Die Marschallin von Zora de Buono

Die Marschallin von Zora de Buono - AstroLibrium

Die Marschallin von Zora de Buono

Mögt ihr klassische Musik? Besucht ihr gerne Konzerte mit großem Orchester? Liebt ihr es, in den Melodien einer Inszenierung zu versinken, einfach loszulassen und von einer anderen Welt zu träumen? Dann seid ihr hier genau richtig. Aber ich muss euch warnen. Die literarische Sinfonie, die ich euch heute vorstellen möchte, ist nicht für Freunde leichter Unterhaltungsmusik komponiert.Die Marschallin von Zora del Buono ist mit einem fulminanten Konzert in zwei Aufzügen zu vergleichen. Während die Erzählung im ersten Teil langsam und beschaulich zu fließen scheint, wie einst die Moldau von Smetana, in manchen Nebenarmen ab und an ins Stocken gerät und sich durch die weitverzweigte Geschichte einer slowenischen Familie mäandert, geraten wir im zweiten Teil nach einem einzigen Paukenschlag in die mitreißenden Stromschnellen einer turbulenten Jahrhundertgeschichte, die uns nicht mehr aus dem Strudel und dem Sog der Faszination entlässt, den sie verbreitet.

Wer den Konzertsaal, in dem „Die Marschallin“ ihren Marschallstab schwingt, im ersten Teil verlässt, verpasst ein Leseerlebnis der besonderen Art: Das Tempo einer Erzählung, das sich im Rhythmus eines Trommelfeuers in unsere Eingeweide hämmert und keine Chance mehr zur Flucht lässt. Wir verstehen den ersten Teil des Romans als wichtige Ouvertüre, ohne die eine Wildwasserfahrt nicht möglich wäre. Wir sehen, dass alle Protagonisten unter der Regie der Marschallin sorgsam eingeführt werden mussten, um im vollen orchestralen Klang einen Sturm entfalten zu können, in dem die Dirigentin wie eine Furie über ihre eigene Lebensgeschichte herfällt. Ein grandioser Roman, den man vielleicht mit dem Ende beginnen sollte. Ein Roman, dem man dieses Tempo nicht zugetraut hätte, nachdem die Verästelungen der Familiengeschichte dem Hauptstamm immer weiter zu entwachsen drohten. Ein Roman, der nur als Ganzes wirkt, weil er uns mit diesen beiden Tempi überrascht.

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Die Marschallin von Zora de Buono

Die Autorin entführt uns in die Geschichte ihrer eigenen Familie. Sie spinnt ihren Erzählfaden vom Ersten Weltkrieg bis ins Jahr 1980, womit die Geschichte allerdings nicht enden wird, weil die Autorin selbst sie mit ihrem eigenen Schaffen fortsetzt. Es sind die Zoras, die diese generationsübergreifende Erzählung dominieren. Es ist die Hauptfigur Zora, die sich in ihrer Familie mühevoll freischwimmen muss. Eine starke Frau in unsicheren Zeiten. Eine stolze Slowenin, der in ihrem Leben eines fehlt. Eine klare nationale Identität. Egal, wo sie lebt, egal mit wem sie sich umgibt, die Grenzen der Toleranz gegenüber Menschen aus Slowenien sind eng gezogen. Da hilft es auch nichts, dass ihr Ehemann sie im italienischen Bari mit Luxus überschüttet, um ihr das Gefühl von Heimat zu vermitteln. Zora hat von ihrer Großmutter nicht nur den Namen geerbt. Sie ist eine Alleinherrscherin innerhalb der Familie und setzt alles daran, ihre Söhne durch die Wirren der Geschichte zu leiten.

Es ist eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen. Es ist die Zeit der politischen Demagogen und Diktatoren. Hier setzt Zora alles auf eine einzige Karte, engagiert sich im Kampf gegen Mussolini und glaubt daran, dass ein gewisser Josip Broz Tito seine Heimat vor dem Zugriff der konkurrierenden Machthaber bewahren kann. Ein riskantes Spiel. Für eine Frau in dieser Zeit noch gewagter. Den Diktatoren im Äußeren steht sie im Inneren des Familienverbandes in Nichts nach. Mit straffer Hand agitiert sie, wie die großen Ideologen. Schwiegertöchter haben sich einzureihen, sonst werden sie an den Rand gedrängt. Söhne haben ihr zu entsprechen, sonst droht Ungemach und ihr Mann hat sich damit abzufinden, wer hier die Hosen anhat. Was für eine Frau, was für böse Intrigen und welch bittere Niederschläge sie hinnehmen muss, bevor der Vulkan in ihr entgültig ausbricht. Und gegen ihn sind die Eruptionen des Ätna kleine Bebelchen.

