„Das Leben ist gut“ – Alex Capus live in München

Das Leben ist gut von Alex Capus

Das Leben ist gut von Alex Capus

Können Sie sich einen Ofen vorstellen, hinter dem sich potenzielle Leser solange verstecken, bis sie von einem neuen Buch aus ihrer Deckung gelockt werden? Ja, ich denke schon, da Sie als Leser selbst immer wieder darauf warten, voller Neugier hinter ihrem persönlichen Ofen hervorgelockt zu werden. Bleiben Sie ruhig in Deckung und verschließen Sie die Augen. Ich versuche einfach, Sie vorzulocken, obwohl der Roman, den ich heute vorstelle sich auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so anfühlt, als wäre er der perfekte Lockvogel Ihres Lesens.

Das Leben ist gut“. Alleine schon der Titel passt so gar nicht in unsere kritische Zeit, in der man sich lieber dem kollektiven Meckern und Zaudern hingibt. Und wer hat schon Interesse an den Innenansichten eines Menschen, der eine kleine Bar betreibt und sein Leben reflektiert? Ein Mikrokosmos aus vollen und leeren Flaschen, Gespräche unter dem Einfluss alkoholischer Getränke und die weitgehend von Männern dominierte Welt auf und unter den Barhockern der kleinen Kneipe in unserer Straße.

Klar. Sie sind noch hinter ihrem Ofen und schütteln den Kopf. Das Leben ist nicht gut und ein Barbesitzer in einer beschaulichen Kleinstadt hat sicher außer dem Klatsch und Tratsch seiner Stammgäste nicht sonderlich viel in die Waagschale zu werfen, das einen Roman wert wäre. Verstehe ich ja. Kein Problem, obwohl wir ja alle wissen, dass es meistens Taxifahrer und Kneipenwirte sind, die als Seismographen der allgemeinen Stimmungslage mehr zu berichten haben, als Menschen anderer Berufsgruppen. Ist so. Glauben Sie mir einfach.

Das Leben ist gut von Alex Capus

Das Leben ist gut von Alex Capus

„Das Leben ist gut.“ Sowas kann man ja auch nur von sich geben, wenn man von der Zeit entrückt scheint und konfliktfrei durch das Szenario seiner kleinen Bar schwebt. So hängt dieser im Hanser Verlag erschienene Roman fast im literarischen Niemandsland fest und könnte mit einem gekühlten Gin Tonic runtergespült werden. Das lockt Sie noch nicht hinter dem Ofen vor. Klar. Bleiben Sie, wo Sie sind. Wenn Sie von einem Roman Spannung, große gesellschaftspolitische Relevanz oder explosive Atmosphäre erwarten, dann ist Ihr Ofen der beste Platz, den Sie sich aussuchen konnten.

Wenn Sie allerdings bereit sind zu einem Spiel, dann sollten Sie mal vorgucken und sich den Namen Alex Capus ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Das Lesen seiner Romane war schon immer gut. Besucher seiner Lesungen sind seit Jahren mehr als begeistert von seiner mitreißenden Art, sich auf der großen Bühne zu präsentieren. Ja, das kann er. Und berücksichtigt man ein kleines Detail in seiner Vita, dann kann es sein, dass man nun hellhörig und neugierig wird. Alex Capus besitzt eine kleine Bar.

Genau hier beginnt ein Spiel, das er mit sich und seinen Lesern spielt. Schreibt er über sein eigenes Leben? Ist er selbst diesmal der Held seines eigenen Romans und ist „Das Leben ist gut“ das bisher autobiografischste Buch seines Lebens? Nein! Alles nur erfunden. Reine Fiktion. Das sagt er selbst. Mehr als deutlich und wiederholt. Ich war zu Gast in einer kleinen Münchener Bar, aus der seine LovelyBooks-Livestreamlesung in die Bücherwelt übertragen wurde und wurde Zeuge seiner beharrlichen „Das ist alles fiktional – Statements“.

Das Leben ist gut von Alex Capus

Das Leben ist gut von Alex Capus

Natürlich gibt er zu, dass es gewisse Parallelen zu jenem Max gibt, dessen Leben so gut ist, dass man einfach darüber schreiben muss. Natürlich gibt Capus zu, dass diese Parallelen sehr augenscheinlich sind. Und trotzdem besteht er darauf, dass er nie über sich oder die Gäste seiner Bar schreiben würde. Schweigepflicht gegenüber den Menschen auf der anderen Seite des Tresens ist oberstes Gebot für ihn. Insofern darf man also keinesfalls erwarten, dass die Anekdoten, Begebenheiten und Geschichten in seinem Buch real sein könnten.

Und doch wird den Zuhörern und Lesern schnell klar, dass sein neues Buch gerne als fiktional bezeichnet werden darf, es sich aber doch um ein autobiografisches Spiel mit hohem Ich-Schutzfaktor handelt. Die Grenzen verlaufen fließend und genau hier liegt die Faszination dieses Buches begraben. Es wird die Welt nicht verändern. Es sind die scheinbar kleinen Begebenheiten, die Charakterzeichnung des Barbesitzers und die emotionalen Abschweifungen, die diesen Roman lesenswert machen. Und nicht zuletzt ist es die fiktionale Annäherung an einen faszinierenden Schriftsteller, die hier den ganz besonderen Reiz ausmacht.

