. Unausweichlich ist es die Eitelkeit, die uns für Verführungen empfänglich macht. Unausweichlich steht man dann vor dem Scherbenhaufen eines gemeinsamen Versprechens. Wie tief die Verbindungen reichen erweist sich, nachdem man in die falsche Richtung abgebogen ist. Eine Flucht ist dabei nie nur demjenigen anzulasten, der ausbrechen will. Schuld ist etwas, das uns ewig mit dem Menschen verbindet, den wir treu begleiten wollten. Ob das neue Leben geeignet ist, das Versprechen von Freiheit, Liebe und Neustart ohne Routine einzulösen, ist eher fraglich. Wer jedoch am Ende eines solchen Weges unbeschadet bleibt, ist lesenswert.
Die Verlassene? Der Ausbrechende? Die Verführende? Der Rückkehrer? Ist es die Flucht von einer Lebenslüge in die nächste und zurück oder steckt mehr dahinter, wenn es Aldo wieder in die Arme seiner Familie treibt? Bekommt der Begriff Entscheidung in diesem Roman eine völlig neue Bedeutung im Sinne der Umkehr einer Trennung? Wird die Verlassene jemals vergeben können? Domenico Starnone berührt uns nachhaltig in und zwischen den Zeilen seines Romans. Keine der aufgeworfenen Verwerfungen lässt uns kalt. Keine Frage wird umschifft und keine Antwort verweigert. Und doch gelingt es auch diesem Roman nicht, uns gegen Versuchungen zu immunisieren. Zielstrebig geht es in Richtung Untergang, wenn Unzufriedenheit und Eitelkeit sich ihren Weg bahnen.
Vielleicht ist dies gar nicht so sehr ein Roman für die Menschen, die sich hier so treffend getroffen fühlen. Vielleicht ist er ja gar nicht für Verlassene und Fliehende im eigentlichen Sinne geschrieben. Eine unverhoffte Wendung zeigt mir vielmehr, dass er die Kinder anspricht, die diesem Ehetaifun ihrer Eltern gnadenlos ausgesetzt sind. Ihre Fragen bleiben im Leben unbeantwortet. Ihre selbst zugewiesene Schuld zerstört mehr, als die Scheidungen oder Entscheidungen der Eltern. Sie sehen sich als Mittäter eines Scheiterns und belasten sich lebenslänglich mit diffusen Vorwürfen.
Die große Botschaft dieses Romans ist, dass man „Auf immer verbunden“ bleibt. Egal auf welcher Seite man steht, egal welchen Weg man wählt. Das große Fehl eines Lebens ist die unausgesprochene Wahrheit. Man sollte sie niemals vor den Menschen verbergen, die einem am wichtigsten sind. Und auf keinen Fall sollte man sie von den eigenen Kindern ans Tageslicht bringen lassen. Dann ist es zu spät. Lesenswert.