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Die Marschallin von Zora de Buono

Es ist eine Geschichte von Ländern, von Rissen in der Geschichte und von Inseln, die ihre ganz eigenen Geschichten zu erzählen haben. Verbannten und Kriminellen dienen sie als Heimat. Diktatoren dienen sie als reines Machtinstrument. Es ist auch eine Geschichte solcher Inseln, der Zora nur ihre Familie als Insel entgegenzusetzen hat. Ist es eine slowenische, eine italienische oder jugoslawische Geschichte, der ich hier von 1919 bis 1980 folge? Formal ist es für mich eine deutsche Geschichte. Klingt komisch, aber ohne deutsches Gas im Ersten Weltkrieg, ohne deutsches Gedankengut zwischen den beiden Kriegen, ohne Nationalsozialisten, Deportationen und Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg wäre die Familie der del Buonos ja vielleicht einfach eine normale und glückliche Familie gewesen. Das jedoch sollte nicht sind. Davon zeugen die Toten, die Unglücklichen und Heimatlosen, die am Ende sprachlos dem finalen Monolog der Erzählerin zu folgen haben.

Dieser Monolog verändert alles. Er ist kein Sturm im Wasserglas. Die Marschallin gleicht in seiner Struktur einer chronologischen und sehr akribischen Buchführung, die eine Familiengeschichte mit all ihren Gewinnen und Verlusten dokumentiert. Als es dann zur Bilanz kommt, wird aus dem Bilanzlineal eines Lebens das Fallbeil der Generationen. Das Buch verliert seine Fassung, „Die Marschallin“ verliert ihre Fassung und der Leser wird von einem fulminanten Finale förmlich über den Haufen gerannt. So fühlt sich nur die ganz große Literatur an. Ich bin sehr dankbar, dieser Alleinherrscherin nicht alleine über den Weg gelaufen zu sein. Kate begleitet mich gerade durch solche Romane, in denen Frauenbilder zu den wahren Bestimmungsgrößen gehören. So auch hier. Es ist ihr Blick auf diesen Roman, der unter dem Motto KateView den finalen Monolog dieser Rezension darstellt. Vorsicht, jetzt kommt Tempo… es folgt die Schussfahrt.

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Die Marschallin von Zora de Buono – KateView

Nachdem ich leider – oder auch nicht – völlig unmusikalisch bin,
muss ich mein Leseerlebnis mit anderen Bildern beschreiben.

Die Marschallin - KateView - Astrolibrium

Die Marschallin von Zora del Buono – KateView

„Die Marschallin“ gleicht für mich einer gelungenen Mountainbiketour.

Der erste Teil ist gemächlich, aber anstrengend. In langsamem Tempo geht es über viele Kurven den Berg hinauf. Zwischendurch braucht man Pausen, in einem Stück ließ sich das Buch nicht dahinlesen. Zu groß die unterschiedlichen Eindrücke, zu eigenständig die Geschichten der einzelnen Personen. Zu dem Zeitpunkt noch ungläubig, dass sich das Ganze zu einem Ganzen fügen wird, halten den Leser die wunderschönen Ausblicke in die Landschaft bei der Stange – in diesem Fall die traumhaft schönen Worte, mit denen die Autorin so meisterhaft umgehen kann. Von feinsinniger Opulenz ist die Rede, von hell leuchtenden Persönlichkeiten, von Vögelchen und Spätblüherinnen. Es wird über den Geschmack von Elektrizität philosophiert, man findet konziliante Distinktion, ein Volk von Schafen und ein gefallenes Mädchen. Dies alles und das Bewusstsein, dass man diesen Berg erklimmen muss, um in den Genuss der Abfahrt zu kommen, lässt einen durchhalten und der Autorin bis zum zweiten Teil folgen. Und dann.

Dann geht es unversehens hinab in einer wilden Fahrt, in atemberaubendem Tempo, nicht ahnend, was einen hinter der nächsten Kurve erwartet und man liest und liest und liest und liest, bis man am Ende ist. Und dann sitzt man da, schwer atmend, mit weit aufgerissenen Augen, nicht fassen könnend, dass es vorbei ist. In seiner Gänze ist das Buch genau so notwendig. Während der fulminanten „Abfahrt“ erschließt sich jedes Detail des Anstiegs, es schließen sich die Kreise und alle losen Fäden finden ihren Platz in diesem großartigen Gemälde über eine außerordentliche Frau. Chapeau.

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Die Marschallin von Zora de Buono

Wenn ein Roman an seinem Ende seine Widerhaken in eine andere Geschichte schlägt, dann könnte dies Grund genug sein, jener schicksalhaften Fügung zu folgen. „Die Marschallin“ berührt am Ende „Ulysses“ und James Joyce gleichermaßen. Ein Wink mit dem literarischen Zaunpfahl von Zora del Buono? Vielleicht ein Zeichen? Der rote Klotz ist ungelesen, ungewagt, nie getraut, oft nur angedacht. Bis jetzt! Danke für diesen Impuls, der sich nun nicht mehr unterdrücken lässt…

Eine weitere lesenswerte Rezension findet ihr bei: Constanze auf Zeichen & Zeiten!

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Ein Gedanke zu „Die Marschallin von Zora de Buono

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