Das Gentleman-Projekt

Das Gentleman-Projekt bei AstroLibrium

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Schön, dass Sie den Weg aus dem Einleitungsartikel hierhin gefunden haben. Ich möchte Sie im Gentleman-Projekt begrüßen. Lassen Sie uns reden: Über die Kunst, ein Gentleman zu sein.

Man schrieb das Jahr 1739. Philip Dormer Stanhope, 4. Earl of Chesterfield (1694-1783), Mitglied des House of Commons und des House of Lords, Botschafter der Krone und Träger des Hosenbandordens, sah sich veranlasst, seinem Sohn Philip Stanhope junior zu schreiben. Ungeachtet der Tatsache, dass der junge Mann gerade mal sechs Jahre alt und Spross aus einer illegitimen Beziehung war, hatte der Mann von Welt die Absicht, seinem Nachkommen zu vermitteln, wie man ein echter Gentleman wird.

Ebenso ungeachtet der Tatsache, dass jenes ambitionierte Unterfangen grandios scheiterte, gelten die Briefe bis heute als zeitloses Brevier, das den Mann vom Jungen trennt. Mehr als ein Ratgeber und viel mehr als ein Erziehungs-Standardwerk. Der Titel der Briefsammlung The Art of Becoming a Man of the World and a Gentleman zeigt worum es eigentlich geht. Darum, eine Kunstfertigkeit zu erlernen. Vielleicht ist der gute Earl of Chesterfield ja der Prototyp eines Rasenmähervaters, der beharrlich versuchte, alle Unwägbarkeiten aus dem Weg zu räumen, Konflikte zu minimieren und dem Filius goldene Brücken in eine sichere Zukunft als weltgewandter höflicher Mann zu bauen.

Über die Kunst, ein Gentleman zu sein - Earl of Chesterfield - AstroLibrium

Das Gentleman-Projekt bei AstroLibrium

Der Mann von Welt hinterließ in diesen Briefen alles, was ihn selbst auszeichnete, was er vorlebte und wofür er heute noch steht. Aber ist es noch zeitgemäß, Briefe als Leitfaden für gutes Benehmen zu empfehlen, die aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig in die Jahre gekommen sind? Das möchte ich herausfinden. Dieses Gentleman-Projekt ist mein Versuch, den Briefen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sich der Verfasser eigentlich von seinem Sohn gewünscht hätte. Mein Leitfaden aus dem Manesse Verlag soll Wegbegleiter und Feldstudie zugleich sein. Ich möchte die Botschaften wohldosiert an mir, der heutig

Wo ist bei mir noch Luft nach oben, wo darf ich mich als Gentleman bezeichnen, was habe ich verlernt, was erwartet keine Frau mehr von einem Mann und wo liegt das wahre Potenzial dieser Briefe? Und nicht zuletzt stelle ich mir die provokante Frage, ob das Buch angesichts des veränderten Rollenbildes der Frau wirklich nur Männersache ist, oder ob wir zeitgemäß auch die Gentlewomen einbeziehen müssen. Ich werde das Buch nicht am Stück lesen. Ich sehe es als Dauer-Posteingang aus der Vergangenheit und werde mich kontinuierlich mit den Briefen auseinandersetzen. Ihr seid eingeladen, diesen Weg zu begleiten und meine Auslegungen, Gedanken und Meinungen fleißig zu kommentieren.

Heureka. Ich habe eine wahre Gentlewoman gefunden, die sich mit dem Brevier des Earl of Chesterfield beschäftigt hat und auf ihrem Blog Frau Lehmann liest den Briefen an den Sohn einen inspirierenden Artikel widmet… (hier)

Editorischer Hinweis: Ich schreibe hier antizyklisch. Das heißt, meinen ersten Beitrag findet ihr am Ende des Artikels und die neuen Einträge findet Ihr unter dieser Einleitung jeweils in dunkelroter Schriftfarbe deutlich hervorgehoben. Ladies and Gentleman. Wir verneigen uns noch höflich voreinander, und dann geht es auch schon los. Ein dreifach Hoch auf den Earl of Chesterfield… 

Das Gentleman Projekt - Rasenmähereltern - AstroLibrium

Das Gentleman-Projekt bei AstroLibrium – Rasenmähereltern

Dritter Eintrag:

„Lass meine Erfahrung Deinem Mangel hierin abhelfen und beim Fortschreiten Deiner Jugend Deinen Weg von all dem Gestrüpp und jenen Dornen reinigen,
die mich auf meinen zerkratzt und entstellt haben.“
(Bath, 4. Oktober 1746)

Na, was haben wir denn hier? Wer immer dachte, Rasenmähereltern seien nur eine Zeiterscheinung des 21. Jahrhunderts, der irrt sich gerade gewaltig. Unser guter Earl of Chesterfield vertritt hier eine Sichtweise, die heute in Kindertagesstätten und im Leben immer weiter um sich greift. Es sind Eltern, die alle Hindernisse aus dem Weg räumen, ins soziale Leben ihrer Kinder eingreifen, negative Erlebnisse vermeiden wollen und im Alltag wie Planierraupen für ihre Kinder fungieren. Konflikte sollen nicht geführt werden. Negative Erfahrungen schaden. Alles soll schön glatt verlaufen. Nur kein Hindernis im Weg des Kindes, das es selbst zu überwinden hat. Potenziell gefährliche Situationen in einer Umwelt, die wie ein gefährlicher Dschungel gesehen wird, werden vermieden. Nur kein Streit mit anderen Kindern, nichts, was sie selbst lösen müssten. Behütet bis zum Anschlag.

