Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Brieffreundschaft

Else Lasker-Schüler und Franz Marc - Eine Freundschaft in Briefen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Freundschaft in Briefen

Dies ist die Geschichte einer ganz besonderen Beziehung, die alles war, nur keine Beziehung im klassischen Sinne. Es war keine Liaison, keine Liebesgeschichte und es war mit Sicherheit keine Verbindung, die auf Lust, Anziehungskraft oder Leidenschaft in sexueller Hinsicht beruhte. Es war viel mehr. Ich schreibe hier über zwei Menschen, die einander viel zu schreiben hatten. Zwei Künstler, die in ihrer Zeit gleichwohl verehrt, als auch verachtet wurden. Eine Schriftstellerin und einen Maler, deren Lebenswege durch eine außerordentliche gegenseitige Zuneigung miteinander verwoben waren. (Hören)

Eine Freundschaft in Briefen und Bildern – Diesen Artikel können Sie hören…

Else Lasker-Schüler und Franz Marc

Sie, die mäßig erfolgreiche aber sprachgewaltige deutsch-jüdische Autorin, deren avantgardistische und expressionistische Texte im frühen zwanzigsten Jahrhundert für den traditionellen Leser einen Quantensprung in der Literatur darstellten. Ihre Sprache polarisierte, Ihre Texte ließen sich nur schwer veröffentlichen und bei aller Leidenschaft für das geschriebene Wort war es ihr fast unmöglich, sich eigenständig über Wasser zu halten. Else Lasker-Schüler.

Else Lasker-Schüler und Franz Marc - Eine Freundschaft in Briefen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Freundschaft in Briefen

Er, der Maler, der versuchte die Grenzen des Gegenständlichen zu sprengen, sich von Zwängen der traditionellen Malerei zu lösen und sein Heil in der Flucht suchte und eine ganz eigene Blaue Welt erschuf, in der Formen und Farben dominierten, sich aber niemals gänzlich vom Dargestellten lösten. Auch er polarisierte, wurde von der Kritik in der Luft zerrissen und doch kämpfte er nicht jenen einsamen Kampf einer Else Lasker- Schüler. Er scharte Gleichgesinnte um sich und erhob seinen Kunststil zur Stilrichtung. Er war Mitbegründer des „Blauen Reiters“ und nichts steht so sehr für sein Schaffen, wie das Blaue Pferd das im Münchner Lenbachhaus zu bestaunen ist. Franz Marc.

Die Kunst vereinte die beiden kreativen Geister. Wie sollte es auch anders sein? Franz Marc wurde von Versöhnung, einem Gedicht Else Lasker-Schülers, inspiriert. Er illustrierte es als Holzschnitt und bat sie indirekt darum, es als Versuch anzusehen, ihre Worte zu verbildlichen. Ihre Antwort muss den guten Franz Marc tief ins Mark getroffen haben, denn Else schrieb nicht im Klartext, sondern in einer eigenen poetisch-lyrischen Anwandlung, die einen Briefwechsel in Gang setzte, der auch aus heutiger Sicht zu den wohl künstlerischsten Dialogen gezählt werden muss, die je zwischen einem Maler und einer Dichterin geführt wurden.

„Ich bin Jussuf, Prinz von Theben“… so stellte SIE sich IHM vor. „Sind sie auch so schmerzlich verloren wie ich?“

Else Lasker-Schüler und Franz Marc - Eine Freundschaft in Briefen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Freundschaft in Briefen

Heute würden wir das vielleicht Rollenspiel nennen. Heute wirkt dieser Dialog fremd und unwirklich, in der Zeit des künstlerischen Aufbruchs jedoch fanden zwei Suchende zueinander und in ihren jeweiligen Antworten die Entsprechung der eigenen Sehnsucht. Franz Marc antwortete auf seine Weise. Er schrieb Postkarten, die er für Else illustrierte und ihnen damit kunstgeschichtlich einen unschätzbaren Wert verlieh. Ein Selbstbildnis zeigt ihn in zärtlicher Umarmung mit seinem Blauen Pferd, das er Else nun voller Stolz präsentiert. Sie antwortete:

„Der blaue Reiter ist da – ein schöner Satz, fünf Worte – lauter Sterne…“

Von 1912 bis 1916 dauerte dieser magische Briefwechsel in Wort und Bild. Immer wenn Franz Marc lesen musste, dass der arme Prinz von Theben am Leben zweifelt, in Armut versinkt und darüber klagt, dass die Welt ihn nicht versteht, schickt er ein Bild als Trost, versehen mit aufmunternden Worten. Die Sammlung der Postkarten des Blauen Reiters zeigt einen Querschnitt durch all seine Schaffensphasen. Sie beinhaltet Werke, die es heute nicht mehr gibt. Der Turm der blauen Pferde gilt seit 1945 als verschollen und nur die wundervolle Miniatur auf der Karte an Else zeigt, wie das Gemälde gestrahlt haben muss, bevor es von Hermann Göring als entartetes Kunstwerk geraubt wurde…

