„Und es schmilzt“ von Lize Spit – Vorsicht vor diesem Buch

„Und es schmilzt“ von Lize Spit

Es ist noch gar nicht so lange her, da sah man unzählige Videos von Menschen, die sich Eiswürfel über den Kopf schütteten. Es war die Zeit der Ice Booket Challenge. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich es für absolut ausgeschlossen hielt, dass ich mich selbst einer solchen Herausforderung stellen würde. Dass ich jedoch eines Tages beim Lesen eines Romans an diese virale Online-Aktion denken würde, hätte ich auch nicht gedacht. Genau das jedoch ist mir nun passiert. Doch es kam dann ganz anders, als ich es mir gedacht habe. (Hier weiterhören oder -lesen. Sie haben die Wahl)

Und es schmilzt von Lize Spit – Der Radio-PodCast

Und es schmilzt“ von Lize Spit ist die Ice Book Challenge unserer Tage. Leser in Deutschland und Holland überschütten sich mit dem Schmelzwasser eines Eisblocks, den sie so schnell nicht wieder aus den Köpfen bekommen, nachdem sie den Thriller aus dem Hause S. Fischer Verlag schockgefrostet verlassen haben. Was man vorher jedoch mit der Protagonistin des Romans durchzumachen hat, ist mehr, als so manch zartes Leserherz zu verkraften in der Lage ist. Ein Buch aus der Kategorie „Ist es zu hart, bist du zu weich!„.

„Und es schmilzt“ von Lize Spit

Und sagt nach dem Lesen nicht, Ihr hättet keine Ahnung gehabt. Die Warnungen des Verlages sind zu eindeutig. Da reicht ein Blick auf das eisige Buchcover und jeder erfahrene Leser weiß, was er vom Inhalt zu erwarten hat. „Diese Geschichte packt Sie an der Kehle“, „Dieser Roman ist eine Granate, die erst nur einen Schatten wirft, und dann mit kaltblütiger Präzision einschlägt“, „…besetzt eine besondere Stelle in Ihrem Kopf, irgendwo zwischen Behaglichkeit, Unruhe, Vertrautheit und Entsetzen“, so das Presseecho aus den Niederlanden. Und nicht zuletzt prangt dieser Slogan über diesem Psychothriller „Ein Buch, das alles gibt und alles verlangt.

Normalerweise gehören diese Blurbs ja ins Reich der Legende, denn wer druckt schon so negative Äußerungen, wie „Langatmig“ oder „Netter Versuch“ auf ein Cover, möchte man diese Zitate aus professionellem Munde doch verkaufsfördernd einsetzen? Diesmal jedoch bin ich eher verleitet diese Prädikate nicht zu kritisieren, da sie jedes für sich im Kern einen Punkt berühren, der diesen Roman so außergewöhnlich macht und dafür sorgt, dass man ihn nicht so schnell vergessen kann. Er verlangt wirklich alles von seinem Leser: Durchhaltevermögen, einen langen Atem und gestählte Nerven, wenn es darum geht, am Ende der Story bei klarem Verstand zu bleiben.

„Und es schmilzt“ von Lize Spit

Worum geht es eigentlich, was macht dieses Buch so gefährlich? Schauen wir uns doch einfach einmal die Ausgangssituation ganz in Ruhe an und überlegen dann weiter, ohne vorschnelle Rückschlüsse zu ziehen. Denn wenn diese Story eines gar nicht mag, dann sind es vorschnelle Urteile. Allein der Begriff „vorschnell“ ist mit diesem Thriller in keiner Weise zu vereinbaren. Also fangen wir ganz von vorne an. Eine junge Frau kehrt nach neun Jahren zurück in ihr Heimatdorf, das sie fast vollständig aus ihrem Leben zu verdrängen versucht hat bis eine Einladung eines ihrer beiden ältesten Jugendfreunde Eva zur Rückkehr veranlasst.