Genau so laviert und parliert sich Alex Capus durch seine Lesung. Man möge nur nicht glauben, dass er über sich selbst geschrieben habe. Dieses Mantra leitet fast jede Sequenz aus dem Buch ein. Dann schließt er es, lächelt und erzählt von sich selbst, seinem Alltag in der Bar, den Abläufen und den leicht verschrobenen Stammgästen, die er so liebt. Aus dem Grenzgänger des Fiktionalen wird in diesen Situationen wieder der Besitzer der Bar, wie wir sie im Buch kennengelernt haben. Capus führt seine eigenen Abgrenzungen ad absurdum. Wohl wissend, was er seinen Lesern damit antut.

Das Leben ist gut von Alex Capus

Das Leben ist gut von Alex Capus

Capus begegnet sich selbst. Frontalcrash mit seinem Alter Ego. Das Spiel eines Meisters der Fabulierkunst. Wer bin ich? Erkennt ihr mich im Buch? Glaubt ihr, dass ihr mir begegnet? Fragen, die über einem Buch stehen und es so liebenswert machen. Da ist Max, der die kurze Abwesenheit seiner Frau kaum verkraften kann und ihr mit einem einfachen Vergleich verdeutlicht, wie aufgeschmissen sie ohne ihn wohl sein wird. Ein Mann, der augenscheinlich die Rolle seiner Frau anders interpretiert, als dies moderne Frauenbilder suggerieren.

„Jemand wird für dich die Glühbirnen auswechseln müssen. Wer soll das tun, wenn ich nicht da bin?“

Da ist ein Barbesitzer, der mit der Erziehung der Söhne überfordert scheint und sein Heil in der Flucht hinter den Tresen seines Lebens sucht. Da ist Max, der wütend auf seine Frau das Haus verlässt, seinen Aggressionen freien Lauf lässt, sich vornimmt den Streit später eskalieren zu lassen und dann doch nur zu einem „Du dumme Kuh“ kommt, das von seiner Tina geflissentlich überhört wird. Da sind die Menschen in seiner Bar, die dem lauf der Welt nicht vertrauen, vor Erdbeben und Manipulation der Obrigkeit Angst haben und wie Strandgut in der Bar landen. Menschen, für die Max ein Anker zu sein scheint.

„Das Leben ist gut“ liest sich in einem Zug und gewinnt durch die Dimension dieses ganz bewussten Identitäts-Spiels, das Alex Capus mit seinen Lesern spielt. Sie können sich die Lesung jederzeit ansehen. Sie zeigt viel und verrät doch nichts. Insbesondere lässt uns der Autor im Dunkeln, wann er hier von wem erzählt und über wen er schreibt. Und doch wird man das Gefühl nicht los, dass man dem Menschen Capus nie näher war als in diesen Kapiteln. Ja, es ist wohl fiktional. Ja, Selbstschutz verhindert vieles. Aber „Das Leben ist gut“ lässt sehr viel zu, weil Alex Capus mit einem sympathischen Augenzwinkern gestattet, dass man sich auf sein Spiel einlässt.

Das Leben ist gut von Alex Capus - LovelyBooks in Aktion

Das Leben ist gut von Alex Capus – LovelyBooks in Aktion

Er hat die Regeln aufgestellt. Wir sollten uns darauf einlassen. Auch Delphine de Vigan hat in ihrem Roman Nach einer wahren Geschichte ein vergleichbares Spiel in die Welt gesetzt. Rein fiktional und doch unglaublich bewegend. Wenn man sich nicht nur für die Bücher der Autoren interessiert, die uns seit Jahren begleiten, sondern auch für die Menschen hinter den Schreibmaschinen, dann sind es solche Bücher, die mehr offenbaren als man es zuerst vermutet. Selbstschutz hin. Selbstschutz her. Hier schlägt die Eitelkeit der Schriftsteller ihnen vielleicht selbst ein Schnippchen und sie wollen uns mehr zeigen, als ihnen eigentlich lieb ist.

Alles ist erfunden. Sei`s drum. Akzeptiert. Ich bin froh, einem Barbesitzer begegnet zu sein, der dem Wunsch der Söhne nach einem Hund nur deshalb nicht nachgibt, weil er schon jetzt fühlt, wie sehr ihn der Verlust dieses Tieres in einigen Jahren mitnehmen würde. Ich bin so froh, einem Schriftsteller begegnet zu sein, für den ein ausgestopfter Stierschädel mehr als nur Dekoration für die heimische Bar ist, sondern sich fast schon wie ein Running-Gag der Deko-Geschichte durch sein Leben mäandert.

Das Leben ist gut“ muss man nicht gelesen haben! Keine Frage. Dieses Buch ist nicht dazu angelegt, Leben zu retten und philosophische Grundhaltungen zu verändern. Man kann dieses Buch lesen, wenn man die leicht verschrobene Liebeserklärung eines Mannes wertschätzen kann, der nach außen vielleicht machohafter wirkt, als es wirklich ist. Man kann es lesen, weil es unterhält und Lust auf einen Barbesuch macht. Man darf es lesen, wenn man sich auf ein besonderes Spiel einlässt. Ein Spiel namens Capus.

Das Leben ist gut von Alex Capus - Ein erfüllter Wunsch

Das Leben ist gut von Alex Capus – Ein erfüllter Wunsch

Sollte es mir nicht gelungen sein, Sie hinter dem bibliophilen Ofen hervorzulocken, so besuchen Sie doch einfach Stephanie Sack und ihren Blog Nur Lesen ist schöner – Eine Ode an das Lesen. Wir hatten das Vergnügen, Alex Capus gemeinsam in einer wundervollen Münchener Bar zu treffen. Ihren atmosphärischen Bericht finden Sie hier.

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