„Der Angstmann“ – Mit Frank Goldammer auf Jagd in Dresden

Der Angstmann von Frank Goldammer

Der Angstmann von Frank Goldammer

Die Welt der Kriminalromane ist facettenreich und vielschichtig. Und doch stoßen wir oftmals auf fiktive Ermittler, Kommissare, Inspektoren und Detectives, die selbst so angeschlagen sind, wie die meisten ihrer Serientäter. Psychologische Probleme, Ärger in der Beziehung oder traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit bürden ihnen so viele Probleme auf, dass sie kaum noch in der Lage sind, unbelastet zu ermitteln. Auf normale Charaktere stößt man da eher selten. Zumindest ging es mir bisher so.

Frank Goldammer dreht den Spieß jetzt um. Sein Krimi-Debüt bei dtv trägt den sehr klangvollen Namen Der Angstmann und geht in jeder Hinsicht als Verlagsspitzentitel an den Start. Goldammer kann mit Fug und Recht behaupten, dass sein Protagonist als normal bezeichnet werden kann. Kriminalinspektor Max Heller lebt in einer vorbildlichen Beziehung, hat persönliche Niederlagen und Rückschläge weitgehend gut verkraftet und zeichnet sich durch einen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn aus.

Es scheint gewagt zu sein, eine derart in sich gefestigte und stabile Persönlichkeit zu präsentieren, da man als Schriftsteller auf Spannungsbögen verzichtet, die in der tiefen Zerrissenheit mancher Protagonisten schlummern. Warum Frank Goldammer dies wagt? Ganz einfach. Sein „Angstmann“ ruht auf den festen Schultern von Max Heller, der in Dresden ermittelt und jeden Funken Normalität zum Überleben braucht. Denn hier ist es das komplette Szenario des Kriminalromans, das so fundamental bizarr und gleichsam real wirkt, dass man es ohne gesunden Menschenverstand nicht verkraften würde.

Der Angstmann von Frank Goldammer

Der Angstmann von Frank Goldammer

Denn Max Heller ermittelt als Kriminalinspektor im Dresden des Jahres 1945. Das ganze Land geht seinem Untergang entgegen, Mangel dominiert das tägliche Leben und Nazis versuchen mit allen Mitteln, die letzten Positionen der Macht zu verteidigen. Heller könnte man hier als Opportunisten bezeichnen. Die Polizei ist von den Ideologen des Schreckens unterwandert. Er realisiert, was mit der jüdischen Bevölkerung seiner Stadt geschieht und schluckt doch alle Kröten, um seiner Berufung zu folgen. Sein aufrechter Kampf gegen die Kriminalität erfordert Standhaftigkeit und Kraft bei diesem Ritt auf der Rasierklinge des Dritten Reichs.

Max Heller ist gleichsam eine Kompassnadel in einem Kreiselkompass, der durch den schlimmsten Tornado rast, den man sich nur vorstellen kann. Unterschiedliche und unkalkulierbare Windrichtungen und -geschwindigkeiten, Untiefen und Gewitter würden jeden aufrechten Mann um den Verstand bringen. Nicht Max Heller. Seine magnetische Ausrichtung heißt Gerechtigkeit und diesen Pol seines Lebens verliert er nicht aus den Augen. Obwohl man verstehen könnte, wenn auch er die Richtung verlieren würde.

Dass Max unverzichtbar für die Polizei ist, verdeutlicht eine grausame Mordserie, die ganz Dresden erschüttert. Bestialisch zugerichtet und abgeschlachtet findet Max Heller die weiblichen Opfer vor und erkennt schnell ein Muster, dem er unbeirrbar folgt. Wie im Tunnelblick bewegt er sich durch seine Stadt, in der polizeiliche Ermittlungen in diesen Tagen fast utopisch erscheinen. Flüchtlingstrecks aus dem Osten erreichen die Stadtgrenze und die Dresdner haben besseres zu tun, als sich um einen Inspektor und seine Fragen zu scheren.

Der Angstmann von Frank Goldammer

Der Angstmann von Frank Goldammer

„Der Angstmann“ geht um. Dieser Satz macht die Runde und zur Unsicherheit dieser Zeit kommt nun die nackte Angst vor einem Serientäter, der scheinbar ungestraft in den Straßen von Dresden morden darf. Doch Heller kommt ihm auf die Spur. Scharfsinn und akribische Recherche bringen ihn Schritt für Schritt näher. Es scheint, dass ihn nur noch ein Augenblick davon trennt, das Monster zu fassen. Es fehlen nur Minuten.

Eine kleine Zeitspanne, die Frank Goldammer seinem Ermittler nicht gönnt. Nicht nur ihm läuft die Zeit davon. Der ganzen Stadt verrinnen die Minuten unter den Fingern, als der 13. Februar 1945 beginnt. Während Max Heller auf der Jagd durch die Straßen hetzt, nähern sich Bombergeschwader seiner Stadt. Es ist der Tag, der alles verändert. Frank Goldammer zieht seine Leser nicht nur in einen perfekt konturierten Plot, er zerrt uns mitten in seinem Roman in die wenigen Luftschutzkeller und lässt uns den großen Feuersturm über Dresden in und zwischen den Zeilen hautnah erleben.