Hier werden die Versager der Zukunft produziert. Resilienz wird zum Fremdwort. Im wahren Leben sind die Eltern irgendwann nicht mehr hinter dem Rasenmäher. Es sind dann die ersten Konflikte und Auseinandersetzungen, die in Schule oder Beruf geführt werden müssen, ohne das Schutzschild der Eltern zu spüren. Die Folge: Überforderung und nicht angemessenes Sozialverhalten. Wer nie Hindernisse bewältigen musste, hat selbst bei kleinen Hürden unüberwindbare Schranken vor sich. Eine Erfahrung, die der Earl of Chesterfield auch machen musste. Er wollte seinem Sohn den Weg ebnen. In jeder Beziehung. Alles schlug fehl. Sein Sohn wurde nie der gewiefte Diplomat, den der Vater so gerne erzeugt hätte. Hier von einem grandiosen Erziehungsbuch zu sprechen, ist aus meiner Sicht einfach falsch. Junge Menschen müssen ihre Grenzen finden, sie überwinden und an selbst gemachten Erfahrungen wachsen. Scheitern gehört ebenso dazu, wie Verletzungen. Ein schmerzhafter Prozess. Lebensrettend…

Das Gentleman-Projekt bei AstroLibrium

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Zweiter Eintrag:

„Aber dies will ich Dir raten: niemals ganze Gruppen gleich welcher Art
anzugreifen, denn abgesehen davon, dass sämtliche allgemeinen Regeln
ihre Ausnahmen haben, machst Du Dir ohne Not eine große Menge Feinde,
indem Du ein Corps insgesamt attackierst.“
(Dublin Castle, 5. April 1746)

Hier mausert sich unser Earl zum Visionär. Damals galten solche Pauschalangriffe eher dem Klerus, Höflingen oder Advokaten. Der Tipp an den Sohnemann gilt hier als Lebensversicherung für die künftige Karriere. Gruppen vergeben nicht. Individuen eher. Heute sind wir täglich mit solchen Angriffen auf ganze Gruppen konfrontiert. Man sucht seine Ziele in der anonymen Masse, die sich nicht wehren kann. Es sind DIE MEDIEN, DIE AUSLÄNDER, DIE FACHARBEITER, DIE MUSLIME. In der Anonymität liegt eine Wucht verborgen, die Populisten gerne nutzen. Die Aussage unseres Weltmannes ist eindeutig zeitlos. Ein kleiner Test: Stöbert mal eine Stunde in den sozialen Netzwerken und in seriösen Nachrichtensendungen und zählt einfach, wie oft Ihr Pauschalangriffe findet. Kleiner Tipp. Der Twitter-Account des US-Amerikanischen Präsidenten allein ist hier als Feldstudie perfekt geeignet. Individualisiert Kritik. Macht sie nicht gesichtslos.

Das Gentleman-Projekt bei AstroLibrium

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Erster Eintrag:

„Ich wünsche mir sehr, von Dir niemals zu hören,
Du habest auf etwas nicht geachtet“
(Dublin Castle, März 1746)

Achtlosigkeit war wohl 1746 (dem Jahr, in dem diese Zeilen entstanden) ebenso fatal, wie in der heutigen Zeit. Was der Earl of Chesterfield einst über unbedachtes Handeln schrieb, trifft auch heute noch zu. Es ist die fehlende Aufmerksamkeit, die zu falschem Handeln führt. Fehlende Konzentration und Fokussierung. Dem Gegenüber nicht oder nur oberflächlich zuhören, Ablenkungen zulassen und alles nicht so wichtig nehmen. In unserer Zeit sind wir hier sogar noch gefährdeter. Reizüberflutung regiert überall. Einer Diskussion zu folgen, ohne zwischendurch aufs Handy zu schauen, eine Seltenheit. Ich genieße das am Lesen. Mich hier zu fokussieren hilft mir, mich auch in Gesprächen mit anderen Menschen nicht ablenken zu lassen. Aber das ist ein harter Kampf, der täglich ausgefochten werden muss. Zieht Ihr für Achtsamkeit ins Gefecht?

To be continued…

Über die Kunst, ein Gentleman zu sein - Earl of Chesterfield - AstroLibrium

Über die Kunst, ein Gentleman zu sein – Earl of Chesterfield

6 Gedanken zu „Das Gentleman-Projekt

  1. Pingback: Über die Kunst, ein Gentleman zu sein – Earl of Chesterfield | AstroLibrium

  2. Ich würde gerne ins Gefecht ziehen. Aber es ist fast sinnlos. Niemand konzentriert sich noch. Oberflächliches ist angesagt. Hoffentlich lesen das hier viele Leute. Ich teile deine Meinung. Keine Männersache. Gruß, Verena

  3. Soll ich jetzt den Männern die Tür aufhalten? Neee. Da bin ich gerne Frau und genieße die Aufmerksamkeit. Jetzt aber ernsthaft. Weltoffenheit ist eine Kunst und die muss man lernen. Ich bin gespannt auf dieses Projekt. Ich hätte das Buch nicht entdeckt. Jetzt reizt es mich sehr. Gruß aus Linz. Lisa

  4. Pingback: Briefe an den Sohn | Frau Lehmann liest

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