„Signifying Rappers“ von David Foster Wallace und Mark Costello

Signifying Rappers - David Foster Wallace und Mark Costello

Signifying Rappers – David Foster Wallace und Mark Costello

Was ich mit David Foster Wallace gemeinsam habe? Augenscheinlich eigentlich nicht viel. Ich bin seinem Schreibweg auf meinen ganz eigenen Lesepfaden gefolgt und habe mich durch seine Bücher gefressen, gefreut und gequält. Habe vieles nicht immer sofort verstanden, vieles deutlich unterschätzt, mir vieles in unendlichen spaßfreien Fußnoten mühevoll erarbeitet und letztlich viele seiner Inspirationen aufgesaugt, wie ein trockener Schwamm.

Die größte Gemeinsamkeit mit ihm ist jedoch, dass ich keinerlei Ahnung von Rap-Musik habe. Nicht den leisesten Hauch. Weder in seiner Dimension als Subkultur, noch in seiner heutigen Relevanz und Brisanz. Es ist nicht gerade meine Musik und die Rapper, die unmelodisch provokant durch die Welt arrhythmisieren, gelten für mich nun auch nicht unbedingt zu den absoluten Vorzeigekünstlern unserer Gesellschaft. Das ist ganz einfach eine Frage meines persönlichen Geschmacks.

Aber ist es immer so einfach mit GESCHMACK? Oder mache ich es mir zu leicht?

David hatte auch keinen blassen Dunst von Rap, als er auf der ständigen Suche nach interessanten Themen und getrieben von der Rastlosigkeit eines Menschen, der von den aufziehenden dunklen Wolken seiner Depressionen immer weiter umhüllt wird, beginnt über den Rap zu schreiben. Im Alter von 27 Jahren hatte er 1989 alle Höhen und Tiefen eines von der Literatur besessenen Menschen bereits hinter sich.

Signifying Rappers - David Foster Wallace und Mark Costello

Signifying Rappers – David Foster Wallace und Mark Costello

Die Flucht aus einem zu erwartungsvollen Elternhaus, ein erfolgreich absolviertes Literatur- und Philosophie-Studium mit Auszeichnung, eine Examensarbeit, die zum viel beachteten Debüt wurde. „Der Besen im System“ erregte 1987 erhebliches Aufsehen. Die schon früh einsetzende Erkenntnis, immer tiefer an Depressionen zu leiden und dabei unglückliche Lieben in beharrlicher Beziehungsunfähigkeit magisch anzuziehen, machten aus ihm einen verzweifelten Menschen, dem nur seine literarische Begabung blieb, um der realen Welt zu entfliehen.

Die Jahre zwischen 1985 und 1990 waren durch Zusammenbrüche bestimmt. Seine beruflichen Ambitionen wurden von reinem Sicherheitsdenken dominiert. Er brauchte eine Krankenversicherung, die er so nur in Verbindung mit einer festen Lehrtätigkeit an einer Universität abschließen konnte. Druck baute sich auf in diesen Jahren. Ein Druck, den ein kranker Mensch absolut nicht ertragen kann und der sich zu immer größeren Blockaden multiplizierte. Einen Selbstmordversuch verheimlichte er selbst besten Freunden.

Schreibend war er in den kreativen Zwischenzeiten umtriebig. Foster arbeitete mit vielen Unterbrechungen an einer Reportage über die amerikanische Pornoindustrie und verzettelte sich oftmals in Projekte, die der reinen Inübunghaltung des wachen Geistes dienen sollten. Als es ihn dann nach Boston verschlug lebte die alte College-WG mit dem angehenden Schriftsteller Mark Costello wieder auf. Spaß haben, Leben genießen und schreiben, so lautete ihre Philosophie und so begegneten sie erstmals einer ganz eigenen Szene. Einem Sound, der sie auf den Straßen umgarnte. Dem RAP.

Signifying Rappers - David Foster Wallace und Mark Costello

Signifying Rappers – David Foster Wallace (re) und Mark Costello (li)

Von Tuten und Blasen keine Ahnung tauchen die beiden tatendurstigen Freunde wie „Bleichgesichter“ in eine farbige Welt ein, von der sie bisher nur die Beats jenseits der Straße wahrgenommen hatten. Sie planen schnell, eine gemeinsame Betrachtung der Rap-Kultur zu Papier zu bringen. Für Mark Costello nun wirklich keine leichte Aufgabe, denn als zurechnungsfähig und auf geistiger Höhe kann und darf man seinen Freund David Foster Wallace zu diesem Zeitpunkt nicht bezeichnen.