Die Welt versinkt in Schutt und Asche. Während tausende Menschen sterben, kann die Verfolgung eines Serienmörders keine Rolle mehr spielen. Hier brilliert der Dresdner Autor in einer literarischen Hingabe an die Schilderung menschlicher Dramen, die man in der Genreliteratur selten findet. Der Untergang im Untergang steht im Mittelpunkt und Max Heller überlebt das Inferno nicht zufällig. Hier tritt große Plan des Schriftstellers ans Licht. Dieser Kriminalroman ist kein Thriller, der sich zum Selbstzweck degeneriert. Hier zeichnet sich mehr ab.

Der Angstmann von Frank Goldammer

Der Angstmann von Frank Goldammer

Das Wesentliche. Der Kern des Seins und die Wahrhaftigkeit des Menschlichen sind die Eckpfeiler im Schreiben von Frank Goldammer. Seinen Max Heller überleben zu sehen bedeutet, eine der größten Perspektivgestalten ihres Genres wie Phoenix aus der Asche zu erheben. Max Heller wird nach dem Feuersturm in eine Welt entlassen, in er nichts mehr so ist wie zuvor. Nach den Nazis folgen sowjetische Besatzer. Auf der Gratwanderung des eigenen Überlebens erlebt er nun den Sturm der Ideologien.

Max Heller bleibt standhaft. Der Kompass ist eingenordet. Mag die Welt auch aus den Fugen geraten, das Magnetfeld sich verändern und das Chaos um sich greifen. Er bleibt er selbst und als das Unfassbare geschieht, wird klar, dass diese Welt ohne Max Heller eine andere wäre. Denn das Morden beginnt erneut. „Der Angstmann“ hat die Vernichtung Dresdens überlebt. Wenn Heller ihm auf der Spur bleiben will, muss er mit den neuen Machthabern kooperieren. Aber nicht um jeden Preis.

Frank Goldammer legt mit „Der Angstmann“ einen furiosen Auftakt einer neuen Krimireihe vor, in der Max Heller unser Lesen erobern wird. In sich geschlossen ist das gesamte Potenzial dieser Figur deutlich erkennbar. Die historische Einordnung ist so gelungen, dass man die Entwicklung eines Polizeiinspektors verfolgen kann, der in seinem beruflichen Umfeld zumeist völlig auf sich allein gestellt ist. Seine Bereitschaft, sich mit der Geschichte zu arrangieren, um seine rechtschaffenen Ziele zu erreichen, ist beispiellos und ebenso beispielgebend.

Der Angstmann von Frank Goldammer

Der Angstmann von Frank Goldammer

Frank Goldammers Sprache wird dem Format seines Krimis gerecht. Kurze Sätze, wenig Abschweifungen, gewehrschussartige Wiederholungen und die Dynamik seiner Formulierungen treiben den Leser ohne Atempause durch diesen Roman. Er ist in der Lage, Tempo zu vermitteln, Taubheit und Angst in Luftschutzkellern zu erzeugen und die Angst der Menschen fühlbar zu machen. Der weitere Weg von Max Heller wird sich nie von der deutschen Historie lösen können. Die Turbulenzen in die er geraten wird, liegen auf der Hand und genau hier liegt für den Leser das Potenzial, zu verfolgen, wie er sich diesen Bedingungen stellen wird und kann.

Wer Frank Goldammer kennt, der weiß, mit welcher Leidenschaft er schreibt. Ich bin von diesem Roman nachhaltig gepackt und begeistert. Und nicht nur das. Denn ganz nebenbei gelingt Frank Goldammer auch noch die große Liebeserklärung an eine Stadt, die fast vollständig verschwand, neu erbaut wurde und heute als Elbflorenz aus der Zeit gefallen ist. Er beschreibt die Menschen in Dresden, die alles gaben, als die Flüchtlinge die Stadt fluteten. Alles, obwohl sie nichts hatten. Frank Goldammer bedient in Der Angstmann keine Klischees, sondern grenzt sich und seinen Protagonisten Max Heller deutlich von Ideologien und vergleichbaren Werken des Genres ab.

„Ich erwarte nie etwas, sonst finde ich nur das, was ich finden will“

Der Angstmann von Frank Goldammer

Der Angstmann von Frank Goldammer

Ich war Dresden selten näher als auf den Seiten, die den Untergang dieser Stadt beschrieben. Meine absolute Leseempfehlung nicht nur für diesen Leseherbst. Nein. Auch weit darüber hinaus. Ich werde Frank Goldammer auf der Frankfurter Buchmesse für Literatur Radio Bayern interviewen und freue mich schon jetzt auf das Gespräch. Wie es sich gehört, konnten wir den Autor gemeinsam ins Kreuzverhör nehmen, denn Anja von Zwiebelchens Plauderecke ist es doch tatsächlich noch rechtzeitig gelungen, in die Interviewkabine des dtv-Messestandes vorzudringen.

Herzlich willkommen. Wir stellen uns dem Angstmann. Hier geht´s zum Interview.

Der Angstmann - Das Interview mit Frank Goldammer

Der Angstmann – Das Interview mit Frank Goldammer

Der Campus Libris geht fast geschlossen auf die Jagd nach dem „Angstmann“. Der Weg zu allen Rezensionen, die in unserer literarischen Wohngemeinschaft entstehen, ist ganz leicht zu finden. Hier geht´s lang.

Tausend Teufel haben ihn zur Fortsetzung geritten… „Vergessene Seelen“ ließen ihn nicht los, „Roter Rabe“ geht auf Höhenflug und „Juni 53“ ist mehr als nur ein Datum. Frank Goldammer legt nach.

Tausend Teufel von Frank Goldammer