Und so kehrt sie an den Ort ihrer Kindheit und Jugend zurück. An den Ort, an dem sie mit ihren Geschwistern aufgewachsen ist, den Ort, an dem ihre Eltern noch wohnen und an den Ort, der sie und ihre beiden besten Freunde Laurens und Pim nur als „Die drei Musketiere“ kannte, so eng waren sie einander verbunden. Einer für alle, alle für einen. Das war seit Anbeginn des Denkens das gemeinsame Mantra. Doch was nimmt eine junge Frau mit, wenn sie nach so langer Zeit beschließt, der Einladung von Pim zu folgen, wissend, dass auch Laurens anwesend sein wird? Was hat man im Gepäck?

Eva reist mit einem langsam schmelzenden Eisblock im Kofferraum nach Hause.

„Und es schmilzt“ von Lize Spit

Schon bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich Euch gerne mit diesem Roman alleinelassen würde, nicht jedoch ohne einige rezensorische Hinweise zu geben, die mir das Lesen erleichtert hätten. Lize Spit nimmt sich Zeit, ihren Thriller zu entwickeln. Sie nimmt sich viel Zeit, was in der heutigen schnelllebigen Zeit vielleicht oftmals gar nicht so gut ankommt, möchte man doch immer schnell zum Punkt kommen, um dann wieder in andere Geschichten einzutauchen. Das ist nicht drin bei Lize Spit. Evas Rückkehr in ihr Heimatdorf lüftet jenes Geheimnis, das seit 13 Jahren in ihr verborgen ist, im tiefsten Inneren gärt, brodelt und nie zum Ausbruch kam. Ihr Weg zurück ist ein weiter Weg, für den es keine Abkürzung gibt. Schon gar nicht in diesem Roman.

Der Eisblock schmilzt nicht schnell im Winter ihrer Heimkehr. Es ist manchmal ein quälend langsamer Prozess, dem sich Eva in der Rückschau auf ihr Leben aussetzt. Es ist ein quälend langsamer Prozess, der sie selbst zu der Frau gemacht hat die sie heute ist. „Und es schmilzt“ ist ein steter langsamer Fluss an Schmelzwasser, der sich unter uns ausbreitet wie eine Pfütze und Eva zum Kern der Ereignisse von damals vorstoßen lässt. Ihre besten Freunde werden sich wundern, was es mit diesem Eisblock auf sich hat. Wir reißen die Augen auf, wenn wir lesend erkennen, was Eva mit diesem Klotz im Kofferraum ihres Autos bezweckt. Und wir alle, weder die Weggefährten von einst, noch die Leser von heute werden jemals vergessen, welchen Plan Eva verfolgt.

„Und es schmilzt“ von Lize Spit

Geben Sie Lize Spit die Zeit, die sie selbst der Geschichte einräumt, um Eva zu verstehen. Verzagen Sie nicht, wenn Sie das Gefühl haben, einen Handlungsfaden in Händen zu halten, der Sie nicht weiterbringt. Und wiegen Sie sich nie in Sicherheit, weil Sie verleitet sein könnten, es hier mit einem herkömmlichen Entwicklungsroman zu tun zu haben. Das ist es gerade nicht, was Ihnen begegnet, wenn Sie die Füße schon tief im Schmelzwasser der Geschichte stehen haben. Lize Spit erzählt im schonungslosen und beklemmenden Klartext von einer Zeit, in der die jugendlichen Spiele ihre Unschuld für immer verlieren. Machen Sie sich auf Beschreibungen gefasst, die Sie zu Beginn dieses Romans nicht für möglich gehalten hätten.

Und es schmilzt ist ein außergewöhnlicher Thriller, der unvorhersehbar bleibt, bis das Schmelzwasser des Eisblocks seine Leser in tiefe Schockstarre versetzt. Emotional sind wir ganz nah bei Eva und wünschen uns dabei doch oftmals, wir hätten ihr nicht so gut zugehört. Wir wünschten uns, wir hätten uns geirrt. Aber Lize Spit ist gnadenlos. Es ist eine Geschichte, die keine Gnade kennt, weil Gnade das Letzte ist, wovon Lize Spit hier erzählt. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Sagen Sie nur das nicht. Aber sagen Sie auch nicht, ich hätte es Ihnen nicht empfohlen, denn genau das ist mein Ziel,

Litze Spit lässt am Ende des Schreibens keine Fragen offen. Leider.

„Und es schmilzt“ von Lize Spit