Else Lasker-Schüler und Franz Marc - Eine Freundschaft in Briefen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Freundschaft in Briefen

Das Kunstbuch „Else Lasker Schüler – Franz Marc. Eine Freundschaft in Briefenaus dem Prestel Verlag ist ein wahrer Kunstschatz. Es beinhaltet alle Briefe, Postkarten und Hintergründe, die diesen außergewöhnlichen Künstlerdialog zu einem Ereignis für den Leser werden lassen. Chronologisch werden wir zu Zeugen des Aufschwungs und der Krisen, die immer weiter um sich greifen. Wir sitzen gefühlt mit Else Lasker-Schüler am Schreibtisch und bewundern die vielen Miniaturen des Blauen Reiters, schauen ihr beim Schreiben ihrer Briefe über die Schulter und erkennen von Wort zu Wort und von Bild zu Bild, wie wichtig dieser Austausch für beide ist. Melancholie strahlte selten so bunt.

Für Else Lasker-Schüler waren die Miniaturen lebensrettend. Sie konnte viele ihrer Texte nur veröffentlichen, weil sie die kleinen Bilder von Franz als Illustrationen beifügte und abdrucken ließ. Und für Franz waren ihre Briefe häufig die einzigen Lichtblicke, die ihn aus dem Tunnelblick des Künstlers befreiten und ihn mit diesem literarischen Spiel inspirierten. In jeder Hinsicht, eine kreative Win-Win-Situation. Das großformatige Buch wird dieser besonderen Beziehung in besonderem Maße gerecht. Es hat bei mir Lücken geschlossen, von denen ich schon nicht mehr dachte, dass sie jemals zu schließen sind und es hat Gefühle losgetreten, die nur angesichts der originalen Handschriften und der Vielzahl der Bilder zu einer Woge des Staunens ausufern konnten.

Else Lasker-Schüler und Franz Marc - Eine Freundschaft in Briefen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Freundschaft in Briefen

Ich sah mein Blaues Pferd erstmals als Fohlen, fühlte die verlorene Einsamkeit einer Schriftstellerin, die erkennt, dass sie vom Schreiben allein nicht leben kann. Ich erlebte die tiefe gegenseitige Wertschätzung und spürte die Aufrichtigkeit einer Freundschaft, die für fremde Augen wie eine wild-romantische Liebesbeziehung wirken musste. Und ganz zuletzt stürzte ich mit Else Lasker-Schüler in das tiefste Loch, in das man stürzen kann. Als Franz Marc am 4. März 1916 vor Verdun zu Tode kam, war sie es, die ihm mit ihrem Nachruf ein emotionales Denkmal setzte. Sie war es, die den Briefwechsel fiktiv fortsetzte und einen Briefroman entstehen ließ, der ihre Freundschaft überhöhte.

„Der Blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing.
Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten…
wo der Blaue Reiter ging, schenkte er Himmel.“

(Else Lasker-Schüler)

Das größte Geschenk dieses Buches ist für mich, dass auch der Briefroman unter dem Titel „Der Malik“ vollständig mitveröffentlicht ist. Hier finden wir am Ende tiefe Spuren eines gemeinsamen Schaffens, einer gemeinsamen Freundschaft und vielleicht auch Spuren von mehr. Das jedoch ist Privatsache und sollte es für immer bleiben. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass diese Leidenschaft in Wort und Bild eine tiefere Basis haben musste. Man kann dies lesen, sehen und fühlen, wenn man das Herz am rechten Fleck hat. Ich betrachte „Eine Freundschaft in Briefen“ als mein wichtigstes Buch in der Annäherung an zwei Künstler, die bis heute unvergessen sind.

Ich muss dem blauen Pferd davon erzählen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc - Eine Freundschaft in Briefen

Else Lasker-Schüler und Franz Marc – Eine Freundschaft in Briefen

Oh nein. Ich bin diesem Buch nicht selbst auf die Spur gekommen und es ist kaum noch zu finden in der großen Welt des Buchhandels. Es ist ein Geschenk, das mich fast sprachlos gemacht hat. Anja von Zwiebelchens Plauderecke hat meine Bibliothek zu Franz Marc um dieses zentrale Herzenswerk reicher gemacht und mich gleich mit dazu. Als Liebhaber der Kunst von Franz Marc kann man ohne dieses Buch leben, es macht nur keinen Sinn. Dieser Sinn wurde mir geschenkt. Ich werde das Buch beim nächsten Besuch im Lenbachhaus bei mir haben. Mein Kraftraum des Geistes wurde um eine Ebene erweitert. Einfach danke…

Und Bernhard Jaumann mach den „Turm der blauen Pferde“ zum Kriminalfall für die Kunstdetektei von Schleewitz. Für Fans der blauen Pferde ein MUSS.

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