Romane über das Leben von Schriftstellern üben einen besonderen Reiz auf mich aus, da solche Geschichten, egal wie fiktional sie auch angelegt sind, doch immer auch Geschichten aus dem Milieu der Literatur sind. Ein Bereich, den wir zu kennen glauben, wie unsere Bücherwestentaschen. Ein Setting, in dem man uns nichts vormachen kann und in dem wir uns von der ersten Seite an zuhause fühlen. Bücher über Bücher lassen uns Power-Leser mit dem behaglichen Gefühl des Wohlbekannten tief eintauchen, weil wir uns genau hier so wohl fühlen, wie Lesebändchen in gebundenen Büchern.
„Die Ehefrau“ von Meg Wolitzer lässt nicht unbedingt auf den ersten Blick darauf schließen, dass wir es hier mit einem bibliophil angehauchten Roman zu tun haben. Es lohnt der zweite Blick, denn auch das Cover mit seinen zahllosen Nadelstichen verführt den nach Literatur-Romanen suchenden Leser nicht unbedingt zum Reinlesen. Schade, denn wir würden wirklich etwas versäumen, wenn wir diesen Roman aus dem Dumont Verlag als reine Beziehungsgeschichte in die Schublade der nicht zu lesenden Bücher stecken würden.
Das wäre ein Fehler, da die in New York lebende Schriftstellerin die Literatur an sich in den eigentlichen Mittelpunkt ihres neuesten Romans stellt. Die Perspektive ist dabei so persönlich und doch ungewöhnlich gewählt, dass man das Streben nach Anerkennung und Erfolg im Literaturbetrieb und die Liebe zum Schreiben als Lebensmittelpunkt einer Ehe erlebt. Meg Wolitzer macht uns für genau 270 Seiten zu den Weggefährten zweier Menschen, die von der Literatur vereint wurden. Joe und Joan Castleman. Er: Großer Schriftsteller vor dem Höhepunkt seiner Karriere. Sie: „Die Ehefrau“.
Die Rollen sind verteilt. Sie waren es nicht immer. Ganz am Anfang der Geschichte, zu Beginn ihrer Beziehung in der Mitte der Fünfziger Jahre sah dies anders aus. So ist es in den meisten Beziehungen. Sie verändern sich, unterliegen einem Wandel, der von Innen kommt und sind nicht losgelöst von gesellschaftlichen Veränderungen. Man sieht die Veränderungen erst im Rückblick auf ein ganzes Leben. Man bemerkt den Wandel erst, wenn man dessen Auswirkungen beurteilen kann. Joan Castleman blickt zurück.
Der Zeitpunkt für diese Rückschau könnte schöner nicht sein. Zumindest aus Sicht der Ehefrau eines der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit. Zumindest, wenn es sich bei der rückblickenden Ehefrau um eine ebensolche handelt, also eine Frau, die in ihrer Rolle lebt, sich mit ihr arrangiert hat und die keine Überraschungen mehr erwartet. Hier liegt der Hase im Pfeffer der Geschichte, denn sie ist wirklich alles, nur nicht das brave Mütterchen am heimischen Herd, das die Kinder aufzieht und dem Mann das Leben so angenehm wie möglich macht, damit er große Romane schreiben kann.
Sie ist keine der…
„Frauen, die ihre Loyalität nicht logisch erklären konnten, die sich festklammerten, weil es das Verhalten war, das ihnen am vertrautesten war, mit dem sie sich am wohlsten fühlten.“
Und doch ist der Zeitpunkt absolut genial, denn Joan und Joe Castleman sind auf dem Weg nach Helsinki, wo ER mit dem höchstdotierten Literaturpreis ausgezeichnet werden soll. Es ist zwar nicht der Nobelpreis, aber immerhin. Nach dem Pulitzerpreis ist der Helsinkipreis der eigentliche Höhepunkt in Joe`s Schriftstellerleben. ER kann es kaum erwarten, im Mittelpunkt des literarischen Weltinteresses zu stehen. SIE begleitet ihn. Ist an seiner Seite. Bereit für den Smalltalk am Wegesrand. Bereit für alles, was von der Ehefrau eines Preisträgers erwartet wird. Fast bereit…
Wären da nicht die Gedanken an ihre gemeinsame Vergangenheit. Wären da nicht diese grüblerischen Momente während des Langstreckenfluges, in dem sich ihre Körper zwar nach vorne bewegen, die Gedanken von Joan jedoch auf der Strecke bleiben, weil sie in Überschallgeschwindigkeit zu den Anfängen ihrer Beziehung zurückreist. Miles & More. Jeder Flugkilometer, der sie Helsinki näher bringt sorgt dafür, dass sich Joan ein wenig weiter von dem Mann entfernt, der sich neben ihr in die goldene Zukunft räkelt.