Alkohol und Drogen spielen eine große Rolle in seinem Leben, aber es geschieht, was immer passierte, wenn er sich ein literarisches Ziel gesetzt hat. Sein Blick schärft sich und angetrieben von Neugier und seinem guten Freund (also zwei Rettungsankern dieser Zeit) läuft der noch junge Autor, der inzwischen als literarisches Wunderkind mit Mega-Minderwertigkeitskomplexen gilt, zu absoluter Höchstform auf.

Die Performance stimmt.

In dieser Zeit entsteht mit „Signifying Rappers eine ungewöhnliche essayistische Betrachtung einer subversiven und hochaktuellen Subkultur und versehen mit dem sehr eingängigen Untertitel: „Warum Rap, den Sie hassen, nicht ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit“ erblickt das kleine Werk schon 1990 das Licht der US-amerikanischen Buchwelt.

Signifying Rappers - David Foster Wallace und Mark Costello

Signifying Rappers – David Foster Wallace und Mark Costello

Dieser Untertitel spricht Bände und nimmt alle subjektiven Bewertungen vorweg. Es handelt sich also augenscheinlich um einen Essay, der sich an Leser richtet, die dem behandelten Gegenstand, der Rap-Musik, hassend gegenüber stehen. Darüber hinaus wird die anscheinend spießig desinteressierte Zielgruppe aufgerüttelt und mit einem der Stilmittel des Rap, der Provokation, auf den scheißinteressanten Inhalt der Message gestoßen, obwohl die erzielte Anstößigkeit eben genau das Ziel des Werkes darstellt. Da fühlt man sich doch angesprochen… oder?

Jedenfalls haben die beiden Autoren in mir den perfekten Leser gefunden und es dabei tatsächlich geschafft, mich im Buch zu halten, obwohl ich dieser Musikrichtung wenig abgewinnen konnte. BISHER. Hierbei waren die vielen aufgeführten Songs, die wie eine Playlist anmuten im ersten Moment nicht sehr hilfreich für mich. Sie gehören, wie die meisten der aufgeführten Rapper, der Vergangenheit an und können aus heutiger Sicht vielleicht noch als Pioniere einer Subkultur bezeichnet werden.

Was ich aber umso mehr verstanden habe, ist die ungeheuerliche Brisanz des Rap, der sich in vielen Bereichen von anderen Musikstilen unterscheidet. Rap ist politisch, schnell, provokant und wohl nur aufgrund dieser sehr unkonventionellen Art ein wichtiger Indikator für die Stimmung auf der Straße. Rap ist unterprivilegiert und repräsentiert die Macht der Underdogs in ganz besonderer Art und Weise.

David Foster Wallace - Ein Lebensleseweg

David Foster Wallace – Ein Lebensleseweg

Obwohl „Signifying Rappers“ vor 15 Jahren geschrieben wurde und für seine erste Auflage bei Kiepenheuer & Witsch (genial von Ulrich Blumenbach übersetzt) mit einem neuen Vorwort von Mark Costello versehen wurde, scheint es gerade dieser Hauch des Vergangenen zu sein, der aus einer aktuellen Betrachtung von einst ein essayistisches Standardwerk über den Rap werden lässt. Die Musik des Jahres 1990 wird abstrakt und man schärft den Blick auf die Rapper der heutigen Zeit.

Seismographen für Ungerechtigkeit, Intoleranz und Willkür. Provokante Rufer in der Wüste, die sich auflehnen, wo Missstände um sich greifen. Unbequeme Quergeister, die mehr Menschen unmittelbar erreichen, als die scheißuninteressante gequirlte Kacke des Establishments. Der Rap in seiner ureigenen Form bahnt sich seinen eigenen Weg. Er ist die Stimme der Straße und vermag viel mehr zu bewegen, als man ihm zutraut. Er ist anstößig. Das heißt, er stößt an, was sonst garantiert unwidersprochen bliebe.

Es ist scheißinteressant zu lesen, wie zwei weiße Außenseiter versuchen, die Innenansichten einer schwarzen Musikbewegung zu erklären. Es ist scheißinteressant über den Tellerrand einer Subkultur zu schauen, die heute als HipHop schon zur Elite gehört und dem Establishment beharrlich in die Suppe spuckt. Und letztlich ist für mich ganz persönlich scheißinteressant gewesen, in diesem Essay zweier Freunde, jenen David Foster Wallace zu treffen, der mein ganzes Lesen erst einige Jahre später mit dem Unendlichen Spaß und Der bleiche König veränderte und mir die größte Anstiftung zum Denken mit auf den Weg gab.

Ach David…

Signifying Rappers - David Foster Wallace und Mark Costello

Signifying Rappers – David Foster Wallace und Mark Costello

Editorial: Die David-Foster-Wallace-Biografie von D.T. Max, Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichteeignet sich hervorragend zum besseren Verständnis und zur präzisen Einordnung des Essays in das kurze Lebenswerk meines Herzensautors, der sich am 12. September 2008 das Leben nahm.

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