Eine Zukunft, die sich für den großen Schriftsteller nahezu perfekt anfühlt. Wenn Joe jedoch wüsste, welche Gedanken im Hirn seiner Ehefrau toben, dann würde er ein wenig nervöser in seinem Business-Class-Sitz lümmeln. Denn, so wie fast jede Ehe, ist auch ihre Beziehung von einem Geheimnis überschattet, das auf keinen Fall jetzt, also absolut nicht jetzt, gelüftet werden sollte. Aus der Sicht seiner Ehefrau könnte es jedoch der richtige Moment sein, den Tag seiner Krönung zu nutzen, um ihrer Demütigung ein Ende zu bereiten. Doch darüber will nach vierzig Jahren Ehe gut nachgedacht sein.
Meg Wolitzer lässt uns in den Erinnerungen von Joan stöbern, mitfühlen, mitleiden und mitdenken. Sie entwirft ein sozialkritisches Ehe-Panorama, das sich anfühlt wie die Achterbahnfahrt der Gefühle. Im Mittelpunkt steht die riskante Gratwanderung zwischen der Rolle als brave und bescheidene Ehefrau und der verhinderten eigenen Karriere als Schriftstellerin. Die Zeit war nie reif für eine Autorin namens Joan Castleman. Nun stellt sich die Frage, ob sie es je sein wird. Ist es zu spät?
Dieser Roman wirft einen humorvollen und doch auch erschreckenden Blick hinter die Kulissen des Literaturbetriebes. Doch bleibt dem Leser das Lachen oft im Hals stecken, wenn man sich veranschaulicht, welche Opfer gebracht werden müssen, um sich Erfolg zu erarbeiten. Der Preis kann zu hoch sein und das gemeinsame Leben kosten. Endlich in Helsinki angekommen ahnen wir, welche Zeitbombe in der Beziehung tickt. Ob „Die Ehefrau“ es allerdings wagt, die Bombe platzen zu lassen, das sollte man selbst lesen.
Oder vielleicht doch lieber hören? Denn das gleichnamige Hörbuch aus dem Hause Der Hörverlag verführt in seiner gekürzten Lesung mit fast 8 Stunden dazu, neben den beiden Eheleuten Platz zu nehmen und den Flug nach Helsinki zu wagen. Die Stimme von Gabriele Blum verleiht dieser Geschichte eine besondere Authentizität, da sie mit dem Charakter von Joan Castleman zu verschmelzen scheint. Selbstbewusst und doch auch immer wieder an sich zweifelnd trägt uns die versierte Sprecherin durch die Story.
Ich könnte mir Gabriele Blum perfekt als Synchronsprecherin der Schauspielerin Glenn Close vorstellen. Das wäre insofern genial, da „Die Ehefrau“ 2019 im Kino zu sehen sein wird. Und das mit Glenn Close in der Hauptrolle als Joan Castleman. Diese Charakterrolle mit Charme scheint der Grande Dame des amerikanischen Films wie auf den Leib geschneidert zu sein. Vielleicht gelingt ihr in dieser Produktion, den begehrten Oscar zu gewinnen. Die Story ist jedenfalls mehr als oscarreif und ich freue mich schon darauf, nach Buch und Hörbuch bald auch den Film zu erleben.
Ich bin sehr gespannt auf die Film-Joan, die sich so sehr danach sehnt, endlich aus ihrer Rolle als Ehefrau eines erfolgreichen Schriftstellers fliehen zu können. Dazu muss sie nur die Aufmerksamkeit der richtigen Leute auf sich ziehen. So war es immer in der Welt der Literatur. Wessen Aufmerksamkeit?
„Die der Männer.., die Rezensionen schreiben, die die Verlage leiten, die in den Redaktionen der Zeitungen und Zeitschriften sitzen, die entscheiden, wen man ernst zu nehmen hat, wer für den Rest seines Lebens auf einen Sockel gestellt wird. Wer das neue Ding ist.“
Meine Aufmerksamkeit hat sie.
Ab dem 3. Januar 2019 endlich im Kino: Die Frau des Nobelpreisträgers